Mai
2001
Auf
der Basis gegenseitiger menschlicher Achtung, Gewaltlosigkeit und
Gleichberechtigung unternimmt die Kosmonomie den Versuch, Leben durch
den Einsatz von Logik bei gleichzeitigem Fühlen und Mitfühlen zu
bereichern und zu erleichtern. Ein Kosmonom müsste demnach ein
glücklicherer Mensch als all die vom Glauben Gedemütigten sein –
eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise! Kein Mensch entkommt so
einfach den Prägemustern seiner Herkunft, seiner gesellschaftlichen
Rolle im privaten wie im öffentlichen Bereich. Die umfangreich
anwachsende Unterschiedlichkeit der kosmonomen Lebensauffassung
gegenüber vielen herkömmlichen Philosophien birgt eine Fülle von
Konfliktmöglichkeiten, die ihrerseits als Feuertaufe für jeden
angehenden Kosmonomen wirken, gilt es doch, Auseinandersetzungen
konsequent zu bestehen und gleichzeitig mitmenschliche Güte und
Toleranz zu üben, vor allem gegenüber Religiösen, Dogmatikern wie
auch Gedankenlosen, also eigentlich den Ver- und Behinderern von
Kosmonomie.
Aufgeklärte Menschen sind
immer wieder im Räderwerk der Geschichte zerrieben worden, doch ohne
die revolutionären und evolutionären Ideen und Taten dieser
Vordenker und ihrer Gefolgschaften hätte „Zivilisation" nie
stattgefunden. Allerdings genügt der Zivilisationsbegriff längst
nicht kosmonomen Ansprüchen, denn es gibt Zivilisation nur in
Bruchstücken innerhalb einer global wuchernden Barbarei der offenen
und dogmatisierenden Gewalt, nicht selten verkleidet in
diplomatischen Raffinessen und Intrigen auf allen gesellschaftlichen
Ebenen zu finden.
Eine
in sich ruhende Persönlichkeit bedarf schon besonderer
Standfestigkeit und Selbstsicherheit, wenn in der Routine des
täglichen Lebens auf Schritt und Tritt religiöse und paranormale
Gesetze, Überlieferungen und Gewohnheiten direkt oder versteckt das
Geschehen lenken. Jede Gottheit, die Gottesfurcht sowie das
Gottvertrauen sind nur bedingt „gut" zu bewerten, bedeuten sie
ja dem Kosmonomen nichts als Albernheiten, die angereichert sind mit
transzendentalem Fetischismus des Leidens und Sterbens. Der
religiösen Anmaßung, die jeweils einzig richtige Definition über
Lebensbeginn, -verlauf und -ende zu besitzen, setzt die Kosmonomie
objektivierbare Fakten der Geburtenregelung, des Humanismus und eines
würdigen, auch selbst bestimmten Todes entgegen. Dadurch leben
Kosmonomen in der Welt, die eine ganz andere ist als jene aus den
Offenbarungsweisheiten der Irrationalisten, die mehrheitlich
schuldlos im spiritistischen Dunst verharren. Und Nebelschwaden
solcher Art wallen zwischen bornierter Religiosität, oberflächlichem
Mittun und bequemer unreflektierter Anpassung.
Hier
zu unterscheiden und abzuwägen, wann und wo sich engagierter
Widerstand lohnen könnte, ist für Kosmonomen oft langweilig bis
widerwärtig, geht es doch mitunter um Probleme, die am eigentlichen
Leben vorbeizielen. Sie lassen sich einfach nicht abschütteln und
ignorieren, die Einladungen zu Taufen, Erstkommunionen,
Konfirmationen, kirchlichen Trauungen, Beerdigungen etc., alle
zugleich Eckpfeiler der Doppel- und Scheinmoral.
Die
Taufe: In-Beschlag-Nehmen des Menschen von Geburt an.
Erstkommunion,
Konfirmation: Missbrauch junger, weitgehend beurteilungs- und
kritikunfähiger Menschen zur feierlich-religiösen Vergatterung.
Kirchliche Trauungen:
Verfestigung einer heuchlerischen Sexualität.
Beerdigungen:
Scheinentwurf eines besseren Jenseits.
Solche spiritistischen
Bollwerke reißt Kosmonomie nicht ein, aber Kosmonomen müssen sie
verarbeiten, nicht nur als Gäste solcher Anlässe, sondern viel
intensiver noch im eigenen Leben – etwa als Patient im Krankenhaus,
in juristischen Angelegenheiten und besonders als alternder,
schwächer werdender Mensch. Da heißt es, rechtzeitig bei gesunden
Kräften und unter Berufung auf demokratische Rechte Vorsorge zu
treffen, den Anspruch auf Selbstbestimmung schriftlich und mündlich
verbindlich zu definieren. Niemand hat dem anderen seine ideologische
Meinung aufzudrängen: keine Kirche dem Richter, kein Jurist dem
Mediziner, kein Arzt dem Patienten. Aber stattdessen ist das heutige
Gesundheitswesen eine unheilvolle Verquickung von
Religionsträgerschaften etwa der Krankenhäuser und Altenheime, von
Pharmaindustrielobby, religionsbegründeter Juristerei und
überhofierten (-bezahlten) Medizinpäpsten einerseits und
hoffnungslos überfordertem, ausgebeutetem Krankenhauspersonal
andererseits.
Größte Skepsis ist
geboten gegenüber Ärzten, die mit geradezu lächerlichen
Dissertationen ihre Doktortitel erwerben können, um als „Götter
in Weiß" unter Berufung auf ihr Standesethos, bei vielen eher
auf ihren Standesdünkel, die Entmündigung des Patienten zu
perfektionieren. Kaum zu durchleuchten sind die teilweise
abenteuerlichen paramedizinischen Ausrichtungen der Ärzte und dem
setzt die deutsche Gesetzgebung noch die Krone auf, indem sie
sogenannten Heilpraktikern alle möglichen Rechte einräumt.
Ein
Sprichwort erkennt richtig: „Auf See und vor Gericht ist man in
Gottes Hand", das heißt, allen Eventualitäten sind Tür und
Tor geöffnet. Bleiben wir im Bild, so ist man in der Medizin viel zu
oft in Teufels Hand, weil viel zu viele am Patienten verdienen
wollen. Bei der Gesundheit geht es um das unmittelbare, ureigene
Recht auf den eigenen Körper und dieses Recht wird kein Kosmonom
leichtfertig an Ärzte, Therapeuten und Apotheker delegieren.
Letztere verfügen nicht selten über ein wahrhaftes
Alchimisten-Warensortiment.
Eine
Gesellschaft, die sich ein Zweiklassen-Patientenrecht (Privat- und
Kassenpatienten) herausnimmt, in dem Geld die Bedingungen regelt,
zeigt ihr tatsächlich inhumanes Selbstverständnis. Und sie setzt
dies fort in einem merkwürdigen Totenkult mit teuren bis
sinnlos-luxuriösen Beerdigungen, so als hätten viele der Trauernden
gegenüber den Verstorbenen einiges gutzumachen, was sie zu Lebzeiten
des Verstorbenen versäumt haben. Doch es hilft kein Fabulieren: Tote
haben nichts mehr davon; nur die Lebenden setzen sich (und sonst
nichts) in Szene.
„Vorbereitet" wird
solches Tun durch ständige religiöse Infiltration, denken wir an
die Verflochtenheiten von Schulen und Religionsunterricht, gar an
staatliche Konfessionsschulen, besonders im Grundschulbereich.
Kritisch zu hinterfragen sind vor allem auch die
deutschen Volkshochschulen, längst etablierte Hochburgen der
Esoterik, der spleenigen Selbstverwirklichung auf einer Ebene des aus
allen möglichen Kulturkreisen importierten Andersseins in
erleuchtetem Bewusstsein. Betrachten wir aber auch die Dauerpräsenz
des Religiösen in den Medien, seriöse wie abgeschmackte, Schund
verbreitende Sender und Blätter kennen „christliche"
Kolumnen, religiöse oder pseudoreligiöse Besinnungsminuten, gemäß
dem Strickmuster, man halte die Armen im Geiste dumm und mehre den
eigenen Reichtum, zumindest den der Herrschenden.
Dem
gleichen Muster folgen politische Parteien und Regierungen, erinnert
sei an das Konkordat Deutschlands mit dem Vatikan, oder
vergegenwärtigen wir uns die nationalistisch-religiöse Verquickung
der Schulen beispielsweise in den USA, wo die Kinder täglich der
Nationalfahne und der Republik, für die sie steht, „der einen
unteilbaren Nation unter Gott" Loyalität geloben. „In God we
trust.“ – „Wir vertrauen auf Gott“ steht auf jeder
Dollar-Note. So sanktioniert man die Mehrung des Eigenkapitals unter
gnadenloser Übervorteilung von Menschen (auch anderen Staaten),
Tieren und Umwelt.
Bliebe es bei dem bloßen
Erkennen der Missstände, auch in so vielen anderen Belangen, wäre
das sicher der Beginn der persönlichen Resignation, die jedoch nicht
gerechtfertigt ist. Gerade im Bewusstsein der Menschheitsentwicklung
muss man zugeben, dass derjenige, der Freiheit will, der
aufklärerische Unabhängigkeit sucht, in den „westlichen
Demokratien" die bisher umfassendsten Möglichkeiten der
Persönlichkeitsentfaltung besitzt, was keineswegs übermütig
gefeiert, sondern relativ an der gesamten Menschheitstragödie
gemessen werden soll. Innerhalb dieses Dramas also ein Aufbruch –
mit kreativen Fakten, nicht Hoffnungen, denn das „Prinzip Hoffnung"
ist kontra-kosmonom. Die vor allem vorausplanenden, logische
Konsequenzen erfassenden Entscheidungen und Taten sind bei
allgegenwärtiger Skepsis gegenüber Irrtumsmöglichkeiten
kosmonomisch, meint eigentlich “human“, dem menschlichen Dasein
sinngebend. So mag es manchmal unbequem erscheinen, das eigene Leben
selbst in die Hand zu nehmen, es ist in Wahrheit jedoch ein
beflügelndes Glück der Unabhängigkeit, wenn man zum Beispiel
Familienfeste, von Geburt an bis hin zum Begräbnis ohne religiösen
Firlefanz gestalten kann, wenn man weder einen Gott noch dessen
Teufel zu fürchten hat, wenn man sich besinnt in einem Realisieren
von Wertschätzungen des Lebens im Hier und Jetzt, der Destruktion
konsequent begegnet durch Wachsamkeit, Ehrlichkeit vor allem
gegenüber sich selbst und Engagement für die über den
kleinkariert-regionalen Horizont hinaus bedeutsamen Zusammenhänge;
in einer Welt aber, die sich einer ignoranten Masse nicht oder erst
sehr wenig erschließt. Daher haben Kosmonomen sicherlich häufiger
Schwierigkeiten, ähnlich unabhängige Mitmenschen zu finden.
©
Raymond Walden