August
1995
„Ich
halte es für irgendwie komisch, wenn wir anfangen, uns mehr Sorgen
zu machen über die Art und Weise, wie wir Geflügel behandeln als
über die Art und Weise, in der Menschen sich gegenseitig
misshandeln.“ Mit dieser Aussage zitiert Newsweek, in der
Ausgabe vom 10.7.1995, Stanley Pino, den Regierungschef eines
Armenviertels New Mexicos, in dem amerikanische Ureinwohner leben. Er
äußerte sich über Aktivitäten von Tierschützern, den alten
„Sport“ „Rooster Pulls“ (Hähneziehen) zu verbieten. In
dieser „Sportart“ wetteifern Männer auf Pferderücken, ein Huhn,
das lebend bis zum Hals eingegraben ist, mit einem Ruck
herauszuziehen.
Ich
halte es hingegen für gar nicht komisch, wenn Tierschützer auf
solche Weise diskreditiert werden. Denn all jene, die Tiere aus
Profitgier oder zum Spaß quälen, und all jene, die das dulden,
müssen sich die Infragestellung ihrer „Menschlichkeit“ gefallen
lassen. Sollte es tatsächlich „menschlich“ sein, was Tieren ohne
Notwendigkeit fortwährend zugefügt wird, dann erlebte die
Menschheit zu Recht immer wieder
ihr eigenes Scheitern als Folge von mangelnder Einfühlsamkeit,
Gedankenlosigkeit, Dummheit und Skrupellosigkeit.
Die
Wurzeln, meine ich, liegen viel tiefer – in unserer sogenannten
Zivilisation, die wir nicht auf sachliche Weise, sondern
glorifizierend auf das antike Griechenland und das nachfolgende
Römische Reich zurückführen. Wir bewundern die Leistungen in
Architektur und Literatur, vergessen aber, dass diese Kulturen die
praktische Umsetzung ihrer Ideen auf Sklaventum und
Kriegsherrschaft aufbauten. Wir legen heute noch unseren Schülern in
vorgeblich „humanistischer Bildung“ den Schwachsinn des
Trojanischen Kriegs und mit „De Bello Gallico“ die
Eroberungszüge Julius Cäsars in allen Einzelheiten dar. Die
Primitivität jener Geisteshaltung dauert folglich fort, deswegen ist
auch die moderne Gesellschaft so friedensunfähig.
„Rooster Pulls“, die Hähne
köpfende „Spielart“, ist nicht zu relativieren. Die denkunfähige
Masse „Mensch“ spielt sie in allen Varianten. Wer Geflügel, zu
welchem Zweck auch immer, quält, Stiere vor johlender Menge
ersticht, Schlachtvieh marternd dem Metzger zuführt, Hammel
schächtet (die Aufzählung könnte endlos so weitergehen), der ist
nicht menschlich. Weil Menschen sich so am Leben vergreifen, sind sie
allenthalben präpariert, eigene Zeitgenossen wie die Tiere zu
behandeln. Was aber ist dann „menschlich“?
Menschlichkeit, denke ich, zeigt sich
in keiner Massenveranstaltung, sondern in individueller
Verantwortung, die nur der Denkende erkennen und übernehmen kann.
Denken bedeutet, Fakten zu erfassen und folgerichtig zu verarbeiten.
„Folgerichtig“ kann nur meinen, „unter physischer und ideeller
Achtung des Lebens, im Umgang mit Leben und Tod auf Würde bedacht“.
Jeglicher Wunderglaube steht dem Prozess entgegen, da ein Gott oder
irgendwelche Symbole mit einem höheren Wert als das Leben belegt
werden.
Alle
Götter hingegen, als von Menschen kreierte Wesen, sind wertloser als
ihre Schöpfer, daher steht das menschliche Leben höher als jede
Gottheit. Erst wenn die Götter – auch die Abgötter – sterben,
wird eine echte Hinwendung zu friedlichem Miteinander möglich.
©
Raymond Walden