Mittwoch, 1. Juli 2020

Let Home be our Life


On a free land,
in clean fresh air,
upon clear waters,
under an open and wide sky,
clarified against the fashionable,
distant to nerd behavior,
away from any religion,
denying any ideology,

so I built home,*

admiring nature,
valuing humanity,
open to the arts,
substantiating peace and empathy,
taking sides against war,
tearing up enemy images,
cultivating emancipated individualism,
demonstrating upright backbone,
yearning for love and giving it,
not keeping silent even in silence.

None of rhapsodizing,
but implementation,
manifestation
in everyday life,
and while celebrating festivities.

Let home be our life.


* There is no equivalent word in the English language for the German term of “Heimat”.





Sonntag, 28. Juni 2020

Heimat sei uns das Leben


Auf freiem Land,
in sauberer frischer Luft,
auf klaren Wassern,
unter offenem weitem Himmel,
abgeklärt gegen Modisches,
in Distanz zu Fachidiotischem,
fern aller Religion,
jede Ideologie verwerfend,

so baute ich Heimat,

die Natur bewundernd,
Menschlichkeit schätzend,
den Künsten zugewandt,
Frieden und Empathie untermauernd,
Partei ergreifend gegen Krieg,
Feindbilder zerreißend,
emanzipierten Individualismus pflegend,
aufrechtes Rückgrat beweisend,
Liebe ersehnend und zeigend
und selbst im Schweigen nicht schweigend.

Nicht schwärmende Tümelei,
sondern Realisierung,
Manifestierung
im täglichen Allerlei
wie zum festtäglichen Zelebrieren:

Heimat sei uns das Leben. 


 

Freitag, 26. Juni 2020

Menschliches Glauben: Leidensfähigkeit (S. 98)

Vom Augenblick des Erkennens der eigenen Endlichkeit beginnt für den Menschen ein Ausmaß an Leid, das die Vorzüge des Bewusstseins gegenüber dem Tier nicht nur nivellieren kann, sondern den Menschen häufig vernichtend drangsaliert. Die Einsicht, dass ein endloses Leben unmöglich, dass der Tod demnach sinnvoll ist, vermag die Lage kaum zu entspannen, denn sie erschließt nicht den Sinn des Lebens. Dem denkenden Menschen stellt sich, ob er will oder nicht, die Aufgabe, seinem Leben einen Sinn zuzuordnen. Dem Nichtdenker wird es recht und schlecht gelingen, diese Aufgabe zu verdrängen und in einer geistigen Trägheit dahinzuleben. Angedickt zu einer gesellschaftlich zähen Masse, verkörpert das Nichtdenken aber den bisher als normal geltenden Zustand der Menschheit, die zwar mit ihrer angeblichen Denkfähigkeit kokettiert, jedoch konsequent das Denken bei jeder Gelegenheit verhindert und es gar bei Strafe verbietet. Religionen und Staatsphilosophien dulden kein kritisches Hinterfragen, sogar in den sogenannten exakten Wissenschaften gelten an Dogmen erinnernde Thesen und paaren sich esoterikähnlich mit vergeistigtem Wildwuchs.
     Gewöhnlich im frühen Kindesalter beginnt die eigentliche Demütigung des Menschen durch Indoktrinationen, deren einziges Ziel die Verhinderung des freien Denkens ist. Die Würde des Menschen wird zerstört, indem sie religiös oder ideologisch festgeschriebenen Dogmen unterworfen wird. Der Weg des Leidens erfährt so seine akribische Vorbereitung; das führt breit angelegt zu seelischen Konflikten, Doppelmoral, der Erzeugung von Feindbildern, Krieg und Völkermord.
     Kein einziges Staatswesen auf dem Globus verzichtet auf Denkverbote, wobei sich die Restriktionen auf das Äußern der Gedanken beschränken müssen, denn das Denken an sich lässt sich natürlich nicht ausschalten, aber wie schon beklagt, durch frühzeitige Infiltration oder gar Gehirnwäsche einschränken. Religiöse und staatliche Tabus mögen für nicht weiter nachdenkende Personen ausreichen, um den Sinn des Lebens demgemäß zu adaptieren und sich zumindest zeitweilig wohlzufühlen. Das Leiden wird dadurch nicht gemindert und schon gar nicht erklärt. Aber den wenigen Menschen, die aus irgendwelchen Gründen, die sie sich nicht ausgesucht haben, zum aufgeklärten Denken vorstoßen und zum Beispiel die religiös begründeten Zwangsläufigkeiten von Leiderzeugung bis hin zu gegenseitigen Abschlachtungen durchschauen, ergeht es kaum besser. Denn solche Individuen haben zumeist keine adäquaten Ansprechpartner, befinden sich in einer Gesellschaft, die ihnen mit Unverständnis und Ausgrenzung begegnet, wenn sie nicht gar drastischere Maßnahmen ergreift.
     Könnte man den biologischen Verfall des Menschenlebens als natürliches Leid bezeichnen, das sich durch menschliche Zuwendung im Verbund mit verantwortungsbewusster Wissenschaft lindern lässt, entsteht zusätzlich vergeistigtes „unnatürliches“ Leid in gigantischen Ausmaßen und mit zerstörerischer Macht.
     Anerkennt man die Würde eines jeden Menschen als unantastbar, erweisen sich Neid, Missgunst, Eifersucht, Rachsucht, Ausbeutung von Menschen, Nationalstolz, der „vaterlandstreue“ Kriegsdienst, Auserwähltheitsansprüche und religiöses Sendungsbewusstsein als offene Diskriminierungen anderer Menschen. Erst wenn ein wesentlicher Teil der Menschheit das begreift, kann sich Gewaltfreiheit als Grundprinzip des Miteinanders unter Achtung der humanen demokratischen Gleichberechtigung entwickeln. Solange Menschen glauben zu wissen, was irgendeine Gottheit verfügt und sich derartige Menschen zu Stellvertretern und Richtern der Götter aufspielen, produzieren sie Leid, weil das Gehirn denkunfähig verharrt. Ausgerechnet dieses komplexe Organ des humanen Menschseins muss erst noch zum Leben erweckt werden! Ob es der Evolution dereinst gelingen wird, einen solchen Status des Lebens hervorzubringen, erscheint in der Gegenwart als eher unwahrscheinlich, da doch vermehrt alle Kräfte der Selbstzerstörung in den Vordergrund treten. Trotz fehlgeleiteter Globalisierung mag unser Planet aber Nischen aufweisen, von wo aus Denkfähigkeit Überlebensstrategien evolutionär durchsetzen wird.
     Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Leid anschwellen und vor allem freie Denker nicht verschonen. Die Sinnsuche für den Einzelnen wird dadurch um so schwerer und er wird keine Hilfe bei den Massenmenschen oder bei der Masse „Mensch“ erfahren. Humanität, so erscheint es mir, keimt, wenn überhaupt, in verbindlichen Partnerschaften auf den zahlreichen Ebenen des Alltäglichen, wobei allein die Partner die Kriterien jener Verbindlichkeiten in freier Übereinstimmung definieren und keine Religion und kein sonst wie konstruiertes Tabu ein Mitspracherecht besitzen.
     Unsere Leidensfähigkeit ist ein Merkmal der Evolution. Zuverlässige Partnerschaften, befreit von religiösem Klimbim voller Doppelmoral, werden sich behaupten. Eine Faszination für jeden, der denkt. Aber wie kommt man an denkende Mitmenschen, wenn nicht durch Zufall?


© Raymond Walden




Dienstag, 23. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (376)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4820
Waffen „wollen“ agieren, also zerstören und töten – in den Händen von (Un)Menschen und Göttern.

4821
Die ideologische Diffamierung der Farbe Grün schlägt der Natur ins pralle Leben.

4822
Grüner Wasserstoff“ wird zum Knallgas der physikalischen Leere im Kopf.

4823
Ideologie“ bedeutet Waschung des Gehirns, „Glauben“ macht nicht sauberer.

4824
Spottet nicht, wenn ihr es besser wisst, genießt euren Vorsprung und nehmt die wohlwollend auf, die euch um Rat und Beistand bitten.

4825
Annexion beschreibt Raub. Auf annektiertem Land zu siedeln, muss nationalistischen oder religiösen, eben „unmenschlichen“ Ursprungs sein.

4826
Wissen kann Missstände wenden, Wähnen aber kann Wissen vortäuschen und Wahrheiten wenden.

4827
Anspruch auf Hilfe in der Not ist verbrieftes Menschenrecht, gewählte Einsamkeit nicht minder.

4828
Die Maulkorb-Masken-Gesellschaft vermag nicht frei zu atmen, sie kann nicht frei sprechen und bald auch nicht mehr frei denken; sie soll nicht frei sein, sondern sich „willensfrei“, vor allem ängstlich fügen.

4829
Computer führen jedes Rechenmodell zuverlässig aus; quasi im Kadavergehorsam führen sie auch Krieg gegen die Menschheit – unter dem Kommando menschenfeindlicher Menschen.

4830
Wie deprimierend wirkt die reichhaltige Natur, wenn die menschliche Gesellschaft krank ist.

4831
Propagandisten werden durch ihresgleichen belobigt und ausgezeichnet. So „frei ist die Presse“!


© Raymond Walden



Samstag, 20. Juni 2020

Wann wird es Sommer?


Jede Jahreszeit weist ihre Alternative auf der gegenpoligen Planetenhälfte aus: Sommer hier, Winter dort.
So ist das in einer dualen und zugleich variablen Welt.

Grün-alternativ“ nannte sich einst eine neue gesellschaftliche Denkrichtung, die viel Wahres aufgriff und Zulauf erhielt.
Mit dem Aufstieg ins Establishment im Verbund mit Christen, Sozialisten, Freiheitlichen, Kapitalisten und sogar Kommunisten kam er immer drängender hervor, der Anspruch auf Zwang, den die Regierung bald als „Alternativlosigkeit“ zu ihren Entscheidungen stilisierte.
Der vormals gepriesene demokratische Sommer des Werdens, Sprießens, Erblühens und Reifens ist vorbei, „alternativlos“ herrscht winterliches Frostdiktat, wie zum Spott ausgeprägt ausgerechnet bezüglich einer Klimaerwärmung mit angeblich menschlicher Verursachung.
Nun auch noch – und „damit zusammenhängend“ (!) – Pandemie!

Die Menschen (immer die anderen) sind schuld, müssen bekehrt, geführt, belehrt, entmündigt, befehligt werden, „alternativlos“.
Im Verstoß gegen demokratische Grundrechte, gegen Menschenrechte und gegen Naturgesetze spielen sich Ideologen als das auf, wogegen die Evolution schon lange intelligente Alternativen schuf, wenngleich sie, erst am Anfang noch, auf ihre human kultivierte Lebenszeit warten müssen, denn die widernatürliche Alternativlosigkeit bietet alles zum eigenen Machterhalt auf. Der nächste „Sommer“ mag auf sich warten lassen; er kommt aber, da kosmische Naturgesetze (siehe auch Kosmonomisches Manifest) und nicht ideologische Phrasen, langfristig den Globus und seine Menschheit lenken.




Mittwoch, 17. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (375)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4808
Wachträume in weißen Nächten bei offenem, lichtem Fenster: Das Lager wird zum Himmelbett, der Vogelgesang konzertant, der Wind raunt Freiheit. Atme sie tief mit allen Sinnen ein, erlebe sie, lebe auf!

4809
Der Mensch „macht Männchen“ viel eilfertiger und kauziger als ein dressierter Hund.

4810
Die „sensationierte“ Befürchtungs- und Empfindlichkeitsgesellschaft wittert allgegenwärtige Bedrohung, bevorzugt die Gefahr und Hysterie derartig intensiv, dass ihr gewöhnliche Normalität unerträglich wird.

4811
Aus der „Welt um mich“, erforscht seit frühesten Kindertagen, entstand inzwischen das Kolossal-Gemälde „Die Welt in mir“. Beide Blickwinkel erst bestimmen den Standpunkt und die Bewegungsrichtung.

4812
Schmalsichtigkeit verengt sich weiter mit verwurzelter Fernsehversessenheit.

4813
Je absurder sich die Masse aufführt, desto „traumhafter“ entfaltet sich die Einsamkeit.

4814
Selbst gewähltes Engagement befreit, Lohnarbeit knechtet.

4815
Wer Glauben fordert, ist mit sich im Unreinen, denn ehrliches Vertrauen entsteht im freien Wollen.

4816
Bigotterie verpuppt Rassismus wie umgekehrt.

4817
Dummheit mag Gesellschaftsordnungen ausbremsen, kaum aber sich selbst.

4818
Besonders in verklemmten Gesellschaften hakt es in und unter vielen Beziehungen.

4819
Wirtschaftskrise durch epidemische Verirrungen? – Wir drucken Geld!
Und folgende Generationen zahlen. Wir schenken ihnen „Zukunft“!


© Raymond Walden




Montag, 15. Juni 2020

Menschliches Glauben: Verfrühte Knospe in provinzieller Enge (S. 95)


Die heutigen gesellschaftlichen Bedingungen lassen immer neue Ballungszentren entstehen, noch aber leben die meisten Menschen der Erdbevölkerung auf dem Lande oder in kleineren überschaubaren Kommunen – in der Provinz. Sie bietet Heimat, mitmenschliche Kontakte, Vertrautheit und Geborgenheit. Nach dem Motto „Glaube, Heimat, Sitte“ spielt sich ein in Traditionen gegossenes Leben ab, das sich mit lokalen Aspekten zufrieden gibt und globales Hinterfragen kaum vermisst, es sogar verdrängt, obgleich weltpolitische Ereignisse zunehmend in das provinzielle Leben eingreifen. In der Regel zeichnet sich der Lokalpatriotismus durch Überbewertung der heimatlichen Szene aus und pflegt gleichzeitig eine devote Haltung gegenüber der wie auch immer gearteten Obrigkeit. Abweichler werden bald als solche erkannt, wieder auf Kurs gebracht oder abgestempelt. Die Provinz sucht keine Weitläufigkeit, sondern pflegt Prüderie und Spießertum in bürgerlicher Doppelmoral.
     Demgegenüber stellen sich die Metropolen offener dar, aber gar nicht selten bedeutet Offenheit lediglich anonyme Freiheit, auch Beziehungslosigkeit. Die Bürger der Mega-Städte sind in beträchtlichem Maße Lokalpatrioten, provinziell und häufig nationalistisch geprägt. Das erweiterte gesellschaftliche und kulturelle Angebot der Städte ermöglicht Horizonterweiterungen gegenüber dem Leben in der Provinz, doch gleicht zumindest in den Staaten mit entwickelter Infrastruktur die oft bessere Lebensqualität auf dem Lande die provinziellen Nachteile aus.
     Provinzielle Enge entsteht gegenwärtig weniger durch den Stadt-Land-Gegensatz als durch das Bildungsgefälle innerhalb der Bevölkerung eines Staates. Dadurch wird Provinzialität ein Phänomen, das offensichtlich trotz zunehmender Verstädterung und wachsender Technologisierung an Bedeutung gewinnt. Obwohl die globalen Zusammenhänge sich überall bemerkbar machen, verharren die Menschen vorwiegend in provinziellen Sichtweisen und Strategien. Ein wesentlicher Pfeiler dieser Gedankengebäude besteht in der jeweiligen Religion, sei es aus fundamentalistischer Überzeugung oder aus eng an die Religion gebundener, traditioneller Lebensgewohnheit.
Die verheerenden Folgen der provinziellen Einengungen schlagen sich in jeder Nachrichtensendung und in jeder beliebigen Tageszeitung nieder und akzelerieren mit dem Wachstum der Weltbevölkerung und der wirtschaftlichen Entwicklung weiterer aufstrebender Regionen.
     Menschwerdung gerät mehr noch als in früheren Zeiten ins Hintertreffen, weil in der Vermassung das Individuum zu oft untergeht oder verblödet, ehe es sich überhaupt als solches begreifen kann. Dabei ist gerade das Individuum der Kern der Menschwerdung, der humanistischen Eigenverantwortlichkeit im Einklang mit einer Gesellschaft, die ja nicht aus sich selbst heraus, sondern aus der Summe von Individuen besteht. Provinzielle Enge bedrängt uns indessen, weil das dort verankerte Denken über modernste Medien die gesellschaftlichen Schaltzentralen erobert, wo man kaum in der Lage ist, außerhalb eigener Eitelkeiten zu reagieren, geschweige denn Perspektiven zu entwerfen.
     Mit äußerst wenigen Ausnahmen verharrt die Menschheit in archaischen Denkstrukturen, die sich weder jetzt noch in absehbarer Zukunft auflösen lassen. Dieser durchaus deprimierenden Tatsache muss jeder aufgeklärte Geist Rechnung tragen, will er sich nicht erstens der vielseitigen Inquisition ausliefern und zweitens im privaten Umfeld in sinnlosen Konflikten aufzehren. Als kosmonomischer Humanist ohne religiöse Affinität muss man akzeptieren, dass es eher wenige Individuen mit ähnlicher Geistesreife gibt. Der aus religiösem Glauben erwachsende Wahnwitz, der sich nach eigenem Bild Götter schaffenden Kreaturen eigen ist, dokumentiert eine derart destruktive Einschränkung, dass keine öffentliche Aufklärungsmöglichkeit existiert, weder in Parteien oder Verbänden noch als Einzelperson. In praktizierter Eigenverantwortung bleibt für einen Kosmonomen nur die entschiedene, wenngleich möglichst freundliche Zurückhaltung, um zumindest eine Privatsphäre für die Wahrnehmung und Pflege der angenehmen Lebensseiten zu garantieren. Inwieweit es gelingt, trotz der vorherrschenden Indoktrinationsmentalität ein lebenswertes, gar erfülltes Dasein zu bewerkstelligen, hängt jeweils von den persönlichen Umständen ab. Gesellschaftliche Kontakte bilden für die Spezies „Mensch“ eine Notwendigkeit, daran lässt sich nicht zweifeln. Ebenso sind aber die mitmenschlichen Beziehungen das Feld zerstörerischer, primitiver Auseinandersetzungen über Lebensauffassungen und Weltbilder. Aus den allgegenwärtigen Gewaltoptionen kann sich der Freidenker nur durch diskrete Reserviertheit befreien. Menschsein und Gewalt gehören entwicklungsbedingt zusammen, doch ist der Mensch vielleicht noch gar nicht ein solcher. Religionen stellen seinen verzweifelten, aber ungeeigneten Schritt zur Überwindung des Tierischen dar und der Versuch endet global immer deutlicher in Verbiesterung.
     Es ist eine bittere Erkenntnis: Aufklärung heute ist eine Fata Morgana, dennoch gibt es bereits aufgeklärte Menschen; ihr Schicksal sei an dieser Stelle einmal poetisch ausgedrückt: Sie eilen der Menschheitsentwicklung voraus und ertragen den Frost wie eine verfrühte Knospe im Frühling. Den Sommer werden andere erleben.


© Raymond Walden



Samstag, 13. Juni 2020

Nach(t)gedacht



Bedenke, Mensch, bei allem Streben,
es ist die Nacht als Tageszeit,
die mitbestimmt fürs ganze Leben,
was Traum ist und was Wirklichkeit.

Du willst, oh Mensch, gern selbst entscheiden,
wie du Tag und Nacht verbringst,
verirrst dich leicht in beiden,
fraglich bleibt, was du erringst.

Es fehlt dir, Mensch, ein ehrliches Besinnen,
wie Zeit bewusst und wertvoll bleibt,
die Jahre eilen dir von hinnen,
bis dich dereinst der Tod entleibt.

Die Nacht, oh Mensch, will Freund dir sein,
Replik und Ruhe reichlich schenken
und schläfst du zögerlich nur ein,
mag sie dich zuversichtlich lenken.

Zwischen Traum, oh Mensch, und wachen Sachen
rollt dir die Nacht den Teppich aus,
manches einfach so zum Lachen, nachzumachen,
andres sieht bedrohlich aus.

Achte, Mensch, die Zweisamkeit der Nacht mit dir,
ungeahnte Freiheit stellt sie dar,
in Verbundenheit und Treue ganz und gar:
Jede Nacht, auf ihre Weise leise, sei dir Lebenselixier.




Donnerstag, 11. Juni 2020

Menschliches Glauben: Der Stern der Weisen (S. 93)


Dezember 1998

Folgt man alten Überlieferungen, so befand sich zur Geburtszeit Christi ein besonders auffallender Stern am Himmel und wies bekanntermaßen den Weisen aus dem Morgenlande den Weg nach Bethlehem. Mit dem heutigen Kenntnisstand lässt sich ziemlich sicher nachweisen, dass es keinen derartigen Stern gab, sodass der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem Symbolgehalt des Phänomens ruht. Die Gelehrten oder Weisen vor 2.000 Jahren waren oft auch Himmelskundige, deren Weisheiten jedoch weniger einer Wissenschaft in heutigem Sinne als vielmehr einer Deutungskunst genügten; Astronomie und Astrologie entsprachen noch ein und demselben. Davon aber unabhängig ist der philosophische Wert des zitierten Himmelslichts als Zeichen der Freude, des Optimismus, der menschlichen Wärme zu sehen. Sterne allgemein hoben sich ab vom Alltäglichen als überirdisch oder gar göttlich, charakterisiert als Garanten des Guten wie des Bösen.
     Heute wissen wir um die gewaltigen Energieprozesse innerhalb und außerhalb von Sternen. Wir kennen den segensreichen, einzig Leben ermöglichenden Erdabstand zur Sonne, unser Planetensystem haben wir sehr gut verstanden und auch schon manche Struktur unserer Heimatgalaxis definiert. Daher wissen wir: Es gab keinen physikalischen „Weihnachtsstern“; weder als Supernova, noch als Kometen (der sowieso kein Stern ist).
     Nun kennt man das Geburtsjahr Christi nicht so genau, so dass drei etwa 7 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung zu beobachtende enge Jupiter/Saturn-Konjunktionen, also Zusammentreffen der Planeten am Firmament, die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Viele populärwissenschaftliche Darstellungen folgen dieser Erklärung für die Existenz des Weihnachtssterns, doch erscheint dies eher opportunistisch, denn über einen Zeitraum von nur wenigen Jahren existieren am Himmel derart viele Zyklen, sodass sich zu beinahe jedem irdischen Geschehen irgendeine, oft auch an den Haaren herbeigezogene, Himmelsentsprechung konstruieren lässt, so man nur will.
     Das wiederum ist das Geheimnis der heutigen Astrologie als Täuschung auf der ganzen Linie, begünstigt durch die Mentalität einer Gesellschaft, die millionenfach Weihnachtssterne aufhängt im kalten Geschäftslicht, das jeden Sternhimmel, selbst den in unserer Seele, niederstrahlt. Glücklich waren die Weisen damals; sie folgten einem klaren, verzaubernden Sternhimmel und einer freudigen Hingabe. Die Marksteine heute sind zum Beispiel kommerzielle Skybeamer, die den Nachthimmel dem Menschen entfremden. Die Lichtverschmutzung geht einher mit unsäglichen Abfallmassen, die wir in den Himmel und wieder herabbefördern durch militärische Projekte, extensiven Menschen- und Gütertourismus und durch geistige Verseuchungen, die via Satellitenfernsehen die Menschen befallen. Der Massenmensch verfügt über entrückte und verrückte Weltbilder, obgleich ihm die moderne Forschung wirklich grandiose Weiten eröffnet, denen er sich aber verschließt. Das ist die eigentliche Tragik.
     Schon ein bescheidenes Fernglas kann zu Einsichten führen, denn die überwältigende Anzahl der verschiedenen Himmelsphänomene hat allemal die Qualität eines Weihnachtssterns, den eigenen Standort physiologisch wie psychologisch-philosophisch zu bestimmen. Man muss sich allerdings, frei nach Kant, bemühen: Sapere aude – wage es, deinen Verstand zu gebrauchen!


© Raymond Walden 


 

Montag, 8. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (374)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4794
Kritik aus der Nähe trifft tiefer.

4795
Kontinent frivol: Europa geht sich auf den Sack, dabei hat es gar keine Eier, allenfalls eine schlaffe Brust.

4796
Wer aufhört zu „leben“, verursacht auch nichts mehr. Andere zeigen, wo es langgeht.

4797
Soll jeder glauben, was er will, behellige mich aber nicht. Ich will wissen, mehr als andere glauben.

4798
Jeder Schlag zeitigt einen Rückstoß; so ist das in der Gewaltspirale.

4799
Wie schnell ist ein Baum gefällt, der Stab gebrochen, ein Menschenleben im Überlegenheitswahn und im Namen eines Gottes gelöscht.

4800
Ideologie pervertiert das Lieben und Leben zum Morden und Sterben, millionenfach, immer wieder neu bewaffnet, denn das Gewehr spendet Frieden erst im Niedermähen, im ungeistigen Drill des Vernichtens.

4801
Es gibt ein Leben abseits vom Jenseits, abgewandt von Mission, Werbung, Propaganda und Indoktrination: intelligentes Leben.

4802
Regierungsamtliches Lügen straft die Völker, kaum die Schandmäuler.

4803
Geistige Hygiene meint sauberes Denken und klares empathisches Empfinden, nicht aber beweihräuchertes Glauben und steriles Erstarren in pandemischem Dogmatismus.

4804
Inzwischen sind mehr Menschen an Corona verblödet als gestorben und so verendet der freiheitliche Rechtsstaat ganz beabsichtigt, aber hinreichend unbemerkt.

4805
Wäre die Welt, wie gelegentlich im Überdruss behauptet, ein Irrenhaus, müssten sich auch die Betreiber und Organisatoren erkennen lassen, doch ich höre scheinbar immer nur Patienten und sehe Schweigen innerhalb normaler, erbarmungswürdiger Verhältnisse.

4806
In jedem anbrechenden Frühlingsmorgen erwacht Erneuerung, bestätigt sich im Werterhalt, in Lebensfreude und in demütiger Erinnerung an Vergangenes.

4807
Neue Normalität“, gemessen woran? Normal Null?


© Raymond Walden




Freitag, 5. Juni 2020

Menschliches Glauben: Sind wir „nun mal ein christliches Land“? (S. 91)


November 1998

Ein CDU-Ratsherr, zugleich Lehrer, beklagte, dass sich an deutschen Schulen immer mehr Kinder vom Religionsunterricht befreien ließen und dadurch die Schulen vermehrt das Problem der Aufsicht von sogenannten Auffanggruppen zu bewältigen hätten. Und in der Tat, in diesen Gruppen sammeln sich nicht nur Konfessionslose, sondern Angehörige der verschiedenen nicht christlichen Religionen sowie gedankenlose Drückeberger.
     „Wir sind nun mal ein christliches Land“, vertrat der Pädagoge seine Weltsicht und forderte, all die anderen hätten sich unseren Werten und Normen zu fügen. Vordergründig mag man dem vielleicht zustimmen, doch was sind das für Normen im praktischen Leben, sind sie es wert, als unveränderlich für alle Zeiten zu gelten? Und verhält sich unsere Gesellschaft, wenn schon nicht human, wenigstens christlich gegenüber anderen Kulturen?
     Prof. Dr. Gerard Radnitzky schreibt in der Zeitschrift „Humanes Leben - Humanes Sterben“, Nr. 3/98: „Der klassische Liberalismus gibt für den öffentlich-politischen Bereich der persönlichen Freiheit die Priorität; der Fundamentalismus und daher auch die totalitäre Demokratie setzen andere Werte als 'letzte' Werte. Christen zum Beispiel neigen oft dazu, es als 'Christenpflicht' zu betrachten, missionarisch anderen ihre Moral aufzuoktroyieren – ein Totalitarismus in potentia.“
     Gerade unter diesem Blickwinkel ist die Rolle von Politikern und Parteien zu hinterfragen; wiederum zitiere ich aus „Humanes Leben - Humanes Sterben“, Nr. 3/98, diesmal Gedanken von Carl Jaspers: „Das Unheimliche ist: In der Freiheit selber liegt ein Grund des Verderbens. Die Welt politischer Freiheit ist verloren ohne große Staatsmänner, die durch die Schulung freier Männer zuverlässig von Generation zu Generation neu erwachsen. Mit allem, was sie tun, kämpfen sie in den gegebenen Chancen der Freiheit für diese. Sie kennen die Gefahr: Das Wagnis lohnt sich ihnen, weil es um das höchste Daseinsgut der Menschen geht. Sie haben Mut, Urteilskraft und Geduld. Von ihnen gilt, was von Perikles berichtet wurde: dass man ihn, seitdem er Athen lenkte, nicht mehr habe lachen sehen. Anders die Politiker. Sie sind opportunistische Realisten, Betriebmacher, listige Menschen und Erpresser. Unbekümmert vital handeln sie im Namen der Freiheit. Sie entziehen sich, wenn sie bloßgestellt sind, durch Lügen und Witze. Durch ihr Verhalten verhöhnen sie das Parlament, das, gleicher Art, es kaum merkt und nicht daran denkt, solche Frevler am Geist der Politik aus dem Sattel zu werfen. Mit sentimentalen Sprüchen täuschen sie einen Ernst vor. Sie sind Verderber der Freiheit.
     Dieser Typus von Politikern hält seine Aufgabe, ohne Berufung, für einen Beruf, einen vielfach aussichtsreichen, mit gutem Einkommen und Pensionsberechtigung. Sie meinen, er sei risikolos. Sie denken ohne Verantwortung. Dabei unterwerfen sie sich, in Gefahr ratlos, jeder sie vermeintlich sichernden oder wenigstens rettenden Macht, wie 1933. Kaum etwas war erniedrigender für sie und ihren Staat und kaum etwas richtiger als die Verachtung, die Hitler und Goebbels 1933 in ihren vollends in die Knie zwingenden Hohnreden über sie ergossen. Der Geist der freien Welt gibt ein zweideutiges Bild. Wir freien Völker sind noch keineswegs politisch eigentlich frei. Im wirtschaftlichen Wohlergehen, im Weiterschliddern, in bloßen Aufregungen liegt keine Freiheit. Die Aristokratie der Einsichtigen vermindert sich. Die Verteilung der Verantwortung erzeugt Verantwortungslosigkeit. Die Demokratie wird zur Parteienoligarchie.“ (Jaspers, Karl: Kleine Schule des philosophischen Denkens. 10. Aufl., München und Zürich 1997, S. 87f)“
     Im parteiübergreifenden Machtspiel manifestiert sich die bestechliche, einer doppelten Moral folgenden Kultur des Abendlandes, ganz besonders auch in Deutschland: Eine Turnschuh-Figur als Außenminister, ein RAF-Anwalt als Innenminister. Und allenthalben Politpromis, die ihre Kinder in anthroposophischen, „freien“ Waldorfschulen nach Steiners okkultem Weltbild verbilden lassen. – Diese „verchristlichte“ Landschaft ist zutiefst inhuman. Sich damit abzufinden, ist aus der Hoffnungslosigkeit heraus zwar verständlich, dennoch heißt Leben, heißt humanes Leben auch, sich herausfordern zu lassen, dem systematisierten Unsinn entgegenzutreten. Das kann sogar Spaß machen!


© Raymond Walden 


 

Donnerstag, 4. Juni 2020

Part of the Universe


Cosmonomic Glimpse (16)
from a Viewpoint of Liberty


Cosmonomic philosophy is not an academic one but is considering the thinking, feeling and acting in practical life concerning culture, politics, religion, economy, social structures, science and nature, freedom, peace, humanity and democracy – just to mention only some aspects.

Cosmonomy does not depend on any nationalism, racism or any thinking of superiority, it is just determined by the thoughts of enlightened people practicing emancipation by the consciousness of the cosmopolitan destination of mankind instead of narrow-minded regional views and dogmas or religious variations of doomsday prophecies and “holy wars”.

Cosmonomy does not deny the love of home and family, the love of home countries and humane social societies but Cosmonomy is embedding them all into the facts of cosmic dependence: because our unique home planet The Earth, is situated in its own overwhelming home which is the fabulous Universe.
So we are part of the Universe, we, too, belong to the great Cosmos with its valid natural laws.
And we should behave according to these generous rules which enable us to ease daily life by intelligent responsibility for the benefit of human dignity which is one condition to alleviate so many problems that cause lots of our quarrels and sufferings.




Dienstag, 2. Juni 2020

Menschliches Glauben: Trauer ist nur für Lebende (S. 90)


August 1998

Achtzig Jahre nach dem Attentat auf die russische Zarenfamilie erfolgte jetzt die feierliche und protokollarische Beisetzung der sterblichen Überreste in St. Petersburg. Jahrzehntelang war nicht bekannt, wo die Mörder ihre Opfer beseitigt hatten. Nun also für alle Zaristen und reaktivierten Christgläubigen die pathetische Inszenierung, der auch der russische Präsident beiwohnte.
     Wem nutzt ein solcher Trauerakt? Den Ermordeten jedenfalls nicht, denn sie sind tot, sollte man meinen. Vorsorglich hat aber die russisch-orthodoxe Kirche die Toten zu Heiligen erklärt und damit für die Gläubigen eine Art Reinkarnation der Blaublütigen in Gang gesetzt. Denn Heilige sind für die Religiösen zumindest so real, dass man in Gebeten mit ihnen Kontakt pflegt. Abgesehen davon, dass die Zarensippe zu Lebzeiten alles andere als „heilig“ war, schafft man so die esoterische Überhöhung. Das russische Glaubensvolk, heute unfähiger denn je, mit seinen Lebensmiseren fertig zu werden, flüchtet sich in die veralteten Irrationalitäten und erlebt wenigsten feierliche Stunden ergreifender Abgehobenheit vom schmerzlichen Alltag. Die Kirche freut sich über ihre eigene Renaissance und der Politfuchs Jelzin weiß, wie man Gläubige für sich einnimmt, damit die eigenen Aussichten auf eine erfolgreiche Wahl sich nicht chancenlos im Gottvertrauen verlieren.
     Trauer kann die Toten nichts mehr angehen. Diese unumstößliche Wahrheit könnte für Trauernde eine Erleichterung bieten, denn letztlich reduziert sich das Trauern auf das Empfinden der Lebenden. Trauer wird viel erträglicher und sinnvoller, legt man die oft gehörige Portion Selbstmitleid ab.


© Raymond Walden




Montag, 1. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (373)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4782
Schenkt dir die Natur die schönsten Tage, liegt es auch an dir, das Glück zu schöpfen.

4783
Übrigens, wenn wir einst nicht mehr sind – für immer –, werden wir es auch nicht wissen und nimmer fühlen.

4784
Kein wahrer Tierfreund setzt zu viele Fische in seinen Teich, zu viele Vögel in die Voliere; nur aus dem Jenseits ertönt das tödliche „Wachset und mehret euch“ – auf einem begrenzten Planeten.

4785
Fische lachen nicht, all so symbolisieren sie die Christenheit.

4786
Redundante Wiederholungen politischer Aussagen übertünchen regelmäßig das beabsichtigte Gegenteil.

4787
Qualitätsjournalismus“ entblößt sich schon in dieser Wortschöpfung als zu vertuschender Notstand, als sprachliches und inhaltliches Defizit, aber auch als überbordende Opportunität, sogar als willfähriges Propagandaorgan.

4788
Freiheit lässt sich nicht vorschreiben, verordnen, denn sie besteht als solche auf freiwilliger, emanzipatorischer Übereinkunft, amtlich auf einer vom Volk verabschiedeten Verfassung. Wo aber ist das aktuell?

4789
Wer Tiere kennt, weiß einiges um ihr Verhalten. Bei Menschen stehe ich ratlos vor mir und wundere mich über so manchen.

4790
Sonntagsaphorismen schleimen sich ein, sind auf ihre Weise schlüpfrig.

4791
Wo man Menschen zum Töten zwingt, hat die Neuzeit nicht begonnen; sie wird nicht einmal gewollt von all den Friedensheuchlern.

4792
Natürlich lebe ich auf einer Oberfläche, nicht jedoch oberflächlich, sondern immer über dem Mittelpunkt des Planeten.

4793
Diktaturen und verkommene Demokratien verwehren Redefreiheit, weil sogar kleine Aphorismen in Treffsicherheit die Tyrannei das Fürchten lehren.


© Raymond Walden



Freitag, 29. Mai 2020

Menschliches Glauben: Abstand (S. 88)


August 1998

Abstand zu halten, mag nicht nur bedeuten, Anstand zu bewahren – etwa im Straßenverkehr oder am Bankschalter – , sondern kann auch ein tiefer verankertes Sozialverhalten kennzeichnen: Überlegungen, gar Überlegenheit, im Abstand zu den Dingen, zu den Lebensphänomenen und folglich auch zum Ich. Abstand meint dann nicht Abseits oder Rückzug, denn der Abstandhaltende gewinnt an Überblick, der die eigene Vorsicht untermauert und natürlich auch zu Absagen, Stornierungen, Aufkündigungen führen kann, wohl aber kaum im Sinne von Resignation. Gerade die Kühle des Kopfes ist geeignet, leidenschaftliches Engagement zu begründen, eine Hingabe nicht mit billigem Fan-Gehabe, die auch keineswegs mit konservativem Patriotismus oder Nationalismus verwechselt werden möchte – und schon gar nicht mit moralisch-religiöser Überhöhung oder Unterwerfung.
     Abstand zu taxieren, erfordert klare Bewusstseinsvorgaben, um, bleiben wir beim Bild des Straßenverkehrs, vorausschauend zu fahren. Stets muss ich mit der Unzulänglichkeit, ja Dummheit anderer Straßenbenutzer rechnen. Die Möglichkeit eines technischen Versagens, die Berücksichtigung landschaftlicher und meteorologischer Gegebenheiten sowie meiner eigenen Fehlbarkeit in der Beurteilung aller zuvor genannten Gesichtspunkte können eine sachliche, selbstsichere Fahrweise zur Selbstverständlichkeit werden lassen, die aber niemals alle Risiken ausschließt. Insofern führt dieser verkehrstechnische Gedankenausflug zur allgemeinen Feststellung, dass sich Risiken nur minimalisieren, nicht abschaffen lassen.
     Mir scheint, dass diese Binsenweisheit von den meisten Menschen verdrängt wird. Deshalb gehen viele Zeitgenossen zwar auf Abstand im Sinne von „sich da raushalten“, glauben in einer derartigen Beziehungslosigkeit sicher zu sein – besonders wenn sie auch gegen jedes und alles versichert sind –, merken aber nicht, wie sehr gerade sie mittendrin stehen im oberflächlich nivellierenden Massentrend. Direkt gesteuert durch Werbung, politische Anmache, ideologische Missionierung und krankhaft kokettierende Eitelkeit, schrumpft der Abstand auf jene Minimalität, die sogenannte Steher einhalten, wenn sie auf ihren Rennrädern hinter einem Temposchrittmacher herjagen.
     Dies ist ein Grund für die irrationale Schnelllebigkeit, für die Vergesslichkeit, die zum Beispiel Wahlversprechen so wertlos macht. Noch einmal: Abstand meint nicht Abwinken, Teilnahmslosigkeit, wohl aber Distanz zur Subkultur, ganz besonders auch, weil dieses Phänomen der geschwätzigen Viellaberei mehr und mehr Einzug hält gerade in regionale, vielleicht nicht ganz so profilierte Stadtratsköpfe, die sich sogar bei der Abwasserbeseitigung auf ihre jeweiligen Gurus Joschka, Gerd oder Helmut berufen, sich gar vom Papst gesegnet fühlen. Abstand meint Feinfühligkeit, Respekt oder anders formuliert, niemandem zu nahe zu treten. Dies wiederum erfordert Takt. Doch welcher dieser Egoisten, aus denen die Masse sich zusammensetzt, kennt diesen Terminus überhaupt noch?
     Nun vernehme ich schon die Kritiker: „Der macht alles madig.“ Irrtum, ein Madigmacher hätte nämlich längst resigniert. Ich kenne immerhin einige Leute, die nicht aufgeben, die aktiv hart am Ball sind, weil sie begriffen haben, dass Lebensqualität in erster Linie heißt, feinfühligen Abstand zu erzeugen, zu wahren, Respekt entgegenzubringen, der Falschheit aber entschlossen zu begegnen, um die Grundlage eigener Besonnenheit zu erhalten. Ein Friedensprinzip!


© Raymond Walden





Mittwoch, 27. Mai 2020

Menschliches Glauben: Kann denn Liebe Sünde, Atheismus etwa realistisch sein? (S. 87)


August 1998

Ich befürchte, beides bejahen zu müssen. Mein Unbehagen bei dem Gedanken wird belebt durch den Dualismus Sünde - Realismus, denn ich kann zwar dieser Sünde absprechen, dass sie im Realen begründet liegt, damit verschaffe ich dem Atheismus, dem Freisein von Religion, aber keineswegs Bedeutung im Hier und Jetzt, denn die Wirklichkeit in unserer verkommen spiritualisierten Gesellschaft besteht im fortwährenden Sündigen in den Fesseln eines praktizierten Anti-Atheismus: Wie sollte man denn alle wirklichen Geheimnisse des Lebens, Zeugung, Geburt und Tod, schon anders beschreiben als mithilfe von Spiritualität, sprich Religiosität? Und ist Verliebtsein nicht göttlich? – Doch sind es nicht Blindengötter, im jeweiligen Augenblicke die umnebelten Visionen von dem einen, eigenen Gott, der sich, wie nicht nur der Scheidungsalltag lehrt, zu oft als Traumgebilde erweist? Innerhalb solcher Multivision, die dann auch noch persönliche Urheberrechte geltend macht, verwechseln die Paare systemkonform Liebe, Eros und Sex, übergewichten und unterschätzen, sodass sich Psychotherapeuten jeglicher Art Gewinn schöpfend die Hände reiben.
     Ich pointiere: Eine Partnerschaft, die nur auf Sex aufbaut, ist oberflächlich. Eine tiefere Partnerschaft, die wie auch immer am Sex zerbricht, hat die eigentlich beanspruchte Qualität nie besessen. Der Atheist könnte hilfreich erklären: Sex ist das eine, Liebe das Erstrebenswertere, kommen beide zusammen, dann ....
     Ersparen wir uns hier die phantastischen Welten, nicht etwa um sie zu leugnen, sondern im Sinne von Humanismus, also von Gleichberechtigung und Menschenachtung, ganz bescheiden einzugestehen, dass die Masse der Weltbevölkerung mit dem Weltbild „Atheismus“ hoffnungslos überfordert ist. Atheismus erfährt seine Realität nur unter Aufgeklärten, denn was nützt das sachliche Weltbild im Wust esoterischer Religionen!
     Was nützt Humanismus, was nützen klare menschliche Vorstellungen, Wünsche, wenn Götter menschlichen Ursprungs – menschlich heißt in dem Fall „irrfähigen, fehlerhaften Charakters“ – quasi aus ihrer Phantasiegeburt heraus über auch nur einen Menschen erhoben werden? Die moralischen Instanzen des Atheisten heißen Menschenachtung, Bildung und Ehrlichkeit. Wer den Menschen achtet, wird sich mit Interesse bilden, beides wichtige Voraussetzungen für Ehrlichkeit – nicht nur gegenüber den Menschen, sondern in Bezug auf die gesamte Natur. Atheismus wird allgemein menschenfreundliche, moralische, also wertverbindliche, Instanz aus Einsicht – nicht Diktat! Atheismus wird real und jede Sünde im Zusammenhang mit Sex wird irreal, so Menschenachtung das Empfinden und Handeln bestimmt. Eingestandenermaßen eine Zukunftsvision: Dogmatismus und Eifersucht werden verifiziert als erniedrigende, von Religion begünstigte Relikte, zum Ablegen bestimmt.
     Keine Realität lebt ohne die Vision – Vision aber meint nicht Halluzination. Alles klebt förmlich an der Frage: Wird nicht nur das Individuum, sondern wird vor allem auch der Massenmensch genügend Verstand entwickeln? Ich traue im gegenwärtigen Standium der Evolution der Masse wenig zu, denn Entwicklung allgemein stützt sich nicht auf das passive Element, sondern lebt von Aktivisten.


© Raymond Walden 


 

Freitag, 22. Mai 2020

Demokratie, du bist es gar nicht


Das Theaterstück ist aus,
der Vorhang fällt,
üblicherweise folgt Applaus,
nicht jedoch in einer Welt,
die nichts Genaues weiß
und deshalb panisch reagiert;
egal zu welchem Preis,
es werden Freiheitsrechte ausradiert.

Da unten im Plenum kein Publikumsgesicht,
ein Paar Techniker nur für Kamera, Ton und Licht.
Kein Chor auf der Bühne,
dass sich ja keiner erkühne,
zu "nahezukommen" den „Infizierten“,
den Vermuteten, kaum Identifizierten!
Man folge „Experten“, ideologisch klassifizierten,
und nicht dem wissenschaftlich Manifestierten,
sondern wechselnden Meinungen, den redundant insistierten,
der Spekulation, der Angst und Panik von Hysterisierten.

Wie kommt es, Demokratie,
hast du dich selber verraten in all den Jahren?
Wird jetzt deutlich dein Versagen,
deine Sorglosigkeit im Wachstumswahn, in Gigantomanie?
Wie bist du mit den Armen der Welt verfahren,
was kümmert dich dein eklatantes Fehlbetragen
gegen Menschlichkeit, gegen Achtung von Tier- und Pflanzenwelt,
gegen Luft, Wasser, Grund und Boden?
Alles für Geld!
Alles für hinterhältig konstruierte Antipoden!

Neue Normalität“ nennst du dein konzeptloses Gezappel im weiteren Verlust deiner Identität.
Kennst du dich eigentlich noch selbst in anachronistischer Nationalität,
in überrüsteter Gewaltherrschaft und propagandistischer Verkommenheit?
In selbstüberzogener Benommenheit?

Es scheint, Demokratie, du warst nie ganz da;
und ich glaubte an dich, täuschte mich:
Du bist gar nicht du!

Demokratie müssen wir Menschen erst noch ins Dasein bringen
in ehrlichem, gesundem, in friedlich-kosmonomisch-intelligentem Ringen.
Wir haben eine Perspektive.




Donnerstag, 21. Mai 2020

Menschliches Glauben: Bibelsprüche für Johannes Rau (S. 86)


Mai 1998

Der Westdeutsche Rundfunk (WDR II) forderte am 22.5.1998 seine Hörer auf, zum Abschied Johannes Raus von seinen politischen Ämtern passende Bibelsprüche zu faxen. Bemerkenswert, denn auch so lässt sich die staatlich-kirchliche Verquickung dokumentieren, für die nicht nur Johannes Rau ein Paradebeispiel ist.
     Machen wir uns nichts vor, für den beispiellosen Verfall der Hauptschulen in NRW ist dieser christliche Mann mitverantwortlich und für die Augenwischerei mit der angeblichen Chancengleichheit durch die Gesamtschule ebenfalls. In seiner Regentschaft verschlechterten sich die Bedingungen nicht nur für die Schüler, sondern auch für die (angehenden) Lehrer, für Studenten und Hochschullehrer. NRW war einmal die Nummer 1 unter den Bundesländern; unter Rau ging diese Position verloren.
     Der Abschied des Mannes, dem Ehrlichkeit und Fleiß nicht abzusprechen sind, produziert eine unerträgliche Gleichschaltung der öffentlichen Meinungsmacher, wenn etwa in der „Neuen Westfälischen“ vom 23.5.1998 die Überschrift „Der Junge kommt von der Kirche“ prangt und dann alle möglichen mehr oder weniger wichtigen Leute sich überwiegend in Lobeshymnen ergehen, die bei Friedhelm Ost gipfeln: „Das Werk von Johannes Rau sollte nach biblischem Maß bewertet werden.“ Bei so viel indifferentem Personenkult und salbungsvollen Reden auf dem SPD-Sonderparteitag, selbst von jenen Leuten, die Raus Rücktritt vorangetrieben haben, denke ich unwillkürlich an „Selig die Armen im Geiste“.
     Nun soll Rau auch als Nachfolger von Bundespräsident Herzog gehandelt werden. Das weist sogar einige Logik auf: Ein weithin gewürdigter Sonntagsredner übergäbe sein Amt an einen bibelfesten Prediger, auf dass Staat und Kirche weiterhin kungeln mögen.


© Raymond Walden




Dienstag, 19. Mai 2020

Menschliches Glauben: Religion Fußball (S. 85)


Mai 1998

Der Provinzclub Kaiserslautern wurde deutscher Fußballmeister und verwies die Finanzgiganten aus Bayern auf Platz zwei. Die sogenannten Fans vom Betzenberg unterscheiden sich allerdings keineswegs von denen der Weltstadtkicker, denn im Siegesrausch offenbarten sich einige der schwarzweiß getüpfelten „Großkopferten“ als das, was das Fernsehen denn auch gern wirkungsvoll ins Bild rückt: sinnentleerte arme Gestalten, die den FCK und seine Siege zu ihrer „Religion“ gemacht haben, für die sie - so wörtlich – „über Leichen gehen“. Natürlich freut sich der Zirkus „Profifußball“ über derart nützliche Idioten, das Fernsehen und die darin Werbenden profitieren allemal von solch gestandener Religiosität.
     Nur noch wenige Tage bis zur Seligkeit der „Weltmeisterschaft“ in Frankreich, wenn dann auch noch der Klang der Nationalhymnen die Religion Fußball zu dem erhebt, was ihre geldschweren Drahtzieher anstreben, nämlich Geld und Pathos für noch mehr Geld, freilich nur im Interesse der Fußballgläubigen. Und es gibt sie ja wirklich, die armen Nationen, in denen ein Sieg der Gladiatoren den alltäglichen Kummer der Menschen für ein paar Stunden vergessen macht.
     Doch bleiben wir fair gegenüber dem Fußball; er übernahm doch nur jene Mechanismen, die in allen möglichen Bereichen unserer Gesellschaft, nicht zuletzt bei unseren Politikern, von denen einige ja auch im Fußball mitmischen, als „gesunder Wettbewerb“ bezeichnet werden.


© Raymond Walden