Oktober
1996
Hochzeitszeremonien
am Strand von Monterey (Brautpaar, Eltern auf Klappstühlen, ein paar
herausgeputzte Kinder, Trauzeugen, vielleicht zwei, drei Freunde und
der alles moralisch absegnende Prediger), ein paar hundert Meilen
weiter in Las Vegas Schnellhochzeiten in einer kitschigen
Wedding-Chapel, nebenan ein kaum getarntes Bordell mit den gleichen
roten Neonherzen oder das Büro „Scheidungen in einem Tag“.
Wer
im Wohlstand derartig mit dem Leben spielt, ist für Kinder mit
Sicherheit ungeeignet, denn solche Paare setzen ihren Nachwuchs
lediglich den Launen ihrer Persönlichkeitsspaltung aus. Doch auch im
vergleichsweise biederen Europa werden Ehen geschlossen, um sie in
Selbstverwirklichung der Beteiligten alsbald in großer Zahl wieder
zu lösen. Auf der Strecke bleiben meistens Kinder, doch die säumen
ja auch die Bürgersteige der Bildungssackgassen; sie werden religiös
und kommerziell-werbestrategisch von Geburt an indoktriniert, sie
arbeiten in vielen Teilen der Erde gezwungenermaßen für niedrigen
oder keinen Lohn, sie werden in unseren Breiten gesetzlich
„geschützt“ – zum Wohle der über sie Gebietenden.
Die
Doppelmoral bezüglich des Kinderschutzes geht einher mit der
sexuellen Bewusstseinsspaltung. Und so überschreibt ein
erzkonservatives Blatt seine erste Seite zum Kinder-Tag mit der
Aussage, Pornografie sei die Droge Nummer eins. Diesem Surfer auf der
gerade aktuellen Welle der „sexuelle Kinderausbeutung“ wäre
mitzuteilen, dass es von Parteien, Kirchen und Gewerkschaften
beeinflusste und „kontrollierte“ Medien sind, die den Kindern
zeigen, „was ein Pariser ist“. Beim Geburtstag der „BRAVO“
ließen sich denn auch die Heuchler keineswegs lumpen, lobten und
zeichneten aus - eine der destruktivsten (Jugend-)Gazetten.
Haben
Sie spätestens jetzt einen Eindruck von meinem grenzenlosen,
knöchernen Konservativismus? Ich bin dafür, dass man die
Sexualität, sobald sie sich beim Individuum meldet (und das ist oft
sehr früh!), nicht unterdrückt. „BRAVO“-Sexualität allerdings
halte ich für provozierte, weltfremde Geilheit, gleichermaßen genährt vom hochgeknöpften Dekolleté der Süßmuths oder Noltes wie von den
Vertretern des „Titten-Sozialismus“ („Copyright“: Fahrtmann,
NRW-Minister). Die GEW hat Recht: Der Kindertag kann aufgrund der
erwachsenen Verlogenheit nur abgeschafft werden.
©
Raymond Walden