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Dienstag, 2. Juni 2020

Menschliches Glauben: Trauer ist nur für Lebende (S. 90)


August 1998

Achtzig Jahre nach dem Attentat auf die russische Zarenfamilie erfolgte jetzt die feierliche und protokollarische Beisetzung der sterblichen Überreste in St. Petersburg. Jahrzehntelang war nicht bekannt, wo die Mörder ihre Opfer beseitigt hatten. Nun also für alle Zaristen und reaktivierten Christgläubigen die pathetische Inszenierung, der auch der russische Präsident beiwohnte.
     Wem nutzt ein solcher Trauerakt? Den Ermordeten jedenfalls nicht, denn sie sind tot, sollte man meinen. Vorsorglich hat aber die russisch-orthodoxe Kirche die Toten zu Heiligen erklärt und damit für die Gläubigen eine Art Reinkarnation der Blaublütigen in Gang gesetzt. Denn Heilige sind für die Religiösen zumindest so real, dass man in Gebeten mit ihnen Kontakt pflegt. Abgesehen davon, dass die Zarensippe zu Lebzeiten alles andere als „heilig“ war, schafft man so die esoterische Überhöhung. Das russische Glaubensvolk, heute unfähiger denn je, mit seinen Lebensmiseren fertig zu werden, flüchtet sich in die veralteten Irrationalitäten und erlebt wenigsten feierliche Stunden ergreifender Abgehobenheit vom schmerzlichen Alltag. Die Kirche freut sich über ihre eigene Renaissance und der Politfuchs Jelzin weiß, wie man Gläubige für sich einnimmt, damit die eigenen Aussichten auf eine erfolgreiche Wahl sich nicht chancenlos im Gottvertrauen verlieren.
     Trauer kann die Toten nichts mehr angehen. Diese unumstößliche Wahrheit könnte für Trauernde eine Erleichterung bieten, denn letztlich reduziert sich das Trauern auf das Empfinden der Lebenden. Trauer wird viel erträglicher und sinnvoller, legt man die oft gehörige Portion Selbstmitleid ab.


© Raymond Walden




Sonntag, 22. Dezember 2019

Menschliches Glauben: November: Christliche Trauer“aufarbeitung“ (S. 21)


November 1997

Ich gestehe, dass der November nicht meine Zeit im Jahre ist, sosehr ich mich bemühe, möglichst jedem Lebensabschnitt viel Angenehmes abzugewinnen. Denn eines steht für mich außer Frage: Trotz aller Rückschläge und Widerwärtigkeiten braucht man im Leben Optimismus und vor allem bedarf es einer Öffnung zu den Menschen hin. Dies fällt häufig sehr schwer, wobei die Ursache sowohl in der eigenen Verzagtheit wie auch in den Menschen liegt, mit denen man umzugehen hat.
     Der November jedenfalls hält mit seinen diversen Totengedenktagen für mich ein reales Problem bereit: die Trauer. Oft frage ich mich, ob Trauer, die ich empfinde, nichts anderes ist als entrücktes Mitleid oder gar Selbstmitleid, das zwar einem realen Anlass entspringt, aber von einer surrealen Welt zeugt. Es ist deshalb so unangenehm, das eigene Verhältnis zur Trauer laut zu hinterfragen, weil die Zuhörer oder Leser allemal geneigt sind, daraus Forderungen an sich selbst abzuleiten. Da ich jegliches Ansinnen in diese Richtung aufrichtig verneine, seien mir einige Bemerkungen zum Thema „Trauer“ gestattet.
     Der Tod an sich kann für einen naturwissenschaftlich geprägten Menschen nichts Schreckliches beinhalten, wohl aber der häufig leidvolle, tragische Weg des Sterbens. Die Problematik einer aktiven Leidensverkürzung, sprich Sterbehilfe, möchte ich hier gar nicht neu aufwerfen, sondern den Status des Todes charakterisieren.
     Kann man allen Ernstes in Trauerreden Verstorbene persönlich ansprechen? Definitiv besteht doch einzig und allein eine Wahrnehmung vonseiten der Trauergemeinde; es handelt sich also schlicht um einen Akt – bitte jetzt nichts Abwegiges interpretieren – der Selbstbefriedigung. Der Tote hat von dem ganzen Aufhebens nichts mehr. Dieses zu realisieren, würde den Abschied von Verstorbenen wirklich erleichtern.
     Nichts geht mehr nach dem Tode; alles was man im Leben gegenüber dem Verstorbenen versäumt oder falsch gemacht hat, lässt sich nicht mehr korrigieren. Jeder Versuch dieser Art ist nichts als scheinheilige Gefühlsduselei, die freilich von daran interessierter Seite als „Aufarbeitung“ des Trauerfalls gravitätisch durchpsychologisiert wird. Der Tod ist das logische und sinnvolle Ende, damit kann ich gut leben. Was mir das Dasein bisweilen schwer macht, ist die direkte Konfrontation mit den Jenseitsgläubigen, denen ich in dieser Beziehung nicht zu folgen vermag, die aber von mir erwarten, dass ich ihren Totenriten respektvoll beiwohne, ja dass ich sie beispielsweise im Verwandtenkreis in allen Einzelheiten nachvollziehe.
     Nein, der November, so wie diese Weltanschauung ihn geprägt hat, ist nicht mein Monat: Ich möchte niemals auf solche Art verabschiedet werden, zumindest müssen diejenigen, die mich dereinst auf herkömmliche Weise begraben wollen, wissen, dass ich dies ablehne.
     Nun mag man fragen, warum ich all das eigentlich erzähle. – Ich denke, dass vielleicht eine offen und ehrlich geführte Diskussion über das Begehen von entscheidenden Stationen der individuellen Existenz einiges beitragen könnte zu einem entspannteren Verhältnis im menschlichen Miteinander.
     Da fehlen einfach neue Antworten auf dieses mystische Weltbild.


© Raymond Walden




Freitag, 13. Dezember 2019

Menschliches Glauben: Der Umgang mit dem Tod (S. 11)


Oktober 1995

Nicht nur für den Sterbenden, sondern auch für die lebendige Gesellschaft bleibt der Tod ein einschneidendes Faktum. Man sollte sich daher zurückhalten mit Ratschlägen oder gar Forderungen, die den Tod von Mitmenschen berühren. Es muss aber erlaubt sein, laut über den eigenen Tod nachzudenken. Angesichts religiöser Totenkulte und damit verbundener Geschäfte möchte ich ohne Tabus über meinen eigenen Tod plaudern.
    Zunächst denke ich an meine Familie, die meine Bestattung nach ihren Vorstellungen gestalten sollte, denn für den Toten ist sie ohne Belang. In meinem Sinne aber wäre es, nicht auf einem christlichen Friedhof mit seinem höchst zweifelhaften „Rotlichtmilieu“ und saftigen Preisen zu landen, sondern mich als Asche im Wind oder Meer zu verflüchtigen. Ich möchte damit unterstreichen, dass ich nach dem Tode eben nicht mehr da bin, dass es daher keinen Sinn ergibt, dann an meinem Grab zu stehen und sich vor meinen Gebeinen – zu welchem Zweck? – zu verneigen. Wer sich meiner erinnern möchte, sollte Bilder aus meinem Leben betrachten, Fotos, Fernseh- und Rundfunkaufzeichnungen sehen und hören, lesen, was ich irgendwann geschrieben habe – und Nachsicht mit mir üben, dass nicht alles so gelungen war. Vom heutigen Standpunkt aus könnte ich mir mein Grab auf einem der herkömmlichen Friedhöfe nur als ein anonymes vorstellen.
    Vorausgehend, konsequent sind meine Vorstellungen vom eigenen Sterben: Bei eindeutig unheilbarer Krankheit lehne ich jede Leidensverlängerung ab und bitte darüber hinaus um aktive humane Sterbehilfe. Ich betone noch einmal, dies sind meine persönlichen Wünsche, die nur für mich gelten. Selbstverständlich respektiere ich andere Überzeugungen – für andere Personen. Wegen der gängigen Praxis möchte ich aber noch einmal unterstreichen, dass ich mir andererseits keine fremden Meinungen bezüglich meines eigenen Sterbens aufdrängen lassen möchte, auch nicht von Herrn Wojtyla, wie gerade wieder auf seinem USA-Kreuzzug versucht.
    Im übrigen, ich wurde gerade 50 Jahre alt und habe noch viele Pläne!


© Raymond Walden