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Freitag, 29. Mai 2020

Menschliches Glauben: Abstand (S. 88)


August 1998

Abstand zu halten, mag nicht nur bedeuten, Anstand zu bewahren – etwa im Straßenverkehr oder am Bankschalter – , sondern kann auch ein tiefer verankertes Sozialverhalten kennzeichnen: Überlegungen, gar Überlegenheit, im Abstand zu den Dingen, zu den Lebensphänomenen und folglich auch zum Ich. Abstand meint dann nicht Abseits oder Rückzug, denn der Abstandhaltende gewinnt an Überblick, der die eigene Vorsicht untermauert und natürlich auch zu Absagen, Stornierungen, Aufkündigungen führen kann, wohl aber kaum im Sinne von Resignation. Gerade die Kühle des Kopfes ist geeignet, leidenschaftliches Engagement zu begründen, eine Hingabe nicht mit billigem Fan-Gehabe, die auch keineswegs mit konservativem Patriotismus oder Nationalismus verwechselt werden möchte – und schon gar nicht mit moralisch-religiöser Überhöhung oder Unterwerfung.
     Abstand zu taxieren, erfordert klare Bewusstseinsvorgaben, um, bleiben wir beim Bild des Straßenverkehrs, vorausschauend zu fahren. Stets muss ich mit der Unzulänglichkeit, ja Dummheit anderer Straßenbenutzer rechnen. Die Möglichkeit eines technischen Versagens, die Berücksichtigung landschaftlicher und meteorologischer Gegebenheiten sowie meiner eigenen Fehlbarkeit in der Beurteilung aller zuvor genannten Gesichtspunkte können eine sachliche, selbstsichere Fahrweise zur Selbstverständlichkeit werden lassen, die aber niemals alle Risiken ausschließt. Insofern führt dieser verkehrstechnische Gedankenausflug zur allgemeinen Feststellung, dass sich Risiken nur minimalisieren, nicht abschaffen lassen.
     Mir scheint, dass diese Binsenweisheit von den meisten Menschen verdrängt wird. Deshalb gehen viele Zeitgenossen zwar auf Abstand im Sinne von „sich da raushalten“, glauben in einer derartigen Beziehungslosigkeit sicher zu sein – besonders wenn sie auch gegen jedes und alles versichert sind –, merken aber nicht, wie sehr gerade sie mittendrin stehen im oberflächlich nivellierenden Massentrend. Direkt gesteuert durch Werbung, politische Anmache, ideologische Missionierung und krankhaft kokettierende Eitelkeit, schrumpft der Abstand auf jene Minimalität, die sogenannte Steher einhalten, wenn sie auf ihren Rennrädern hinter einem Temposchrittmacher herjagen.
     Dies ist ein Grund für die irrationale Schnelllebigkeit, für die Vergesslichkeit, die zum Beispiel Wahlversprechen so wertlos macht. Noch einmal: Abstand meint nicht Abwinken, Teilnahmslosigkeit, wohl aber Distanz zur Subkultur, ganz besonders auch, weil dieses Phänomen der geschwätzigen Viellaberei mehr und mehr Einzug hält gerade in regionale, vielleicht nicht ganz so profilierte Stadtratsköpfe, die sich sogar bei der Abwasserbeseitigung auf ihre jeweiligen Gurus Joschka, Gerd oder Helmut berufen, sich gar vom Papst gesegnet fühlen. Abstand meint Feinfühligkeit, Respekt oder anders formuliert, niemandem zu nahe zu treten. Dies wiederum erfordert Takt. Doch welcher dieser Egoisten, aus denen die Masse sich zusammensetzt, kennt diesen Terminus überhaupt noch?
     Nun vernehme ich schon die Kritiker: „Der macht alles madig.“ Irrtum, ein Madigmacher hätte nämlich längst resigniert. Ich kenne immerhin einige Leute, die nicht aufgeben, die aktiv hart am Ball sind, weil sie begriffen haben, dass Lebensqualität in erster Linie heißt, feinfühligen Abstand zu erzeugen, zu wahren, Respekt entgegenzubringen, der Falschheit aber entschlossen zu begegnen, um die Grundlage eigener Besonnenheit zu erhalten. Ein Friedensprinzip!


© Raymond Walden





Donnerstag, 10. Januar 2019

Tief zu denken

Tief zu denken, welch ein Komfort,
die Zeit zu haben, sie sich zu nehmen,
bei entspannt ruhigen Herzschlägen,
fühlbar, hörbar,
die Gedanken fliegen zu lassen
in freiheitliche Höhen von Details und Universalität,
Kausalität und Logik nicht verlierend,
Gefühle nicht vergessend, Emotionen zu erlauben,
nach solchen Gelegenheiten auszuschauen,
sie wahrzunehmen und zu pflegen,
im günstigen Falle auch zu teilen
mit Wissenden, denken wollenden und könnenden, mit empathischen Mitmenschen,
dann darf das Herz getrost auch lauter, schneller, euphorisch werden,
um alsdann zurückzukehren in befriedigte, friedfertig sichere Gelassenheit.

So, ganz anders als in alltäglich irrenden Gepflogenheiten, geht Denken auch
und mag sogar Heilung und Gesundung zeitigen.




Samstag, 18. Juli 2015

Stille Spuren


In der Stille des Augenblicks
und des wachen Verstandes
teilt sich die Gegenwart allen Sinnen am eindringlichsten mit.
Die Vergangenheit unterliegt der Erinnerung,
bedarf des Protokolls, des Bildes, der Deutung,
auch des objektiven Beweises.
Zukunft meint Wünsche, Träume, Ängste, Perspektiven,
Planungen und Ansporn,
Kreativität und Ungewissheit, Realitätsferne sogar.
Gegenwart ist die flüchtigste,
ein sinniger, sinnlicher Schnappschuss, und schon vorbei,
jetzt.

Stille hört man nicht, in des Wortes Bedeutung,
aber man fühlt sie,
riecht und schmeckt und sieht sie,
sogar mit geschlossenen Augen.
Eine objektive Wahrheit
in ganz individuellem Erleben, oft so flüchtig.

Wie leicht folgt die subjektive Täuschung, ist nur
einer der Sinne getrübt,
oder verschlafen wir unsere Aufmerksamkeit.

Die Sinne „sensibilisieren“ sich in der Stille,
nicht im Getöse, im Klamauk irgendeiner Räson.
Der Sinn des Lebens legt stille Spuren.



Montag, 19. Mai 2014

Täglich


Leise löst sich der Morgen aus der Nacht
in einer Symbiose aus heiterem Hoffen
und mahnender Melancholie der immerwährenden Vergänglichkeit.
Dann regiert Realität:
Träume werden wahr, Ängste auch.
Aufstehen, arbeiten, lernen, planen, kämpfen,
leiden, gewinnen, feiern, lieben, innehalten, müde werden,
und die Nacht empfängt den ausgeglühten Tag
in einer Symbiose aus erloschener Energie
und inspirierender Intuition der lebenslangen Zuversicht.
Sterne gehen auf,
das Firmament wird transparent
zur guten Nacht.



Dienstag, 11. März 2014

Leben am Strand


Dass ich hier entlang schlendere,
immer wieder in all den Jahren,
beeindruckt niemanden, keinen Menschen,
auch keine anderen Lebewesen
und schon gar nicht das schweigende Universum.

Ich aber bin gefangen auf diesen Pfaden,
befangen,
ich erlebe intensiv subjektiv,
weil objektive Phänomene mich berühren, mich wachrufen
und zur Besinnung bringen wollen.

Strandläufer bin ich entlang von Küstenwegen
durch Dünen, auf Felsenklippen, im Watt.
Ich gelange über San Franciscos Golden Gate
an Londons Buckingham Palast, ziehe unter dem St. Gotthard her,
hinauf zum Kraterrand des Ätna, quer hinweg über Hamburgs Reeperbahn,
hinüber zum Strip in Las Vegas, durchs Tal des Todes,
vorbei in Rom am Petersdom, griechische Windmühlen umkurvend,
auf Weinhängen oberhalb von Banyuls und Collioure,
vom Whistler Mountain über den Teide, dem Rhein folgend,
direkt durchs Brandenburger Tor,
zurückschauend auf Verdun,
aufschauend zu den Sternen;
Durchblick und Einsichten an den Teleskopen und Mikroskopen der Welt.

Küstenwege des Lebens,
ständigen Veränderungen ausgesetzt
durch natürliche und menschliche Wildnis;
mal sanft, mal schroff gezeichnet,
führen sie nach innen, Umwege eingeschlossen.
Unerwartete Besonderheit?
Alle sind ausgezeichnete Privatwege zu einem weltoffenen Kosmos auf Erden.
„Überall, wo Frieden möglich wäre“, raunt die sanfte Dünung,
die mich im Sonnenaufgang wiegt.
Ich tauche ein und lebe.