September
2001
Seit
einer Dekade ist der Kalte Krieg vorbei, weil sich die kommunistische
Komponente der Supermächte durch marode innere Strukturen selbst
aufgelöst hat. Nur oberflächliche Betrachter erkannten darin einen
Sieg der kapitalistischen Gegenmacht USA, unabhängige Kritiker
verfolgen hingegen, wie sich die einzig übrig gebliebene Supermacht
ebenso, nunmehr akzelerierend, ihr Ende bereitet.
Die
verheerenden Terrorakte in New York und Washington kann und darf
niemand gutheißen; das Schicksal jedes einzelnen Opfers und seiner
Angehörigen erzeugt tieftrauriges Mitgefühl, fordert Respekt und
verlangt die Bestrafung der Täter nach freiheitlich-demokratischen
Gesetzen. – Und nur nach diesen, wollen die Richter nicht selbst zu
Terroristen werden. Bisher gibt es nicht einmal einen zweifelsfrei
Anzuklagenden, es besteht die Gefahr der Konstruktion eines Popanzes.
Niemand kommt mehr an der Frage
vorbei, warum sich ein derartiges Machtpotential so perfide gegen die
USA richten konnte. Die objektive Antwort: Man musste damit rechnen,
hat den Gedanken daran nur in Selbstherrlichkeit verdrängt, sich
nebenbei abreagiert, zum Beispiel beim Produzieren von
Wahnsinnsfilmen wie „Independence Day“.
Seit
über 50 Jahren profitieren die USA von der Übervorteilung anderer
Völker, die sie in Abgründe der Armut getrieben haben. Sie
verbündeten sich zum eigenen Vorteil mit Diktatoren der übelsten
Sorte, führten unzählige, ungerechtfertigte kleinere wie größere
Kriege, vernichteten Millionen Menschenleben, um die in den
kapitalistischen Medien keine Träne vergossen wurde.
Im
Innern sind die USA geplagt von nicht aufgearbeitetem Rassismus, von
einem versagenden allgemeinen Bildungssystem, von Waffengewalt, von
einer rachsüchtigen, Todesurteile fällenden Justiz. Die Bitternis
wird geschönt durch eine dekadente Scheinreligiosität, die den
„God-bless-America“-Staat in der einfachen Bevölkerung schon als
Gottesstaat verklärt. Alle Merkmale eines kranken Nationalismus
verdichten sich zu einer unheiligen Kreuzzugsmentalität gegen alles,
was nicht proamerikanisch ist.
Doch
hatten die USA je wirkliche Freunde? Wie konnten diese, so es sie
gab, die Vereinigten Staaten so in ihre Verblendung laufen lassen? Es
gab wohl kaum Freunde, vielmehr Nutznießer, die sich ohne wirkliche
eigene Meinung im Schatten des US-Reichtums zu sonnen wähnten. Da
nahm es die Weltöffentlichkeit auch in Kauf, dass die USA
Klimakonferenzen missachteten, ihre UNO-Beiträge nicht entrichteten,
sich in Fragen des Rassismus, zuletzt in Durban, verweigerten und so
weiter.
Wann
haben die USA sich je um die palästinensischen Flüchtlingslager im
Libanon gekümmert? Diese jede Humanität verspottenden Einrichtungen
sind nur möglich, weil die USA die religiös beeinflussten
israelischen Regierungen kapitalkräftig unterstützen und die
Errichtung eines gerechtfertigten Palästinenser-Staates verhindert
haben. Aber hier liegt jetzt wahrscheinlich der Stein, über den die
USA stolpern. Der Nationalismus eines Adolf Hitlers war
glücklicherweise nach zwölf Jahren, wenn auch unter gigantischen
Opfern, beendet. Als hätte niemand etwas aus der Geschichte gelernt,
biedern sich europäische Politiker mit „uneingeschränkter
Solidarität“ beim Kreuzritter Busch an, der jetzt mit
„grenzenloser Gerechtigkeit“ in den Kampf einer internationalen
Koalition gegen den Terrorismus zieht. Dabei haben die USA seit jeher
Terroristen in zahlreichen Regionen aufgebaut. Das Vokabular ist
häufig dem Nazijargon entnommen, die Völkerverachtung entsprechend.
Nun
sind die USA wirtschaftlich nicht am Boden, militärisch und
logistisch schon gar nicht. Ein langer Opfergang scheint uns wegen
wirtschaftlicher und anderer Verflechtungen allen bevorzustehen.
Amerika ist nicht auf militärischem Weg zu besiegen, die überzogene
Psyche der Massen in diesem Land wird die Rolle der Nation
relativieren und auch die all jener Staaten, die ein geradezu
infantiles Verhältnis zu den USA haben. „Uneingeschränkte
Solidarität“ heißt doch im Klartext: „Führer befiehl, wir
folgen dir!“ Nicht die Gerechtigkeit, sondern voreiliger und
gedankenloser Aktionismus ist offenbar „grenzenlos“.
Dass
sich neomoderne Künstler sogar dazu versteigen, dem Terrorgeschehen
einen ästhetischen Wert, nämlich in Form von beeindruckenden
Bildern abzugewinnen, verdeutlicht psychische Abgründe der Leidens-
und Gewaltverherrlichung, wie sie zweifellos in den beteiligten
Religionen wurzeln und seit Jahrtausenden gepflegt werden.
Der
Terrorismus ist eine Herausforderung für die Aufklärung und die
Humanität, aber nicht für die Religionen, die versagen müssen,
weil man, frei nach Einstein, die Probleme nicht mit Methoden lösen
kann, die zu den Problemen geführt haben.
©
Raymond Walden
Redaktioneller
Hinweis:
Dieser
Text erschien auch schon im September 2008 auf dem Blog hier als
Leseprobe.