von
Daniel Dragomirescu, Bukarest
Nichts ist für Experten und für die
interessierte Öffentlichkeit aufschlussreicher als die Geschichte des großen
Staates im Osten. Obwohl er sich selbst als humanistisch und pazifistisch
erklärte, war die UdSSR – wie heute in zahlreichen Dokumenten ersichtlich –
direkt verantwortlich für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, aber da das
totalitäre Nazi-Regime das Spiel verlor, erklärt sie Deutschland allein für
schuldig.
Auf
ähnliche Weise war in der Vergangenheit, bedingt durch das System der
Allianzen, das Zaristische Reich zusammen mit Österreich-Ungarn und dem
Deutschen Reich gleichermaßen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges
verantwortlich.
In Wirklichkeit war und ist Russland das
große Paradox der modernen Welt, beginnend mit der Ära des illustren Gründers,
Zar Peter dem Großen. Es ist ein Land mit ernsten wirtschaftlichen und sozialen
Problemen, ein Land, das unfähig ist, sich selbst mit Verstand und Effektivität
zu organisieren und das irgendwie eine Lösung fand, seine fortdauernde innere
Krise durch territoriale Ausweitung in den immensen eurasischen Raum, wo es auf
keinen unbesiegbaren Widerstand traf, während ungefähr zwei Jahrhunderten zu
bewältigen, es gelang ihm, sich westwärts bis zur Weichsel, zum Prut-Fluss und
zum Schwarzen Meer auszudehnen und am anderen Ende des Landes das Eismeer zu
erreichen und sogar über die Behring-Straße hinweg, in Nordamerika, Alaska für
einige Zeit zu annektieren. Aber diese enorme imperialistische Struktur war
wackelig im Innern und wurde zermalmt durch gewaltige Widersprüche, die sehr
eindringlich in der großartigen russischen Literatur erfasst wurde: „Warum,
junger Mann, bleiben Sie im Widerstand?“ fragte angeblich ein Vertreter des
zaristischen Regimes indem er den jungen Lenin tadelte. „Es ist eine
unstabile
Wand“, antwortete angeblich der bolschewistische Führer, „es reicht, sie
anzustoßen, um sie zum Einsturz zu bringen“. Er hatte Recht.
Aber, abgesehen von Trugbildern,
Propagandafilmen und Büchern, schaffte es das sowjetische Russland auch nicht,
Russland in einen wirklich modernen funktionierenden Staat umzuformen, so
suchte die UdSSR weiterhin Lösungen für all ihre internen Krisen durch
Expansion und Aggression, genau wie das alte zaristische Reich. Hätte der
Zweite Weltkrieg nicht stattgefunden, wäre das sowjetische Reich implodiert und
wegen seiner sozialen, wirtschaftlichen wie politischen Lebensunfähigkeit
(unter anderem litt es unter Mangelwirtschaft und erstickender Bürokratie)
zusammengebrochen. So war die UdSSR, unbedroht durch einen Zerfall in
Nationalstaaten, in der Lage, ihre Existenz für zwei weitere Generationen zu
verlängern. Die Aufspaltung wäre geschehen, hätte die UdSSR die Deutschen nicht
bei Moskau, Stalingrad und Kursk geschlagen. Die Fortdauer war begründet in
gigantischen Reparationen, welche die UdSSR von den besiegten Ländern wie
Deutschland, Finnland, Ungarn und Rumänien erhielt, und durch die
wirtschaftliche Ausbeutung aller Länder unter dem „sozialistischen Schirm“ (man
erinnere sich an die rumänischen SovRoms (sowj./rum. Unternehmen unter
russischer Federführung)
und
die übertragbare vom Rubel dominierte CMEA (Council for Mutual Economic
Assistance, 1949-1991; siehe auch Comecon. Erkl. in Klammern, der Übersetzer)
Schließlich verschwand 1991 die geschwächte
UdSSR, aber erhielt eine enorme monetäre Belohnung (in D-Mark) von Helmut Kohl
für den Abzug der Besatzungstruppen aus der früheren DDR. Aber statt die Gunst
der Situation zu nutzen und das Geld in die Modernisierung und die
sozial-ökonomische Effektivität zu investieren, um den russischen Bürgern
westeuropäische Lebensstandards zu ermöglichen, steckten russische Oligarchen
alles in ihre Taschen.
Es ist wahr, dass die alten Übel und
Widersprüche des großen östlichen Staates wieder alarmierende Proportionen
erreicht haben, sodass Vladimir Putin genötigt ist: a) entweder den Staat
radikal zu reformieren und durch eine gute Regierung einen Lösungsweg für all
die Probleme Russlands zu finden oder b) das alte moskowitische Politsystem zu
beleben – mit der Bedeutung, dass er all die anstehenden Probleme seines
Staates durch Wiederherstellung und Ausbeutung der verlorenen Territorien zu
lösen sucht und möglicherweise weitere prosperierende Territorien außerhalb der
ehemaligen UdSSR zu annektieren trachtet, sogar weiter westlich und südlich.
Natürlich würde das mit Sicherheit in den Dritten Weltkrieg führen.
Wer immer Russland als einen Riesen auf
tönernen Füßen beschrieb, lag nicht falsch. Es hat eine große staatliche
Struktur, die, im Gegensatz zu ihren Vorteilen, Lebensunfähigkeit,
Unzuverlässigkeit, innere Instabilität aufweist und es schafft zu existieren,
indem sie eine riesige Militärmacht unterhält, ihre scheinbar unversiegbaren
natürlichen Ressourcen exportiert und beständig Länder mit Waffen versorgt, um
Bevölkerungen und Nationen zu beeinflussen, wo langfristige Konfliktsituationen
herbeigeführt werden, die bis heute Millionen von Toten zur Folge hatten.
Übersetzung:
Raymond Walden