Februar 1996
Seit 1981 war der ehemalige französische Staatspräsident François Mitterrand krebskrank. Um an der Macht zu bleiben, belog er sein Volk und die Welt, indem er sein Leiden verschwieg. Heimlich wurde er jahrelang behandelt, immerhin ein Mann, der über eine atomar gerüstete Streitmacht gebot. Jedem Lokführer oder Flugzeugpiloten hätte man gerechtfertigterweise seine Position entzogen. (Quelle: „Die Zeit“, 26.1.96) Aber scheinbar gilt für sendungsbewusste Politiker ein anderer Maßstab. So erklärt sich auch die banale Doppelmoral des Präsidenten, sich mehr oder weniger öffentlich neben der Ehefrau eine weitere Dame als Geliebte zu halten. – War er nicht Christ??
Immerhin, und das ehrt den Franzosen, hat er seine Regentschaft einigermaßen bewältigt. Sein persönlicher Freund, der deutsche Kanzler Kohl, ist drauf und dran, viel drastischere Staatslügen auszusitzen. Seit seiner Amtsübernahme spricht er von sicheren Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Aus dem Geschichtsunterricht habe ich indes nicht vergessen, dass eine hohe Arbeitslosenquote Hitlers Machtergreifung seinerzeit wesentlich erleichterte – nunmehr ist diese sogar überschritten. Ich „vergesse“ auch nicht, wie Hitler mit Stalin über das Schicksal machtloser Völker des Ostens entschied. Heute unterstützt der deutsche Kanzler uneingeschränkt und fortdauernd den russischen Präsidenten Jelzin, der im Kaukasus ungehemmt den Freiheitswillen eines Volkes in Blut auflöst. In ihrer auf Machterhalt gerichteten Verbundenheit gehen Jelzin und Kohl über Leichen, weil der russische „Reformkurs“ angeblich gestützt werden müsse. So verrät der Christdemokrat Kohl freiheitliche Ideale, begünstigt durch die mangelhafte Präsenz einer nicht vorhandenen Opposition. Kann es da wundern, dass auch in den neuen Bundesländern Menschen an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen und psychischen Leidensfähigkeit geraten, weil der Machtmensch aus Bonn seine eigenen Weissagungen über „blühende Landschaften“ längst als Täuschungsmanöver abgeheftet hat? Aber der Kanzler mit klerikalem Wohlwollen, der bei seinem Russlandbesuch im Februar 1996 jeden Kontakt mit der dortigen Opposition mied, besuchte stattdessen medienwirksam ein orthodoxes Kloster.
Im Juni diese Jahres wird der römische „Vertreter Christi“ ihm persönlich die Aufwartung machen. Wiederum habe ich nicht vergessen, dass es vatikanischer Tradition entspricht, Regierungen zu hofieren, die sich auf Christentum, Gott oder Vorsehung berufen. „Gott mit uns“ stand auf dem Koppelschloss der Wehrmachtssoldaten. Aber das berührt schon eine weitere exemplarische Staatslüge: „In God we trust“ ziert die amerikanische Dollar-Note – „Wir vertrauen auf Gott“. Ein Blick auf das US-Sozialsystem offenbart Abgründe genauso wie das allgemeine Bildungsniveau – von den weltweiten amerikanischen Kriegsverbrechen ganz zu schweigen.
© Raymond Walden
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen