März
1995
Regelmäßig
wiederholen sich im kapitalistischen System Tarifverhandlungen
zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten unter Berufung auf die
„Tarifautonomie“ der oft streitbaren, auf Selbstdarstellung
bedachten Partner. Die historische Bedeutung der Gewerkschaften ist
anzuerkennen, haben sie doch die Unternehmer ein ums andere Mal
gezwungen, ihre Profite mit den Arbeitern und Angestellten „zu
teilen“. Freilich wurde nicht immer gerecht geteilt. Zur
Jahrtausendwende, am Epochenbeginn der elektronischen
Totalinformation, stellt sich die Frage nach dem Sinn solcher
Lohnspektakel, denn nach wie vor gilt: Höhere Löhne, steigende
Preise, höhere Lohnforderungen, letztlich Geldentwertung!
Kein
Wirtschaftsexperte kann allen Ernstes behaupten, Inflation sei eine
demokratische Notwendigkeit, wenngleich bisher quer durch alle
demokratischen Staaten die Tarifpoker für das Funktionieren der
pluralistischen Gesellschaftsordnung überhöht werden und die
Kaufkraft der Währung sinkt – „Wachstum paradox“.
Im
Hinblick auf die umfassende elektronische Datenverarbeitung sind die
Profite jedes Unternehmens schnell und objektiv zu beziffern; es muss
also nicht über die Gewinne der Arbeitgeber gestritten werden.
Aufgabe der Tarifpartner bleibt es, über angemessene
Gewinnbeteiligung unter Berücksichtigung von unternehmerischen
Investitionskosten zu verhandeln, ohne damit den Unternehmern Gründe
für die Rechtfertigung von Preissteigerungen zu liefern. Streiks
zeugen in diesem Zusammenhang von veralteten Denkstrukturen, die
nicht von demokratischen Prinzipien geprägt sind.
Gewinne
und Löhne müssen in einer Demokratie öffentlich transparent
werden, um ungerechtfertigte Bereicherungen auf Kosten der
Allgemeinheit auszuschließen. Von Politikern, die selbst in
Aufsichtsgremien von Industrie und Gewerkschaften sitzen und nicht
über den Rand ihrer jeweiligen Verbände schauen können oder
wollen, ist natürlich keine Änderung zu erwarten.
©
Raymond Walden