Lebewesen
sind mit einem dominanten Sexualtrieb ausgestattet, der die
Fortpflanzung garantiert. Er ist so machtvoll, dass er einen
wesentlichen Teil des Lebens überhaupt darstellt. Und ausgerechnet
der Umgang mit diesem Leben erhaltenden und Leben erzeugenden Trieb
wird durch Menschen dogmatisiert, mit „Unreinheit“ und
„Teuflischem“ in Verbindung gebracht, um Orientierungen
durchzusetzen, die als Jungfräulichkeit, Wegsperren, Verschleiern
und Beschneidungen von Frauen, als Unschuld, Keuschheit, Verurteilung
lustvoller Gedanken wie der Selbstbefriedigung, als Manneszucht,
Zölibat und so weiter propagiert werden und sich bis zur
Jungfrauengeburt auswachsen. Mütter werden allen Ernstes nach der
Geburt eines Kindes „ausgesegnet“ – gereinigt!
Die
Tierwelt lässt vielfältige sexuelle Verhaltensweisen zu und ihnen
allen ist gemeinsam, dass sie Antrieb für die jeweilige Lebensart,
zugleich Bestandsgarantie und nicht etwa Untergang der Tiere
bedeuten. Es gibt lebenslange Partnerschaften wie wechselnde
Beziehungen, patriarchalische wie matriarchalische Gepflogenheiten,
die Vielweiberei wie die Vielmännerei, Geschwistersexualität,
elterliche praktische Sexualanleitungen für den Nachwuchs,
Brunftzeiten wie die ständige Bereitschaft zur Fortpflanzung. Keines
dieser Verhaltensmuster ist zwingend für die menschliche Sexualität,
denn wir verfügen über das mehr oder weniger ausgeprägte
reflektierende Bewusstsein, das uns zwar vom Tier abhebt, aber wie
schon erwähnt, fatal unterentwickelt ist. Denn trotz oder wegen
aller aufgesetzten Moral geht es den Beteiligten mehrheitlich nicht
gut: Ehescheidungen, Partnerschaftsabbrüche, Zerrüttungen, Not der
Kinder. Mehr noch, die dogmatisch-religiösen Fremdbestimmungen
erzeugen mit kompromissloser Durchsetzungsgewalt Betrug in den
Partnerschaften, Prostitution und Kindesmissbrauch, Leidensdruck, an
dem sich eine zwiespältige Masse, wenn es denn öffentlich wird,
verschämt lustvoll delektiert, ehe sie sich angeblich mit Abscheu
abwendet. Bewusstseinsspaltung durch möglichst frühe Gehirnwäsche
ist die eigentliche Schwäche, nicht die „Erbsünde“ der
Menschheit, weil gerade auch viele der Moralhüter bezahlten Sex
konsumieren, den sie durch die Diskreditierung der daran beteiligten
Menschen scheinheilig verdammen.
Man
hat sich offensichtlich daran gewöhnt, dass vor allem in
christlich-jüdisch-abendländisch geprägten Presseerzeugnissen und
Internetangeboten barbusige oder in anderer Weise verführerisch
dargestellte Frauen, seltener auch Männer, als verkaufsfördernde
Signale für alles Mögliche herhalten. Welche Fehlentwicklung
verbirgt sich hinter auf offensive Sexualität abgestimmter Mode?
Besonders bei „teuren“ Kreationen lässt man Busen und
Schambehaarung „durchschimmern“ und verurteilt gleichzeitig
jeden darauf eindeutig ansprechenden Mann als Sexisten. Da laufen
minderjährige Schülerinnen mit stark entwickelten Brüsten durch
die Schulen, präsentieren ihren freien Bauchnabel und tragen die
Hüften so tief entblößt, dass ihre modischen Strings sichtbar
werden. Reize, die den natürlichen Sexualtrieb sowohl der Frauen
bzw., Mädchen als auch – in besonderem Maße – der Jungen und
Männer anregen. Aber alle sollen nicht dürfen! – Eine seltsame
Entartung von Sexualität, die gegenüber dem Tierreich alle
Merkmale von Widernatürlichkeit trägt.
Und
solche Verblendungen sind es, die der Gesellschaft die Normen
gleichsam wie Hörner aufsetzen. Mithilfe von geistlichen oder
juristischen Roben verkleidete Ordnungsapostel verkünden moralisch
unanfechtbar die Sexualtabus unter Androhung und Ausführung der
Strafen bis hin zur Steinigung. Für wie verwerflich,
verdammenswürdig, gesellschaftsschädigend, untragbar, detailliert
öffentlich aufklärungsbedürftig – und nicht selten
vernichtenswert stuft man je nach Kulturkreis sogar leichte
Tabuverletzungen ein!
Wie
viel niederträchtige Machenschaften und Morde, sogar Kriege
inszenieren sich allein aus dem Problemfeld Eifersucht! Aber da
ähneln Menschen, zumindest die männlichen, beispielsweise dem
stolzen Hirsch, der keinen Nebenbuhler duldet, um alle Hirschdamen
seines Rudels zu besitzen. Wie viel primitive Tratschmentalität wird
auf der Basis verbotener Sexualität seit jeher salonfähig! Dabei
wiegt ein falsches Umgehen mit dem menschlichen Sexualtrieb gerade
besonders schwer, weil wegen ideologischer Fremdbestimmung und
angesichts medizinisch verbesserter Lebensumstände menschliche
Fortpflanzung ausufert und völlig unkalkulierbare globale
Bedingungen verursacht: Leicht zu praktizierende Methoden der
Empfängnisverhütung, des Lustgewinns und zugleich des
Gesundheitsschutzes werden rigoros durch Traditionen und vor allem
religiöse Bevormundung verhindert. Nicht das Unterdrücken des
sexuellen Trieblebens soll in Zukunft die Menschheit prägen, sondern
das menschlich-humane Erleben eines überaus reichen Lebenstriebs.
Eine
völlig indiskutable „Leistung“ so vieler Religionen ist die
Minderbewertung der Frauen, die ein katastrophales Weltverständnis
offenlegt, aus dem sich die Menschheit erst noch befreien muss, wenn
sie denn überhaupt noch Perspektiven entwickeln möchte.
Mögen
im Tierreich Gewalt und sogar tödliche Rivalitäten als sexuelle
Spielarten auftreten, so sind sie doch nicht vorherrschend. Der
Mensch indes ist das einzige Wesen, das mit seiner Sexualität
offensichtlich nicht zurechtkommt, weil er sich nicht frei zu ihr
bekennen darf – was allerdings von glaubensfesten Zeitgenossen
vehement geleugnet wird.
©
Raymond Walden