September
1995
Die
wirklich religionsfreien Menschen bilden nur einen geringen Teil
derjenigen, die sich von Kirchen abwenden, denn zahlreiche der
angesprochenen Begründungen für Kirchenaustritte signalisieren
keineswegs „Gottlosigkeit“, sondern lediglich Unzufriedenheit mit
den irdischen Verwaltern des „Gottesreiches“.
Dass
dies so ist, spiegelt sich meines Erachtens auch wider in der
Bedeutungslosigkeit offiziell konfessionsloser Bevölkerungsanteile,
sind doch die den Kirchen Entronnenen zumeist durch und durch
Individualisten mit wenig Sinn, irgendeiner gemeinschaftlichen
konfessionsfreien Idee zu gesellschaftlichem Gewicht zu verhelfen.
Und
so bilden die sich einer Konfession Verweigernden ein konträres
Abbild der Religiösen: zersplittert, uneins. Der Kontrast besteht in
diesem Falle im Totschweigen, denn alle religiösen Gruppen, selbst
wenn sie im Innersten zerstritten sind, verfügen über
Anhängerscharen, während die Gegenseite aufgrund mangelnder
Organisation gar kein „Gegen“ darstellt. Mancher beklagt dies –
ich nicht.
Ein
„Gegengewicht zu Religiösen“ aufzurichten, hieße, sich mit
ihnen auf eine Stufe zu stellen, zu missionieren und zu
indoktrinieren. Was allerdings fehlt, ist der freundliche Kontakt
Religionsfreier untereinander, und der sollte schon etwas
„organisiert“ werden, könnte durchaus ein wenig Engagement
vertragen. Doch da sind sich viele Menschen gleich, sie schätzen die
Bequemlichkeit.
Allerdings, so meine ich, müssten
sich Religionsfreie, sofern sie seriös sind, wenigstens darum
bemühen, sich nicht als „Atheisten“ (gegen Gott) abstempeln zu
lassen. Wo bleibt die Logik: Kann man gegen etwas sein, das es gar
nicht gibt?
Ich
bin von meinem Selbstverständnis her religionsfrei, denn ich bejahe
sowohl die Lebensdynamik wie das Lebensende aus meinem Weltbegreifen
heraus. Religion reduziert sich auf Todesverdrängung und die
Vertröstung auf sorgenfreie Zeiten in angeblichen Paradiesen. Und
diese Verdrängung hat durchaus etwas mit Dummheit zu tun. Dummheit
aber ist aus sich heraus unaufklärbar.
Ein
solches Fazit mag im Hinblick auf die menschliche Zukunft
deprimierend wirken, ist aber Faktum. Deshalb: nicht „Gegengewicht“,
wohl aber eigenständiger Standpunkt.
©
Raymond Walden