Donnerstag, 19. Dezember 2019

Menschliches Glauben: Angesichts tausendjähriger Olivenbäume (S. 17)


Mai 1997

Glanzvoll, der Landschaft entsprechend, lichtdurchflutet wie die Provence und die Cote d'Azur, so kennt man viele Gemälde der "Impressionisten" – einer der wichtigsten Vertreter war Pierre-Auguste Renoir.
     Die Stadt Cagnes-sur-Mer bei Nizza hat Renoirs Wohnhaus 1960 erworben und die Villa als Museum dem Publikum geöffnet. Alles in Gebäude und Park ist so erhalten wie es in der Zeit von 1908 bis 1919 ausgesehen hat, als Renoir hier wohnte. "Ein in der Provence lebendes französisches Hellas unter Ölbäumen, Zypressen und Pinien ... . Zweifellos hat Renoir, der von seinem Cagner Wohnsitz aus das Mittelmeer betrachtete, schließlich gesehen, wie die ewige Göttin wiederum aus den Schaumkronen geboren wurde." (Zitat von Francois Fosca, Museumprospekt).
     Das Ambiente der großzügigen Wohnung mit all den durchaus banalen Gegenständen des Alltags überträgt sich mir ganz unmittelbar, und es würde begreiflich, wie ein Genie in dieser Umgebung derartig verzaubernde Bilder und Skulpturen schaffen konnte, wäre da nicht Renoirs Handicap gewesen. Er war zunehmend von starkem Rheuma geplagt, man musste ihn vom Bett zum Rollstuhl tragen. Es war "die elende und zugleich herrliche Zeit des Leidens und des Ruhms, der wunderbaren Einfälle – man steckt ihm den Pinsel zwischen seine verkümmerten, verunstalteten Finger." (Zitat von Georges Besson, Museumsprospekt).
     Licht und Leid flößen dem Besucher Begeisterung und Ehrfurcht zugleich ein, vermitteln in der Weitläufigkeit des Parks Besinnlichkeit, Lebensfreude und die stete Gegenwart des Schattens – trotz oder wegen des grandiosen Blickes an Orangen und Zitronen vorbei hinüber auf Nizza und die Altstadt von Cagnes. Hier lässt sich göttlich leben! Doch die Götter bedürfen des Kontrastes der Unterwelt.
     Auf unserem Fußweg zur höher gelegenen alten Festung Cagnes "über dem Meer" fahren Gangster mit Ihrem Auto ganz dicht an meine Frau heran und entreißen ihr die Handtasche mit allem, was man so im Urlaub benötigt. – Die Wirklichkeit hat uns wieder. Doch selbst jetzt noch bleibt ein Hauch aus Renoirs Zauberwelt. Ein französischer Augenzeuge stellt uns spontan und kostenlos sein Handy zur Verfügung, sodass wir vom Straßenrand aus die Sperrung des Kontos in Deutschland veranlassen können. Auf der Polizeistation erfahren wir, dass das Gangsterauto zehn Minuten zuvor als gestohlen gemeldet worden ist. Es seien Zigeunerbanden, die seit etwa zwei Jahren aus Albanien und anderen östlichen Krisenländern kommend den Großraum Nizza verunsicherten; ein Problem der Multikultur?


© Raymond Walden



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