April
1995
Dieser
Kommentar entstand in seinen Ansätzen vor Jahren, als Herbert
Grönemeyers Platte „4630 Bochum“ mit dem Song „Männer kaufen
Frauen“ erschien. War damals Gesellschaftskritik das Anliegen des
Künstlers, vermarktet heute ein Privatsender telegenen Stumpfsinn
„Wa(h)re Liebe“, und ich bin mir nach wie vor darüber im Klaren,
jetzt das
Thema aufzugreifen, an welchem der christliche Kulturkreis (und
andere ebenso) am meisten krankt. Ich charakterisiere kurz, aber
treffend: Sexualität ist ein Schweinkram.
Wie
anders soll man erklären, dass an einem katholischen
Mädchengymnasium eine Nonne wie folgt unterrichtete: Man solle vor
dem ehelichen Koitus wie auch danach gemeinsam beten. Oder wie soll
man die kirchlichen „Aussegnungen“ der Frauen nach der Geburt
eines Kindes verstehen?
In
den meisten Religionen bilden Männer die Obrigkeit. In deren Konzept
passt die fleischliche Begierde nach dem schwachen Weibe freilich
nicht, also wird der natürliche Geschlechtstrieb tabuisiert. Dennoch
lässt er sich nicht verleugnen, deshalb hat sich die Männerwelt
Ventile geschaffen. Die Ventil-Frauen machen sich durch die
Anerkennung des männlichen Hoheitsanspruches selbst zu Opfern, auch
wenn so manche Prostituierte glauben mag, im Augenblick mit ihren
weiblichen Reizen zu obsiegen und die Abhängigkeit vom
moralisierenden Manne abzuschütteln.
Einer
der mächtigsten und mit Sicherheit einer der schönsten
lebensbejahenden Triebe des Menschen wird verteufelt, um schlechtes
Gewissen und, daraus resultierend, Abhängigkeiten zu erzeugen (was
teilweise aus früheren Zeiten heraus verständlich wird, da die
Empfängnisregelung damals weitgehend unbekannt war). Schuldbewusste
Menschen hat die Volksseele, haben die Herrschenden fester im Griff.
Aber
ist es nicht beschämend, wie Bordelle aus dem Boden schießen,
offensichtlich mit zahlreicher Kundschaft? Muss es wirklich so sein,
dass in einem „aufgeklärten“ Gemeinwesen sich Frau und Mann als
Ware und Kunde begegnen, nur weil die religiöse Moral zum
Geschlechtsleben keinen gesunden Bezug herstellen kann? Dieses in
hohem Maße kriminalisierte „Geschäft“ reift als Frucht
religiöser Sexualsubkultur allerorts und offenbart Gefühlskälte,
Egoismus, Verrohung und Perversion.
Ich
nehme an, dass mir bis hierher noch so mancher Christ gefolgt ist,
überschreite jetzt aber höchstwahrscheinlich seine Grenzen, indem
ich sexuelle Freizügigkeit in partnerschaftlicher Übereinstimmung
fordere. Das heißt nichts anderes, als dass zwei Menschen –
ungeachtet ihres Standes -, die das Bedürfnis empfinden, miteinander
intim zu sein, diesem Verlangen nachgeben sollten. Ich bin überzeugt,
dass körperliche Vereinigung und Liebe zweierlei sind, d.h.
körperliche Befriedigung ist, wie zum Teil auch seelische, mit
verschiedenen Partnern möglich. Liebe hingegen, als höchste
Erfüllung, ist in der Regel nur mit einem Partner, kaum mit mehreren
gleichzeitig, erlebbar. Diejenigen Paare sind wohl die glücklichsten,
die ihre Liebe über Jahre hinweg bewahren, weil sie Liebe nicht an
den Koitus binden.
Nach
religiösen Maßstäben gelebte Sexualität mündet in Zwangsneurosen
und daraus erklärt sich vieles. So ist es bemerkenswert, dass sich
an Universitäten „männerfreie Zonen“ bildeten, wohl kaum als
Intelligenzareale anzusehen, eher als Überreaktion verkniffener
Emanzen. Und überhaupt fällt eine allgemeine Mimosenhaftigkeit auf,
die bei Bedarf nahezu jede Äußerung von Männern als „sexistisch“
abkanzelt. Selbst in aufgeklärten Kreisen finden wir die
Sprachjongleure, die nicht über den Schatten der Sprachentwicklung
springen können: Sie stolpern über das Wörtchen „man“ und
machen daraus „man/frau“ (Kind fehlt) oder „mensch“. Sprechen
sie von Lehrern oder Atheisten, unterliegen sie, indem sie
„Lehrer(Innen) bzw. Atheist(Innen)“ gebrauchen, offenbar
zwanghaft dem Hinweis darauf, dass mehr als die Hälfte unserer
Spezies weiblichen Geschlechts ist.
Mir
scheint, gewisse „Frauenbewegungen“ haben die Männer längst im
Sack, und so lassen jetzt „gleichberechtigte“ Frauen Männer
strippen, kaufen
Männer und erscheinen so dämlich wie umgekehrt die Machos
selbstherrlich.
Eines
jedenfalls resultiert daraus:: Trotz nackter Bilder ist Sex nicht
Lust-, sondern Machtfaktor. Sich dagegen – gar öffentlich – zu
erklären, ist schlicht ungeheuerlich.
©
Raymond Walden