November
1998
Der
ZDF-Nachrichtensprecher entschuldigt sich am 27.8.98 für die nun
folgenden Bilder: Uniformierte im Kongo haben an irgendeiner
Flussbrücke einen Zivilisten der politischen Gegenseite aufgefunden,
misshandeln ihn, werfen ihn über das Brückengeländer tief hinunter
in den Fluss. Als der Geschundene wieder auftaucht, sich dem
rettenden Ufer zubewegt, schicken die Mörder einige Gewehrsalven
nach unten. An anderer Stelle zerren überwiegend junge Leute
triumphierend einen verkohlten Leichnam an den Beinen über die
Straße.
Da
zumindest die wachen Köpfe unter uns wissen, dass weltweit Ähnliches
täglich geschieht, häufig ausgeführt von Individuen, die nicht
einmal die Wörter „Gewehr“ und „Tod“, geschweige denn
„Leben“ schreiben können, drängt sich folgende Frage auf: Was
ist eigentlich „menschlich“?
Die
deutsche Sprache unterscheidet da nicht so genau. Ist damit „human“
gemeint oder bedeutet es so viel wie „unvollkommen“ und
beschreibt oberflächlich hochgradige Dummheit, Verkommenheit und
Verrohung?
„Mögen Sie eigentlich Kinder?“
fragte mich ein Schüler. Ich schränkte ein: „Nicht alle, denn ich
mag auch nicht alle Erwachsenen.“ Freilich war die Antwort von
diplomatischer Natur, denn mein „Mögen“ beschränkt sich auf die
im Großen und Ganzen Humanen, das Heer der „Menschlichen“
irritiert mich. Es wäre in der Tat unerträglich, gäbe es sie nicht
doch – Menschen mit humaner Gesinnung. So mancher Freund irritiert
mich allerdings, wenn ich ihn in bisher unbekannter, etwa
opportunistischer oder gar esoterischer Rolle erlebe. Dann frage ich
mich, ob und wie ich
umgekehrt enttäusche. Denn dies ist offensichtlich: Guter Wille
allein reicht in unserem Dasein eben nicht aus; der Verstand darf
sich niemals einem „Fraktionszwang“ unterwerfen. Wo aber beginnt
im Alltag Fraktionsdruck?
Ich
provoziere: in so mancher Ehe, ist doch die institutionalisierte
Lebensgemeinschaft keineswegs nur die Zweierbeziehung, sondern
gleichzeitig die gesellschaftliche Basis für sexuelle Doppelmoral
mit allen daran anschließenden negativen Folgen. Die Partner,
zunächst ausgestattet mit besten Vorsätzen und gutem Willen, sind
später im Sumpf der Eifersucht allemal in der Lage, einen Menschen
über das Brückengeländer zu werfen. Und eigentlich völlig
unbeteiligte Moralisten, „Sonderermittler“, haben noch jeden ins
Visier der abschießenden, selbst längst abgeschossenen
Öffentlichkeit gezerrt.
Beziehen wir das auf den
US-Präsidenten Clinton, der ein problematisches Verhältnis zur
Wahrheit hat, trifft es doch nur einen Verfechter ebendieses
Systems, in dessen gewinnsüchtigem Selbstverständnis noch jede
Scheinheiligkeit honoriert wird, um sodann ins Lamentieren zu
verfallen, wenn es die Situation erfordert.
Allen
Fundamentalisten, Nationalisten und Dogmatikern spreche ich
Menschlichkeit ab. Aber versuche dem, der einen falschen Weg
verfolgt, klar zu machen, dass er es tut – er wird es nicht
verstehen. Ganz im Gegenteil, solche Leute halten sich oft wie Kohl
im Wahlkampf für „Weltklasse“. In ihrer Wildwestmanier
entscheiden sie aber über das Schicksal von Millionen. Und der Spieß
wird in einer solchen Welt schnell umgedreht, indem derjenige, der
nicht mitspielt, kurzerhand für verrückt erklärt wird.
Zwei
Dinge faszinieren mich indes: Es gibt echte Freundschaften und auch
wahre Liebe, zumindest für manche Menschen, und es gelten objektive
Naturgesetze. – Darin steckt so viel Hoffnung, so viel Dynamik.
©
Raymond Walden