November
1997
Ich
gestehe, dass der November nicht meine Zeit im Jahre ist, sosehr ich
mich bemühe, möglichst jedem Lebensabschnitt viel Angenehmes
abzugewinnen. Denn eines steht für mich außer Frage: Trotz aller
Rückschläge und Widerwärtigkeiten braucht man im Leben Optimismus
und vor allem bedarf es einer Öffnung zu den Menschen hin. Dies
fällt häufig sehr schwer, wobei die Ursache sowohl in der eigenen
Verzagtheit wie auch in den Menschen liegt, mit denen man umzugehen
hat.
Der
November jedenfalls hält mit seinen diversen Totengedenktagen für
mich ein reales Problem bereit: die Trauer. Oft frage ich mich, ob
Trauer, die ich empfinde, nichts anderes ist als entrücktes Mitleid
oder gar Selbstmitleid, das zwar einem realen Anlass entspringt, aber
von einer surrealen Welt zeugt. Es ist deshalb so unangenehm, das
eigene Verhältnis zur Trauer laut zu hinterfragen, weil die Zuhörer
oder Leser allemal geneigt sind, daraus Forderungen an sich selbst
abzuleiten. Da ich jegliches Ansinnen in diese Richtung aufrichtig
verneine, seien mir einige Bemerkungen zum Thema „Trauer“
gestattet.
Der
Tod an sich kann für einen naturwissenschaftlich geprägten Menschen
nichts Schreckliches beinhalten, wohl aber der häufig leidvolle,
tragische Weg des Sterbens. Die Problematik einer aktiven
Leidensverkürzung, sprich Sterbehilfe, möchte ich hier gar nicht
neu aufwerfen, sondern den Status des Todes charakterisieren.
Kann
man allen Ernstes in Trauerreden Verstorbene persönlich ansprechen?
Definitiv besteht doch einzig und allein eine Wahrnehmung vonseiten
der Trauergemeinde; es handelt sich also schlicht um einen Akt –
bitte jetzt nichts Abwegiges interpretieren – der
Selbstbefriedigung. Der Tote hat von dem ganzen Aufhebens nichts
mehr. Dieses zu realisieren, würde den Abschied von Verstorbenen
wirklich erleichtern.
Nichts geht mehr nach dem Tode; alles
was man im Leben gegenüber dem Verstorbenen versäumt oder falsch
gemacht hat, lässt sich nicht mehr korrigieren. Jeder Versuch
dieser Art ist nichts als scheinheilige Gefühlsduselei, die freilich
von daran interessierter Seite als „Aufarbeitung“ des Trauerfalls
gravitätisch durchpsychologisiert wird. Der Tod ist das logische und
sinnvolle Ende, damit kann
ich gut leben. Was mir das Dasein bisweilen schwer macht, ist die
direkte Konfrontation mit den Jenseitsgläubigen, denen ich in dieser
Beziehung nicht zu folgen vermag, die aber von mir erwarten, dass ich
ihren Totenriten respektvoll beiwohne, ja dass ich sie beispielsweise
im Verwandtenkreis in allen Einzelheiten nachvollziehe.
Nein,
der November, so wie diese Weltanschauung ihn geprägt hat, ist nicht
mein Monat: Ich möchte niemals auf solche Art verabschiedet werden,
zumindest müssen diejenigen, die mich dereinst auf herkömmliche
Weise begraben wollen, wissen, dass ich dies ablehne.
Nun
mag man fragen, warum ich all das eigentlich erzähle. – Ich denke,
dass vielleicht eine offen und ehrlich geführte Diskussion über das
Begehen von entscheidenden Stationen der individuellen Existenz
einiges beitragen könnte zu einem entspannteren Verhältnis im
menschlichen Miteinander.
Da
fehlen einfach neue Antworten auf dieses mystische Weltbild.
©
Raymond Walden
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