März
1998
Eine
demokratische Wahl zu boykottieren, hat wenig Sinn, denn verweigerten
sich alle, wäre dies das Ende der Demokratie. (Wir sind uns einig,
dass Demokratie noch sehr entwicklungsbedürftig ist, um den Namen in
voller Bedeutung zu führen.) Nach amerikanischem Vorbild laufen
bereits jetzt die Medienkampagnen zur bevorstehenden deutschen
Bundestagswahl an. Inhalte interessieren die Masse kaum, vielmehr,
wie ein Kandidat „ankommt“, ob er „sexy“ ist – schlicht, ob
er Medienwirksamkeit verkörpert. Wie in den billigen Fernsehshows
kanalauf und -ab basiert das „Publikumsvotum“ weniger auf
Bandbreite und Kompetenz, als vielmehr auf Stimmungsmache, auf der
Präsentation und Akzeptanz von oberflächlichem Gehabe und
Geschwätz: Das ist der eigentliche Zustand unserer zu einem
beträchtlichen Teil verblödeten Gesellschaft. Jeder nicht konforme
Skeptiker ist freilich in der Lage, daraus seine eigenen Schlüsse zu
ziehen; mich reizt es dennoch, meine Auffassung zur Diskussion zu
stellen.
Kohl
kann ich nicht wählen, weil der bei jeder Kandidatur das Volk
belogen hat und dabei seine Politik auf christliche Traditionen
stützt, die im globalen Maßstab lediglich regionale Einfalt
repräsentieren.
Schröder will ich nicht
wählen, weil er sich von Kohl nur dadurch unterscheidet, dass er den
häufigen Wechsel seiner Damenbekanntschaften öffentlich vermarktet,
während Kohl mit seiner Angetrauten ein Kochbuch veröffentlicht.
Lassen wir uns nicht täuschen – zum Beispiel in der Medienpolitik,
im Schulwesen, in der Ausländerpolitik gibt es zwischen den beiden
stärksten Parteien nur den Einheitskitt der Unfähigkeit, darüber
hinaus das Buhlen um das Wohlwollen der Kirchen.
Die
FDP als stets überbewertetes Anhängsel, das zum eigenen Machterhalt
so ziemlich jeden Unfug mitgestaltete, ist nicht meine Welt. Und
schließlich können sich die Grünen, erst „Fundis“, dann
„Realos“, also Weltfremde, dann Opportunisten, nur aufgrund der
Dummheit der zuvor genannten Kartelle behaupten. Einer Erwähnung des
schillernden Restes der deutschen Wahlbewerber bedarf es wohl kaum.
Was
ist zu tun? Soll ich Leute und Parteien wählen, die mir zuwider
sind, quasi als „kleineres Übel“? Bisher war das meine Praxis.
Diesmal folge ich dem Rat eines Freundes: „Selbstdarsteller wähle
ich nicht.“ Das schreibe ich weniger drastisch auf den Wahlzettel,
sollte eine Wählmaschine im Lokal stehen, wähle ich ungültig. „Die
Freiheit nehme ich mir“, denn ich bin sicher, nichts mit der
Stimmabgabe bewirken zu können. Mein Betätigungsfeld beschränkt
sich auf das alltägliche Leben: Demokratie muss gelebt werden,
standhaft, mit offenen Augen und Ohren, einem entschlossenen Mund und
einer dynamischen PC-Tastatur.
Mehr
als alles andere aber schätze ich die Kommunikation mit unabhängig
denkenden und zuverlässigen Menschen. Ich habe das Glück, einige
von ihnen, mit ganz unterschiedlichen Charakteren, als Freunde
erleben zu dürfen.
©
Raymond Walden
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