Montag, 6. Juli 2020

Menschliches Glauben: Wenig hilfreiche Verhaltensweisen (S. 104)


Das Bedürfnis nach bewusster Lüge oder subjektiver Färbung, um das Miteinander bewältigen zu können, ist nicht rund heraus als boshafte Seite des Menschen zu beklagen, sondern eher als Unfähigkeit zu Besserem. Dadurch wiegt die Schuldfrage weniger schwer oder hebt sich gar auf. Die Menschheit kann nicht verantwortlich gemacht werden für ihren, sagen wir, unterentwickelten Zustand, denn jeder, der sich als Richter aufspielt, ist selbst nur ein Glied in diesem Entwicklungsprozess. Vordenker, beispielsweise die Protagonisten des Humanismus oder die Aufklärer, wie die Geschichtsschreibung sie überliefert, waren stets auch Kinder ihrer Zeit und keineswegs frei von Irrtümern. Aufklärung bedeutet aber Fortschritt, Erweiterung des Erkenntnishorizonts gegenüber der religiösen Stagnation, einem Stillstand, der den Massen gewohnte Heimat bedeutet, sei das Leben in dieser Vertrautheit auch noch so entbehrungsreich. Den Religiösen bleibt allemal die Hoffnung auf ein erlösendes Jenseits.
     Diese Ebene allerdings soll hier nicht untersucht, wohl aber als Voraussetzung für alle weiteren Überlegungen angesehen werden, denn Aufklärung kann selbstredend nur stattfinden innerhalb der Unaufgeklärtheit. Für den unabhängig Denkenden entstehen geradezu universale Probleme, weil kaum ein Lebensbereich ausgespart bleibt. Der Aufklärer muss davon ausgehen, dass er rasch als Sonderling betrachtet wird und auf vielfaches Unverständnis stößt.
Ich schreibe dieses Buch als jemand, der auch in sehr außergewöhnlichen Situationen Erfahrungen gesammelt hat, und zwar im Hinblick auf einen Abstand zu allem, was sich als Leben definiert. Es entsteht so eine differenzierende Sicht der Lebenskomplexität sowohl innerhalb des Lebensraumes als auch ganz besonders bezüglich der Lebenszeit in einem unfassbaren Universum. Und das wiederum begründet die noch entschiedenere Abgrenzung gegenüber Religion und Esoterik.
     Spätestens jetzt mag strenggläubigen Lesern der Gedanke kommen, die Respektierung religiöser Gefühle einzufordern, denn „Gott“ spielt für mich höchstens die Rolle eines Unterdrückers, eines von Menschen erfundenen Fabelwesens, an dem man sich nicht einmal durch Opposition unmittelbar reiben kann, weil es nicht vorhanden ist. Gottes Helfershelfer gebärden sich allerdings traditionell päpstlicher als der Papst, wodurch oft gerade die edelsten Menschen auf die Gaukeleien hereinfallen, womit sie aber nicht nur für Freidenker Probleme schaffen. Angesichts des durch Religionen verursachten weltweiten Leidens können religiöse Gefühle nicht als Tabu gelten; sie selbst sind ein Übel, weil sie mit der Ehre des Menschen verknüpft, ja verwechselt werden, was natürlich in keiner Weise gerechtfertigt ist.
     Schauen wir auf die Kulturen beliebiger Naturvölker abseits der Zivilisation, zeigt sich der Hang zum Mystischen, zum Zauber, zum Irrationalen, denn natürlich können diese Völker schon gar nicht die Frage nach ihrem eigenen Ursprung und dem zu erwartenden Zustand nach dem Tode erklären. Sie glauben einfach und in ihrem subjektiven Verständnis funktioniert das Wirken des Medizinmannes genauso wie der Zauber aller möglichen Rituale. Verfolgt man mit naturwissenschaftlichen Augen die Mischung so manches Liebestranks oder Heiltropfens, mag Ekel aufkommen.
     Was aber ist der christliche Glaube anderes? Er beruht auf der absurden Vorstellung, ein Gottvater hätte die Welt geschaffen – damit auch das Böse – und dann des Opfers seines eigenen mit einem seiner Geschöpfe gezeugten Sohnes bedurft, zur Erlösung der Menschen, deren Aufgabe es nun sei, zum Zwecke ihrer Läuterung die Kommunion mit dem Leib und dem Blut des „Gottessohnes“ zu praktizieren. – Indiskutabel für jeden denkenden Menschen. Aber von diesen gibt es weit weniger, als man angesichts der vielen Akademiker und angeblich nicht mehr so Kirchentreuen meinen möchte. Unsere westlich-abendländischen Gesellschaften sind bis in kleinste Details diesem aberwitzigen Weltbild in oft verdeckter Rigorosität verbunden. War in früheren Jahrhunderten Rom das Zentrum dieser Religion, erfolgte der Wildwuchs von Abspaltungen und Sekten dennoch unter der Berufung auf ein und dasselbe Bibelwort. Durch technische Mittel haben heute alle Gruppierungen viele Möglichkeiten der Einflussnahme, um Humanismus und Frieden zu verhindern.
     Was bleibt aber dem Menschen, der sich angewidert abwendet? Vorpreschend mag mancher ironisch einwerfen: die Selbsttötung; Religiöse sagen ihrem Lebensverständnis gemäß „Selbstmord“! Der Gottfreie steht auf verlorenem Posten. Aber welchen Posten muss er eigentlich halten, welchen esoterischen Wahn verinnerlichen, wenn er sich konsequent besinnt? Kein Gott befiehlt ihm – und Menschen nur bedingt, auch wenn im Alltag (Un-)Menschen durchaus Machtbefugnisse haben. Mit wachen und entscheidungsfreudigen Sinnen – das ist vielleicht ein Weg – kann man sich durch einen wahren „Zauber“, der „Gelassenheit“ heißt, befreien. Übrigens leicht auszusprechen, aber nur schwer umzusetzen. Denn Gelassenheit verlangt, Abstand zu gewinnen und zu bewahren gegenüber allen schon angesprochenen Ausgrenzungsversuchen, von denen es gerechtfertigte gibt, aber zumeist einfältige und ungerechte. Ebenso bedeutet Gelassenheit Freiheit von Modediktaten, von Massengefolgschaften bis hin zur intellektuellen Freiheit des Hinterfragens von Tabus. Innere Stärke ist dazu notwendig, die nicht jeder aufzubringen vermag, die aber ihrerseits gedeihen kann, hat sie erst einmal ein Minimum an Gelassenheit erzeugt. Weil diese Art zu leben auf Engagement und Neugierde basiert, ist sie keinesfalls mit Desinteresse oder gar Ignoranz zu verwechseln. Auch sympathisiert sie nicht mit Opportunismus.
     Woher lässt sich Gelassenheit nun schöpfen? Wäre das so leicht zu beantworten, besäßen vielleicht die meisten Menschen dieses Gut, dann wäre „Gelassenheit“ ein Unterrichtsfach, wie ja sogar Religion eines darstellt. Von religiöser Seite aus erzwingt man Ethik allerdings unter der Fuchtel eines göttlichen Strafgerichts und nähert sich ihr nicht etwa mit Einsicht, denn die widerspräche ja auch jeglicher Sinngebung von „heiligen“ Kriegen gegen Menschen, die anderen Glaubens sind.
     Gelassenheit wurzelt in der ungeschönten Kenntnisnahme des allgegenwärtigen Todes, der mich und mir liebe Menschen jederzeit ereilen oder langsam und qualvoll dahinsiechen lassen kann. Dieses Prinzip zeigt sich überall in der Natur und jeder, der die Schönheiten der Natur besingt, ist gut beraten hinzuschauen, wie einer den anderen frisst, ganz besonders auch in der sogenannten menschlichen Zivilisation. Das Ende oder eine drastische Veränderung des Lebens sind immer möglich, sodass alle anstehenden Probleme im intimen wie im öffentlichen Bereich demgegenüber zweitrangig sind.
     Die Masse flüchtet sich aus Angst in die Religion und bettet sich häufig in die Geborgenheit von Gemeinden, die das Individuum bis ins Schlafzimmer, ja bis in die urpersönliche Gedankenwelt hinein kontrollieren, denn nur so kann in gegenseitigem Hochschaukeln neben dem „Gottvertrauen“ gleichermaßen die Panik vor der Hölle entstehen, das heißt, ein Feindbild gepflegt werden.
     Gelassenheit kennt solche seelischen Verschnörkelungen nicht; sie muss nicht Gott noch Teufel fürchten. Ein Unsicherheitsfaktor besteht aus zwei Komponenten, der eigenen menschlichen Verzagtheit und der Gewaltbereitschaft des jeweiligen Gegenübers. Man kann davon ausgehen, dass echte Gelassenheit vom Gegenspieler häufig irritiert wahrgenommen wird, denn er ist es gewohnt, im Rahmen bestehender ideologischer Gepflogenheiten und Ehrbegriffe zu verhandeln oder zu streiten. Dadurch wird Gelassenheit für ihren Eigner nicht nur ein angenehmes Polster des Selbstverständnisses, sondern nach außen, gar gepaart mit Scharfsinn und Redegewandtheit, eine wirksame Waffe.
     Ausgrenzungen zum Wohle einer humanistischeren Welt scheinen gerechtfertigt, denkt man etwa an Menschen mit zerstörerischem, vielleicht widernatürlichem Charakter. Religiös orientierte Kritiker mögen einwenden, dass der Humanismus auch nur eine Glaubensrichtung unter vielen anderen darstelle. Dem lässt sich leicht entgegenhalten, dass Humanismus nie und nimmer das Töten auch nur eines Menschen befürwortet noch fordert, es sei denn, ein Mensch möchte aufgrund einer hoffnungslosen medizinischen Indikation selbst aus dem Leben scheiden und sich wie seinen Angehörigen sinnloses Leiden ersparen. Es wäre eine abwegige Gefühlsduselei, Leistungsverweigerer, Betrüger und andere asoziale Mitglieder der Gesellschaft bedingungslos aufzufangen, denn in der Masse nagen sie am Gemeinwohl. Eine berechtigte Ausgrenzung sollte jedoch das therapeutische Angebot der Resozialisierung offenhalten.
     Die Integration unterschiedlicher religiöser Anhänger bedeutet seit jeher, die Vorherrschaft einer Religion in dem entsprechenden Staat anzuerkennen. In keinem Land der Erde gibt es eine Multi-Kulti-Gesellschaft mit wirklicher Gleichberechtigung, denn sie ist unmöglich aufgrund der transzendentalen und durch „Offenbarungen“ beanspruchten sehr unterschiedlichen Wahrheiten. Nutznießer des tatsächlichen multikulturellen Chaos auf dem Globus sind diejenigen, die durch Globalisierung immer reicher werden und in religiöser Designermanier immer dekadenter prassen, während mehr und mehr Menschen existenzielle Not leiden. Es ist jedoch auch Not, die zum Glauben führt, die damit Menschen in einem fortwährenden Kreislauf zu unmündigen Opfern degradiert.
     Um die Massen still zu halten, bedarf es nicht allzu vieler Anstrengung; man denke an: Brot und Spiele! Wie anders lässt sich beispielsweise das Massenphänomen „Formel 1“ im Autorennsport erklären, wo Millionen immer wieder das stupide Befahren von Rundstrecken verfolgen und sich mit „Idolen“, an sich wildfremden Menschen, und kapitalkräftigen Autofirmen identifizieren, die sich vor Vergnügen die Hände reiben. Welcher Reiz beherrscht ein Massenpublikum, wenn nicht selten geistig Unterbelichtete als „Boxsportler“ aufeinander einschlagen, bis einer mit dem Risiko aller möglichen medizinischen Schäden zu Boden geht! Wie abartig sind viele Sparten des bezahlten Sports; es ist doch objektiv gesehen völlig bedeutungslos, ob beispielsweise Bayern München gegen Real Madrid verliert oder gewinnt, denn in keiner der beiden Mannschaften spielt auch nur ein Sportler der eigenen Stadt, ganz im Gegenteil, in beiden Teams finden sich Legionäre aus denselben fernen Ländern. Die Masse bewundert Luftblasen, die in Wahrheit allerdings durch puren geschäftlichen Egoismus finanziell aufgeblähte Ballons sind.
     Nicht anders verhält es sich mit dem Massentourismus: von Erkundungsdrang für das Gastland kaum eine Spur, es regiert die Schickeria; je exotischer der Sonnenstrand, desto vorteilhafter hebt man sich von den Daheimgebliebenen ab. Das Schicksal der Menschen vor Ort interessiert vielleicht als Staffage für das Urlaubsfoto.
     Die herrschende Massenmentalität einer vordergründigen, durch Konsum und Zeitvertreib erlangten Zufriedenheit entwirft eine Kultur, die eine solche Bezeichnung nicht verdient, denn es fehlt an der Grundvoraussetzung, an Kreativität. Ideenreichtum und Schaffenskraft sprudeln aus besonderen Quellen der Zielsetzung oder entstehen, wenn sich als wertvoll empfundene Anlässe ergeben. Wie sehr könnte sich die Menschheit aufwerten, besänne sie sich auf ihre eigenen Werte, beispielsweise die Würde jedes Einzelnen, und stellte sie über jeden der unsäglichen Götter und Abgötter.


© Raymond Walden




Samstag, 4. Juli 2020

Sequenzen von Skepsis (377)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4832
Vielleicht war die „Nachkriegszeit“ lediglich ein mittelfristiger Strategiewechsel im endlosen imperialistischen Weltkrieg.

4833
Es kommt zu Ohren, auch ins Blickfeld, aber schwerlich ins Bewusstsein.

4834
Schon geringe Anhebung des Sprachniveaus trifft auf massenhaftes Unverständnis.

4835
Seriöser Wissenschaft eröffnen sich wohl erahnte Möglichkeiten, doch die ahnungslos traditionell Gläubigen wenden sich ungeahnter Pseudowissenschaft zu, denn sie entspricht der rückständig spirituellen Gefangenschaft in der ängstlich erwarteten Apokalypse.

4836
Wissenschaft annulliert sich selbst in religiöser und ideologischer Zielsetzung.

4837
Bürokratieabbau erledigt der Computer mühelos im Aufblasen desselben gemäß der Aufgeblasenheit der Bürokraten und ihrer Ärmelschoner, gesattelt zu ausgiebigem Paragraphen-Ritt.

4838
Wer nicht sachlich und unter Wahrung von Respekt diskutieren kann oder es vor allem nicht will, wird mich nicht dazu bewegen, sein Unvermögen und seine sonstigen Defizite zu teilen.

4839
Immer schon war Zeitgeist ein Verblödungsfestival, zumeist gezeugt aus Befürchtungen und Feindbildern.

4840
Leben, wirklich zu leben, spielt sich in einer ganz anderen Zeit ab, die man sich nehmen muss. Wer aber kann das, wagt das, wenn nicht das freigeistige Individuum?

4841
Weil sie alle schon lange eigentlich immer Masken trugen, brach schließlich Pandemie aus, die kein Maulkorb dämmen kann.

4842
Methodische und methodologische Verkomplifizierung, „Verwissenschaftlichung“ von Unsinn soll den arglosen Bürger überzeugen, ihn zur Folgsamkeit zwingen.

4843
Die „Übertreibungsgesellschaft“ übertreibt es sogar in der Untertreibung: Alles ist extrem „unnormal“, das Normale allerdings eklatant unbekannt und in jedem Falle gefahrenträchtig, Angst und Panik einflößend; Orientierungslosigkeit als „Meinungsfreiheit“ wird aber trefflich zelebriert und gleichzeitig als „Alternativlosigkeit“ diktiert.

4844
Immer kann alles plötzlich erliegen – die panische Angst davor kann zur Ursache werden.


© Raymond Walden



Donnerstag, 2. Juli 2020

Menschliches Glauben: Was ist schon Wahrheit im Alltäglichen? (S. 100)


Man mag darüber streiten, ob ein Gefäß halb voll oder halb leer ist, unbestreitbar wird bei dieser Sachlage der zur Verfügung stehende Hohlraum zur Hälfte ausgenutzt. Die Begriffe „voll“ und „leer“ in Bezug auf die Hälfte signalisieren eine Interpretation des Beobachters, der damit seinen eigenen Ausgangspunkt der Betrachtung in die Diskussion einbringt. An der Tatsache der nur halben Befüllung wird dadurch nichts geändert. Eventuell ist aber das Faktum der Hälfte an sich bei der Zustandsbeschreibung gar nicht so entscheidend wie vielleicht der Anstieg auf die Hälfte oder das Absinken bis dahin. Von der eigentlichen Wahrheit wird so gewollt abgelenkt, geradezu klassische Beispiele für derartiges Vorgehen liefern die Interpretationen politischer Wahlergebnisse durch die Kandidaten, die sich nicht selten alle als Sieger empfinden; auch die Verlierer suchen sich je nach Bedarf einen ihnen genehmen Ausgangspunkt für ihre Beurteilung, um die Wahrheit, das muss unterstrichen werden, subjektiv schönzufärben. Dass sich dieses Faktenverdrehen immer wieder ungestraft wiederholen kann, ist ein deutliches Anzeichen für die Unempfindlichkeit der Beteiligten, nämlich der Manipulatoren, der Medien als Überbringer und des Publikums.
     Nun ist in Politikerkreisen dieses Verhalten gang und gäbe besonders bei Wahlversprechen, Absichtserklärungen und den folgenden Unterlassungen wie Meinungsänderungen. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, kennzeichnet die überlieferte Wahrheitsliebe eines immerhin christlich-demokratischen deutschen Bundeskanzlers, der damit wenigstens ehrlich das Politikerselbstverständnis, übrigens aller Parteien, charakterisierte. Der Sarkasmus bleibt weitgehend ohne Folgen, weil die breite Masse gar nicht merkt, dass vor allem sie selbst damit verhöhnt wird. Wie wäre es denn, wenn man den so schwatzenden Politikern entgegenhielte: „Kümmert euch nicht euer gestriges Reden, warum sollte uns jetzt euer heutiges kümmern?“ Dass eine solche Überlegung vielleicht gar nicht so irreal ist, zeigt sich mehr und mehr in geringen Wahlbeteiligungen, sind sie doch keineswegs nur der Ausdruck von Wählerbequemlichkeit und Desinteresse, sondern auch von Ablehnung.
     Was ist schon Wahrheit im Alltäglichen, wenn die Herrschenden sich gefallen, es mit ihr nicht so genau zu nehmen? Der Bürger empfindet dem Staat gegenüber allerdings eine ebenso lasche Wahrheitstreue und so blühen beispielsweise Schwarzarbeit und Steuerflucht, die ja ohnehin nur anrüchig werden, wenn der eine oder andere tatsächlich in juristischer Hinsicht auffällt.
     Wahrheitsverachtung üben die Staaten durch die Unterhaltung von Geheim- und Spitzeldiensten, deren Machenschaften hier nicht näher zu durchleuchten sind. Und die sogenannte Diplomatie, wenn auch zumeist in elegantem Gewande oder diskret, profiliert sich als Schacher- und Übervorteilungskunst. Die Zahl der wirklich wachen Bürger nimmt prozentual ab, deshalb wird sich in absehbarer Zeit kaum etwas grundlegend ändern lassen.
     Wird die Demokratie einerseits als die bestmögliche Staatsform gefeiert, so verfälscht sie sich andererseits durch forcierten Kapitalismus; es gibt keine wahre Demokratie, es hat sie bisher nie gegeben. Dennoch sollte das Ideal davon erhalten bleiben, um dem Menschen seine Würde wenigstens für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht zu stellen, denn gegenwärtig bemüht er sich mehrheitlich erfolglos, und zwar aufgrund geistiger Blockaden, die er aus sich heraus noch nicht erkennt.
     Es scheint so, dass die politischen Unwahrheiten lediglich die Fortsetzung der verschiedensten Wahrheitsvernebelungen, ja Wahrheitsmeidungen im alltäglichen Umgang miteinander darstellen. Vergegenwärtigt man sich, bei wie vielen Gelegenheiten man nicht nach Wahrheit verlangt, es darüber hinaus sogar vorteilhaft ist zu schweigen oder zu lügen, so drängt sich die Frage auf: Ist im Leben der Umgang mit unverfälschter Wahrheit überhaupt möglich oder verharrt der Entwicklungsstand des Menschen vielmehr auf der Ebene des Verdrängens und Wünschens?
     Ganz offensichtlich besteht ein Missverhältnis zum eigenen Tod, der vom Massenmenschen fast gar nicht ins Sein einbezogen wird. In der Praxis regt man sich kaum über den Tod anderer Menschen auf, nimmt ihn sogar mit Sensationslust zur Kenntnis, verschließt aber die Augen vor dem, was das eigene Schicksal bringen könnte, oder öffnet sich realitätsferner Religion und Esoterik. Mit deren Hilfe werden Tabus konstruiert, die nicht nur das Privatleben, sondern ebenso die Staatsphilosophien prägen. Die Einhaltung der Tabus wird im Besonderen mit dem Hinweis auf strafende Götter und Unsterblichkeit oder Reinkarnationen und Karma durchgesetzt. Weil solche Tabus unvernünftig, das heißt gegen den klaren Verstand und auch gegen natürliche Gesetzmäßigkeiten, gepredigt werden, sind Tabubrüche vorprogrammiert, Regelverstöße, die mit Unwahrheiten gedeckt und bemäntelt werden. Offen angelegte Wahrheit wäre, so ernüchternd das klingen mag, der Tod jedes Wunderglaubens, der ja zumeist von sich behauptet, wahr zu sein.
    Sofern moralisch vertretbar, wären kleine Notlügen hinnehmbar, wenn sie beispielsweise der Schonung des Gegenübers dienen sollen, um vielleicht im Krankheitsfalle die Hoffnungen auf Heilung zu unterstützen. Was bei leichteren Leiden mit absehbarem Verlauf sicherlich ermunternd für den Patienten sein kann, bedeutet bei hoffnungsloser Erkrankung allerdings nur ein Hinauszögern, ein Augenverschließen vor dem nahenden Ende, das dann um so katastrophaler empfunden wird.
     Der Alltag ist mit Lügen gespickt, sodass der geschickteste Wahrheitsverdreher die besten Erfolgsaussichten besitzt. Nehmen wir die Zeitungen her, die mehrheitlich schon auf der Titelseite eine Unwahrheit präsentieren, indem sie sich als „bürgerlich, parteiunabhängig“ bezeichnen, obgleich sie einer straffen politischen Ausrichtung unterliegen. Man weiß es im Allgemeinen und lebt damit ebenso wie mit der Dauerberieselung durch Werbung, die sämtliche Register der Schönfärberei zieht und Negatives, man ist versucht zu sagen „naturgemäß“ ausspart oder abstreitet. So macht man sich die Erde heutzutage untertan.
     Nun wäre es leichter gegen Verlogenheiten anzugehen, könnte man in jedem Fall so ganz zweifelsfrei definieren, was Wahrheit ist. Sie öffnet sich leider nicht nur als objektivierbares Faktum, sondern unterliegt gerade auch dem jeweiligen subjektiven Wahrnehmungsvermögen. Abhängig von der Tages- und Jahreszeit, vom eigenen Alter, von der Persönlichkeitsentwicklung, von Stimmungen und so weiter, erkennen wir Sachverhalte als wahr an, die gleichwohl auch Täuschungen sein können. So entstehen Unwahrheiten, die nicht aus Boshaftigkeit und Willkür resultieren, sondern in aufrichtiger Absicht als Wahrheit beeidet werden. Da stoßen wir auf das philosophische Einkalkulieren der Begrenztheit menschlicher Wahrnehmungen und befinden uns in der vergleichbaren Situation mit so vielen Zeitgenossen, die bei astronomischen Himmelsbeobachtungen spontan nach den Grenzen des Alls fragen, ohne zuvor überhaupt verstanden zu haben, wie unsere engere kosmische Heimat, das Planetensystem, aufgebaut ist. Das bedeutet, das praktische tägliche Miteinander besteht aus unkomplizierteren Wahrheiten, um die man sich aber selbst bemühen muss, deren Handhabung zu üben ist. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Masse übungsunwillig ist und von einflussreichen Nutznießern auch übungsunfähig gehalten wird.
     Sich wenig um Wahrheit zu kümmern, gleichgültig oder mit faulen Kompromissen zu leben, das sind die Merkmale einer Erdbevölkerung, die sich in großen Teilen ganz zu Unrecht als Krone der Schöpfung beweihräuchert. Dem Drang nach Fortpflanzung folgend werden unausgesetzt „hausgemachte“ Probleme erzeugt, sodass Menschen unter viel widrigeren Umständen leben müssen als Tiere in der freien Natur, die es nicht fertigbringen, aus rein ideologischen Gründen Artgenossen zu töten, Kriege zu führen, Lebewesen zu unterdrücken, auszubeuten, psychisch und physisch zu foltern oder dies „diplomatisch“ zu dulden.
     Als interessiert hinterfragender und selbstkritischer Bürger solche Lebensart zu verneinen, ein würdigeres Leben zu führen, erfordert den enormen Kraftakt der Abgrenzung, die nicht zu Ausgrenzung und Menschenverachtung führen darf. Solche Bemühungen können das Individuum überfordern, sie können aber unter zivilisierten Voraussetzungen ebenso Quelle für Lebensmut und –qualität sein.


© Raymond Walden



Mittwoch, 1. Juli 2020

Let Home be our Life


On a free land,
in clean fresh air,
upon clear waters,
under an open and wide sky,
clarified against the fashionable,
distant to nerd behavior,
away from any religion,
denying any ideology,

so I built home,*

admiring nature,
valuing humanity,
open to the arts,
substantiating peace and empathy,
taking sides against war,
tearing up enemy images,
cultivating emancipated individualism,
demonstrating upright backbone,
yearning for love and giving it,
not keeping silent even in silence.

None of rhapsodizing,
but implementation,
manifestation
in everyday life,
and while celebrating festivities.

Let home be our life.


* There is no equivalent word in the English language for the German term of “Heimat”.





Sonntag, 28. Juni 2020

Heimat sei uns das Leben


Auf freiem Land,
in sauberer frischer Luft,
auf klaren Wassern,
unter offenem weitem Himmel,
abgeklärt gegen Modisches,
in Distanz zu Fachidiotischem,
fern aller Religion,
jede Ideologie verwerfend,

so baute ich Heimat,

die Natur bewundernd,
Menschlichkeit schätzend,
den Künsten zugewandt,
Frieden und Empathie untermauernd,
Partei ergreifend gegen Krieg,
Feindbilder zerreißend,
emanzipierten Individualismus pflegend,
aufrechtes Rückgrat beweisend,
Liebe ersehnend und zeigend
und selbst im Schweigen nicht schweigend.

Nicht schwärmende Tümelei,
sondern Realisierung,
Manifestierung
im täglichen Allerlei
wie zum festtäglichen Zelebrieren:

Heimat sei uns das Leben. 


 

Freitag, 26. Juni 2020

Menschliches Glauben: Leidensfähigkeit (S. 98)

Vom Augenblick des Erkennens der eigenen Endlichkeit beginnt für den Menschen ein Ausmaß an Leid, das die Vorzüge des Bewusstseins gegenüber dem Tier nicht nur nivellieren kann, sondern den Menschen häufig vernichtend drangsaliert. Die Einsicht, dass ein endloses Leben unmöglich, dass der Tod demnach sinnvoll ist, vermag die Lage kaum zu entspannen, denn sie erschließt nicht den Sinn des Lebens. Dem denkenden Menschen stellt sich, ob er will oder nicht, die Aufgabe, seinem Leben einen Sinn zuzuordnen. Dem Nichtdenker wird es recht und schlecht gelingen, diese Aufgabe zu verdrängen und in einer geistigen Trägheit dahinzuleben. Angedickt zu einer gesellschaftlich zähen Masse, verkörpert das Nichtdenken aber den bisher als normal geltenden Zustand der Menschheit, die zwar mit ihrer angeblichen Denkfähigkeit kokettiert, jedoch konsequent das Denken bei jeder Gelegenheit verhindert und es gar bei Strafe verbietet. Religionen und Staatsphilosophien dulden kein kritisches Hinterfragen, sogar in den sogenannten exakten Wissenschaften gelten an Dogmen erinnernde Thesen und paaren sich esoterikähnlich mit vergeistigtem Wildwuchs.
     Gewöhnlich im frühen Kindesalter beginnt die eigentliche Demütigung des Menschen durch Indoktrinationen, deren einziges Ziel die Verhinderung des freien Denkens ist. Die Würde des Menschen wird zerstört, indem sie religiös oder ideologisch festgeschriebenen Dogmen unterworfen wird. Der Weg des Leidens erfährt so seine akribische Vorbereitung; das führt breit angelegt zu seelischen Konflikten, Doppelmoral, der Erzeugung von Feindbildern, Krieg und Völkermord.
     Kein einziges Staatswesen auf dem Globus verzichtet auf Denkverbote, wobei sich die Restriktionen auf das Äußern der Gedanken beschränken müssen, denn das Denken an sich lässt sich natürlich nicht ausschalten, aber wie schon beklagt, durch frühzeitige Infiltration oder gar Gehirnwäsche einschränken. Religiöse und staatliche Tabus mögen für nicht weiter nachdenkende Personen ausreichen, um den Sinn des Lebens demgemäß zu adaptieren und sich zumindest zeitweilig wohlzufühlen. Das Leiden wird dadurch nicht gemindert und schon gar nicht erklärt. Aber den wenigen Menschen, die aus irgendwelchen Gründen, die sie sich nicht ausgesucht haben, zum aufgeklärten Denken vorstoßen und zum Beispiel die religiös begründeten Zwangsläufigkeiten von Leiderzeugung bis hin zu gegenseitigen Abschlachtungen durchschauen, ergeht es kaum besser. Denn solche Individuen haben zumeist keine adäquaten Ansprechpartner, befinden sich in einer Gesellschaft, die ihnen mit Unverständnis und Ausgrenzung begegnet, wenn sie nicht gar drastischere Maßnahmen ergreift.
     Könnte man den biologischen Verfall des Menschenlebens als natürliches Leid bezeichnen, das sich durch menschliche Zuwendung im Verbund mit verantwortungsbewusster Wissenschaft lindern lässt, entsteht zusätzlich vergeistigtes „unnatürliches“ Leid in gigantischen Ausmaßen und mit zerstörerischer Macht.
     Anerkennt man die Würde eines jeden Menschen als unantastbar, erweisen sich Neid, Missgunst, Eifersucht, Rachsucht, Ausbeutung von Menschen, Nationalstolz, der „vaterlandstreue“ Kriegsdienst, Auserwähltheitsansprüche und religiöses Sendungsbewusstsein als offene Diskriminierungen anderer Menschen. Erst wenn ein wesentlicher Teil der Menschheit das begreift, kann sich Gewaltfreiheit als Grundprinzip des Miteinanders unter Achtung der humanen demokratischen Gleichberechtigung entwickeln. Solange Menschen glauben zu wissen, was irgendeine Gottheit verfügt und sich derartige Menschen zu Stellvertretern und Richtern der Götter aufspielen, produzieren sie Leid, weil das Gehirn denkunfähig verharrt. Ausgerechnet dieses komplexe Organ des humanen Menschseins muss erst noch zum Leben erweckt werden! Ob es der Evolution dereinst gelingen wird, einen solchen Status des Lebens hervorzubringen, erscheint in der Gegenwart als eher unwahrscheinlich, da doch vermehrt alle Kräfte der Selbstzerstörung in den Vordergrund treten. Trotz fehlgeleiteter Globalisierung mag unser Planet aber Nischen aufweisen, von wo aus Denkfähigkeit Überlebensstrategien evolutionär durchsetzen wird.
     Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Leid anschwellen und vor allem freie Denker nicht verschonen. Die Sinnsuche für den Einzelnen wird dadurch um so schwerer und er wird keine Hilfe bei den Massenmenschen oder bei der Masse „Mensch“ erfahren. Humanität, so erscheint es mir, keimt, wenn überhaupt, in verbindlichen Partnerschaften auf den zahlreichen Ebenen des Alltäglichen, wobei allein die Partner die Kriterien jener Verbindlichkeiten in freier Übereinstimmung definieren und keine Religion und kein sonst wie konstruiertes Tabu ein Mitspracherecht besitzen.
     Unsere Leidensfähigkeit ist ein Merkmal der Evolution. Zuverlässige Partnerschaften, befreit von religiösem Klimbim voller Doppelmoral, werden sich behaupten. Eine Faszination für jeden, der denkt. Aber wie kommt man an denkende Mitmenschen, wenn nicht durch Zufall?


© Raymond Walden




Dienstag, 23. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (376)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4820
Waffen „wollen“ agieren, also zerstören und töten – in den Händen von (Un)Menschen und Göttern.

4821
Die ideologische Diffamierung der Farbe Grün schlägt der Natur ins pralle Leben.

4822
Grüner Wasserstoff“ wird zum Knallgas der physikalischen Leere im Kopf.

4823
Ideologie“ bedeutet Waschung des Gehirns, „Glauben“ macht nicht sauberer.

4824
Spottet nicht, wenn ihr es besser wisst, genießt euren Vorsprung und nehmt die wohlwollend auf, die euch um Rat und Beistand bitten.

4825
Annexion beschreibt Raub. Auf annektiertem Land zu siedeln, muss nationalistischen oder religiösen, eben „unmenschlichen“ Ursprungs sein.

4826
Wissen kann Missstände wenden, Wähnen aber kann Wissen vortäuschen und Wahrheiten wenden.

4827
Anspruch auf Hilfe in der Not ist verbrieftes Menschenrecht, gewählte Einsamkeit nicht minder.

4828
Die Maulkorb-Masken-Gesellschaft vermag nicht frei zu atmen, sie kann nicht frei sprechen und bald auch nicht mehr frei denken; sie soll nicht frei sein, sondern sich „willensfrei“, vor allem ängstlich fügen.

4829
Computer führen jedes Rechenmodell zuverlässig aus; quasi im Kadavergehorsam führen sie auch Krieg gegen die Menschheit – unter dem Kommando menschenfeindlicher Menschen.

4830
Wie deprimierend wirkt die reichhaltige Natur, wenn die menschliche Gesellschaft krank ist.

4831
Propagandisten werden durch ihresgleichen belobigt und ausgezeichnet. So „frei ist die Presse“!


© Raymond Walden



Samstag, 20. Juni 2020

Wann wird es Sommer?


Jede Jahreszeit weist ihre Alternative auf der gegenpoligen Planetenhälfte aus: Sommer hier, Winter dort.
So ist das in einer dualen und zugleich variablen Welt.

Grün-alternativ“ nannte sich einst eine neue gesellschaftliche Denkrichtung, die viel Wahres aufgriff und Zulauf erhielt.
Mit dem Aufstieg ins Establishment im Verbund mit Christen, Sozialisten, Freiheitlichen, Kapitalisten und sogar Kommunisten kam er immer drängender hervor, der Anspruch auf Zwang, den die Regierung bald als „Alternativlosigkeit“ zu ihren Entscheidungen stilisierte.
Der vormals gepriesene demokratische Sommer des Werdens, Sprießens, Erblühens und Reifens ist vorbei, „alternativlos“ herrscht winterliches Frostdiktat, wie zum Spott ausgeprägt ausgerechnet bezüglich einer Klimaerwärmung mit angeblich menschlicher Verursachung.
Nun auch noch – und „damit zusammenhängend“ (!) – Pandemie!

Die Menschen (immer die anderen) sind schuld, müssen bekehrt, geführt, belehrt, entmündigt, befehligt werden, „alternativlos“.
Im Verstoß gegen demokratische Grundrechte, gegen Menschenrechte und gegen Naturgesetze spielen sich Ideologen als das auf, wogegen die Evolution schon lange intelligente Alternativen schuf, wenngleich sie, erst am Anfang noch, auf ihre human kultivierte Lebenszeit warten müssen, denn die widernatürliche Alternativlosigkeit bietet alles zum eigenen Machterhalt auf. Der nächste „Sommer“ mag auf sich warten lassen; er kommt aber, da kosmische Naturgesetze (siehe auch Kosmonomisches Manifest) und nicht ideologische Phrasen, langfristig den Globus und seine Menschheit lenken.




Mittwoch, 17. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (375)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4808
Wachträume in weißen Nächten bei offenem, lichtem Fenster: Das Lager wird zum Himmelbett, der Vogelgesang konzertant, der Wind raunt Freiheit. Atme sie tief mit allen Sinnen ein, erlebe sie, lebe auf!

4809
Der Mensch „macht Männchen“ viel eilfertiger und kauziger als ein dressierter Hund.

4810
Die „sensationierte“ Befürchtungs- und Empfindlichkeitsgesellschaft wittert allgegenwärtige Bedrohung, bevorzugt die Gefahr und Hysterie derartig intensiv, dass ihr gewöhnliche Normalität unerträglich wird.

4811
Aus der „Welt um mich“, erforscht seit frühesten Kindertagen, entstand inzwischen das Kolossal-Gemälde „Die Welt in mir“. Beide Blickwinkel erst bestimmen den Standpunkt und die Bewegungsrichtung.

4812
Schmalsichtigkeit verengt sich weiter mit verwurzelter Fernsehversessenheit.

4813
Je absurder sich die Masse aufführt, desto „traumhafter“ entfaltet sich die Einsamkeit.

4814
Selbst gewähltes Engagement befreit, Lohnarbeit knechtet.

4815
Wer Glauben fordert, ist mit sich im Unreinen, denn ehrliches Vertrauen entsteht im freien Wollen.

4816
Bigotterie verpuppt Rassismus wie umgekehrt.

4817
Dummheit mag Gesellschaftsordnungen ausbremsen, kaum aber sich selbst.

4818
Besonders in verklemmten Gesellschaften hakt es in und unter vielen Beziehungen.

4819
Wirtschaftskrise durch epidemische Verirrungen? – Wir drucken Geld!
Und folgende Generationen zahlen. Wir schenken ihnen „Zukunft“!


© Raymond Walden




Montag, 15. Juni 2020

Menschliches Glauben: Verfrühte Knospe in provinzieller Enge (S. 95)


Die heutigen gesellschaftlichen Bedingungen lassen immer neue Ballungszentren entstehen, noch aber leben die meisten Menschen der Erdbevölkerung auf dem Lande oder in kleineren überschaubaren Kommunen – in der Provinz. Sie bietet Heimat, mitmenschliche Kontakte, Vertrautheit und Geborgenheit. Nach dem Motto „Glaube, Heimat, Sitte“ spielt sich ein in Traditionen gegossenes Leben ab, das sich mit lokalen Aspekten zufrieden gibt und globales Hinterfragen kaum vermisst, es sogar verdrängt, obgleich weltpolitische Ereignisse zunehmend in das provinzielle Leben eingreifen. In der Regel zeichnet sich der Lokalpatriotismus durch Überbewertung der heimatlichen Szene aus und pflegt gleichzeitig eine devote Haltung gegenüber der wie auch immer gearteten Obrigkeit. Abweichler werden bald als solche erkannt, wieder auf Kurs gebracht oder abgestempelt. Die Provinz sucht keine Weitläufigkeit, sondern pflegt Prüderie und Spießertum in bürgerlicher Doppelmoral.
     Demgegenüber stellen sich die Metropolen offener dar, aber gar nicht selten bedeutet Offenheit lediglich anonyme Freiheit, auch Beziehungslosigkeit. Die Bürger der Mega-Städte sind in beträchtlichem Maße Lokalpatrioten, provinziell und häufig nationalistisch geprägt. Das erweiterte gesellschaftliche und kulturelle Angebot der Städte ermöglicht Horizonterweiterungen gegenüber dem Leben in der Provinz, doch gleicht zumindest in den Staaten mit entwickelter Infrastruktur die oft bessere Lebensqualität auf dem Lande die provinziellen Nachteile aus.
     Provinzielle Enge entsteht gegenwärtig weniger durch den Stadt-Land-Gegensatz als durch das Bildungsgefälle innerhalb der Bevölkerung eines Staates. Dadurch wird Provinzialität ein Phänomen, das offensichtlich trotz zunehmender Verstädterung und wachsender Technologisierung an Bedeutung gewinnt. Obwohl die globalen Zusammenhänge sich überall bemerkbar machen, verharren die Menschen vorwiegend in provinziellen Sichtweisen und Strategien. Ein wesentlicher Pfeiler dieser Gedankengebäude besteht in der jeweiligen Religion, sei es aus fundamentalistischer Überzeugung oder aus eng an die Religion gebundener, traditioneller Lebensgewohnheit.
Die verheerenden Folgen der provinziellen Einengungen schlagen sich in jeder Nachrichtensendung und in jeder beliebigen Tageszeitung nieder und akzelerieren mit dem Wachstum der Weltbevölkerung und der wirtschaftlichen Entwicklung weiterer aufstrebender Regionen.
     Menschwerdung gerät mehr noch als in früheren Zeiten ins Hintertreffen, weil in der Vermassung das Individuum zu oft untergeht oder verblödet, ehe es sich überhaupt als solches begreifen kann. Dabei ist gerade das Individuum der Kern der Menschwerdung, der humanistischen Eigenverantwortlichkeit im Einklang mit einer Gesellschaft, die ja nicht aus sich selbst heraus, sondern aus der Summe von Individuen besteht. Provinzielle Enge bedrängt uns indessen, weil das dort verankerte Denken über modernste Medien die gesellschaftlichen Schaltzentralen erobert, wo man kaum in der Lage ist, außerhalb eigener Eitelkeiten zu reagieren, geschweige denn Perspektiven zu entwerfen.
     Mit äußerst wenigen Ausnahmen verharrt die Menschheit in archaischen Denkstrukturen, die sich weder jetzt noch in absehbarer Zukunft auflösen lassen. Dieser durchaus deprimierenden Tatsache muss jeder aufgeklärte Geist Rechnung tragen, will er sich nicht erstens der vielseitigen Inquisition ausliefern und zweitens im privaten Umfeld in sinnlosen Konflikten aufzehren. Als kosmonomischer Humanist ohne religiöse Affinität muss man akzeptieren, dass es eher wenige Individuen mit ähnlicher Geistesreife gibt. Der aus religiösem Glauben erwachsende Wahnwitz, der sich nach eigenem Bild Götter schaffenden Kreaturen eigen ist, dokumentiert eine derart destruktive Einschränkung, dass keine öffentliche Aufklärungsmöglichkeit existiert, weder in Parteien oder Verbänden noch als Einzelperson. In praktizierter Eigenverantwortung bleibt für einen Kosmonomen nur die entschiedene, wenngleich möglichst freundliche Zurückhaltung, um zumindest eine Privatsphäre für die Wahrnehmung und Pflege der angenehmen Lebensseiten zu garantieren. Inwieweit es gelingt, trotz der vorherrschenden Indoktrinationsmentalität ein lebenswertes, gar erfülltes Dasein zu bewerkstelligen, hängt jeweils von den persönlichen Umständen ab. Gesellschaftliche Kontakte bilden für die Spezies „Mensch“ eine Notwendigkeit, daran lässt sich nicht zweifeln. Ebenso sind aber die mitmenschlichen Beziehungen das Feld zerstörerischer, primitiver Auseinandersetzungen über Lebensauffassungen und Weltbilder. Aus den allgegenwärtigen Gewaltoptionen kann sich der Freidenker nur durch diskrete Reserviertheit befreien. Menschsein und Gewalt gehören entwicklungsbedingt zusammen, doch ist der Mensch vielleicht noch gar nicht ein solcher. Religionen stellen seinen verzweifelten, aber ungeeigneten Schritt zur Überwindung des Tierischen dar und der Versuch endet global immer deutlicher in Verbiesterung.
     Es ist eine bittere Erkenntnis: Aufklärung heute ist eine Fata Morgana, dennoch gibt es bereits aufgeklärte Menschen; ihr Schicksal sei an dieser Stelle einmal poetisch ausgedrückt: Sie eilen der Menschheitsentwicklung voraus und ertragen den Frost wie eine verfrühte Knospe im Frühling. Den Sommer werden andere erleben.


© Raymond Walden



Samstag, 13. Juni 2020

Nach(t)gedacht



Bedenke, Mensch, bei allem Streben,
es ist die Nacht als Tageszeit,
die mitbestimmt fürs ganze Leben,
was Traum ist und was Wirklichkeit.

Du willst, oh Mensch, gern selbst entscheiden,
wie du Tag und Nacht verbringst,
verirrst dich leicht in beiden,
fraglich bleibt, was du erringst.

Es fehlt dir, Mensch, ein ehrliches Besinnen,
wie Zeit bewusst und wertvoll bleibt,
die Jahre eilen dir von hinnen,
bis dich dereinst der Tod entleibt.

Die Nacht, oh Mensch, will Freund dir sein,
Replik und Ruhe reichlich schenken
und schläfst du zögerlich nur ein,
mag sie dich zuversichtlich lenken.

Zwischen Traum, oh Mensch, und wachen Sachen
rollt dir die Nacht den Teppich aus,
manches einfach so zum Lachen, nachzumachen,
andres sieht bedrohlich aus.

Achte, Mensch, die Zweisamkeit der Nacht mit dir,
ungeahnte Freiheit stellt sie dar,
in Verbundenheit und Treue ganz und gar:
Jede Nacht, auf ihre Weise leise, sei dir Lebenselixier.




Donnerstag, 11. Juni 2020

Menschliches Glauben: Der Stern der Weisen (S. 93)


Dezember 1998

Folgt man alten Überlieferungen, so befand sich zur Geburtszeit Christi ein besonders auffallender Stern am Himmel und wies bekanntermaßen den Weisen aus dem Morgenlande den Weg nach Bethlehem. Mit dem heutigen Kenntnisstand lässt sich ziemlich sicher nachweisen, dass es keinen derartigen Stern gab, sodass der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem Symbolgehalt des Phänomens ruht. Die Gelehrten oder Weisen vor 2.000 Jahren waren oft auch Himmelskundige, deren Weisheiten jedoch weniger einer Wissenschaft in heutigem Sinne als vielmehr einer Deutungskunst genügten; Astronomie und Astrologie entsprachen noch ein und demselben. Davon aber unabhängig ist der philosophische Wert des zitierten Himmelslichts als Zeichen der Freude, des Optimismus, der menschlichen Wärme zu sehen. Sterne allgemein hoben sich ab vom Alltäglichen als überirdisch oder gar göttlich, charakterisiert als Garanten des Guten wie des Bösen.
     Heute wissen wir um die gewaltigen Energieprozesse innerhalb und außerhalb von Sternen. Wir kennen den segensreichen, einzig Leben ermöglichenden Erdabstand zur Sonne, unser Planetensystem haben wir sehr gut verstanden und auch schon manche Struktur unserer Heimatgalaxis definiert. Daher wissen wir: Es gab keinen physikalischen „Weihnachtsstern“; weder als Supernova, noch als Kometen (der sowieso kein Stern ist).
     Nun kennt man das Geburtsjahr Christi nicht so genau, so dass drei etwa 7 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung zu beobachtende enge Jupiter/Saturn-Konjunktionen, also Zusammentreffen der Planeten am Firmament, die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Viele populärwissenschaftliche Darstellungen folgen dieser Erklärung für die Existenz des Weihnachtssterns, doch erscheint dies eher opportunistisch, denn über einen Zeitraum von nur wenigen Jahren existieren am Himmel derart viele Zyklen, sodass sich zu beinahe jedem irdischen Geschehen irgendeine, oft auch an den Haaren herbeigezogene, Himmelsentsprechung konstruieren lässt, so man nur will.
     Das wiederum ist das Geheimnis der heutigen Astrologie als Täuschung auf der ganzen Linie, begünstigt durch die Mentalität einer Gesellschaft, die millionenfach Weihnachtssterne aufhängt im kalten Geschäftslicht, das jeden Sternhimmel, selbst den in unserer Seele, niederstrahlt. Glücklich waren die Weisen damals; sie folgten einem klaren, verzaubernden Sternhimmel und einer freudigen Hingabe. Die Marksteine heute sind zum Beispiel kommerzielle Skybeamer, die den Nachthimmel dem Menschen entfremden. Die Lichtverschmutzung geht einher mit unsäglichen Abfallmassen, die wir in den Himmel und wieder herabbefördern durch militärische Projekte, extensiven Menschen- und Gütertourismus und durch geistige Verseuchungen, die via Satellitenfernsehen die Menschen befallen. Der Massenmensch verfügt über entrückte und verrückte Weltbilder, obgleich ihm die moderne Forschung wirklich grandiose Weiten eröffnet, denen er sich aber verschließt. Das ist die eigentliche Tragik.
     Schon ein bescheidenes Fernglas kann zu Einsichten führen, denn die überwältigende Anzahl der verschiedenen Himmelsphänomene hat allemal die Qualität eines Weihnachtssterns, den eigenen Standort physiologisch wie psychologisch-philosophisch zu bestimmen. Man muss sich allerdings, frei nach Kant, bemühen: Sapere aude – wage es, deinen Verstand zu gebrauchen!


© Raymond Walden 


 

Montag, 8. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (374)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4794
Kritik aus der Nähe trifft tiefer.

4795
Kontinent frivol: Europa geht sich auf den Sack, dabei hat es gar keine Eier, allenfalls eine schlaffe Brust.

4796
Wer aufhört zu „leben“, verursacht auch nichts mehr. Andere zeigen, wo es langgeht.

4797
Soll jeder glauben, was er will, behellige mich aber nicht. Ich will wissen, mehr als andere glauben.

4798
Jeder Schlag zeitigt einen Rückstoß; so ist das in der Gewaltspirale.

4799
Wie schnell ist ein Baum gefällt, der Stab gebrochen, ein Menschenleben im Überlegenheitswahn und im Namen eines Gottes gelöscht.

4800
Ideologie pervertiert das Lieben und Leben zum Morden und Sterben, millionenfach, immer wieder neu bewaffnet, denn das Gewehr spendet Frieden erst im Niedermähen, im ungeistigen Drill des Vernichtens.

4801
Es gibt ein Leben abseits vom Jenseits, abgewandt von Mission, Werbung, Propaganda und Indoktrination: intelligentes Leben.

4802
Regierungsamtliches Lügen straft die Völker, kaum die Schandmäuler.

4803
Geistige Hygiene meint sauberes Denken und klares empathisches Empfinden, nicht aber beweihräuchertes Glauben und steriles Erstarren in pandemischem Dogmatismus.

4804
Inzwischen sind mehr Menschen an Corona verblödet als gestorben und so verendet der freiheitliche Rechtsstaat ganz beabsichtigt, aber hinreichend unbemerkt.

4805
Wäre die Welt, wie gelegentlich im Überdruss behauptet, ein Irrenhaus, müssten sich auch die Betreiber und Organisatoren erkennen lassen, doch ich höre scheinbar immer nur Patienten und sehe Schweigen innerhalb normaler, erbarmungswürdiger Verhältnisse.

4806
In jedem anbrechenden Frühlingsmorgen erwacht Erneuerung, bestätigt sich im Werterhalt, in Lebensfreude und in demütiger Erinnerung an Vergangenes.

4807
Neue Normalität“, gemessen woran? Normal Null?


© Raymond Walden




Freitag, 5. Juni 2020

Menschliches Glauben: Sind wir „nun mal ein christliches Land“? (S. 91)


November 1998

Ein CDU-Ratsherr, zugleich Lehrer, beklagte, dass sich an deutschen Schulen immer mehr Kinder vom Religionsunterricht befreien ließen und dadurch die Schulen vermehrt das Problem der Aufsicht von sogenannten Auffanggruppen zu bewältigen hätten. Und in der Tat, in diesen Gruppen sammeln sich nicht nur Konfessionslose, sondern Angehörige der verschiedenen nicht christlichen Religionen sowie gedankenlose Drückeberger.
     „Wir sind nun mal ein christliches Land“, vertrat der Pädagoge seine Weltsicht und forderte, all die anderen hätten sich unseren Werten und Normen zu fügen. Vordergründig mag man dem vielleicht zustimmen, doch was sind das für Normen im praktischen Leben, sind sie es wert, als unveränderlich für alle Zeiten zu gelten? Und verhält sich unsere Gesellschaft, wenn schon nicht human, wenigstens christlich gegenüber anderen Kulturen?
     Prof. Dr. Gerard Radnitzky schreibt in der Zeitschrift „Humanes Leben - Humanes Sterben“, Nr. 3/98: „Der klassische Liberalismus gibt für den öffentlich-politischen Bereich der persönlichen Freiheit die Priorität; der Fundamentalismus und daher auch die totalitäre Demokratie setzen andere Werte als 'letzte' Werte. Christen zum Beispiel neigen oft dazu, es als 'Christenpflicht' zu betrachten, missionarisch anderen ihre Moral aufzuoktroyieren – ein Totalitarismus in potentia.“
     Gerade unter diesem Blickwinkel ist die Rolle von Politikern und Parteien zu hinterfragen; wiederum zitiere ich aus „Humanes Leben - Humanes Sterben“, Nr. 3/98, diesmal Gedanken von Carl Jaspers: „Das Unheimliche ist: In der Freiheit selber liegt ein Grund des Verderbens. Die Welt politischer Freiheit ist verloren ohne große Staatsmänner, die durch die Schulung freier Männer zuverlässig von Generation zu Generation neu erwachsen. Mit allem, was sie tun, kämpfen sie in den gegebenen Chancen der Freiheit für diese. Sie kennen die Gefahr: Das Wagnis lohnt sich ihnen, weil es um das höchste Daseinsgut der Menschen geht. Sie haben Mut, Urteilskraft und Geduld. Von ihnen gilt, was von Perikles berichtet wurde: dass man ihn, seitdem er Athen lenkte, nicht mehr habe lachen sehen. Anders die Politiker. Sie sind opportunistische Realisten, Betriebmacher, listige Menschen und Erpresser. Unbekümmert vital handeln sie im Namen der Freiheit. Sie entziehen sich, wenn sie bloßgestellt sind, durch Lügen und Witze. Durch ihr Verhalten verhöhnen sie das Parlament, das, gleicher Art, es kaum merkt und nicht daran denkt, solche Frevler am Geist der Politik aus dem Sattel zu werfen. Mit sentimentalen Sprüchen täuschen sie einen Ernst vor. Sie sind Verderber der Freiheit.
     Dieser Typus von Politikern hält seine Aufgabe, ohne Berufung, für einen Beruf, einen vielfach aussichtsreichen, mit gutem Einkommen und Pensionsberechtigung. Sie meinen, er sei risikolos. Sie denken ohne Verantwortung. Dabei unterwerfen sie sich, in Gefahr ratlos, jeder sie vermeintlich sichernden oder wenigstens rettenden Macht, wie 1933. Kaum etwas war erniedrigender für sie und ihren Staat und kaum etwas richtiger als die Verachtung, die Hitler und Goebbels 1933 in ihren vollends in die Knie zwingenden Hohnreden über sie ergossen. Der Geist der freien Welt gibt ein zweideutiges Bild. Wir freien Völker sind noch keineswegs politisch eigentlich frei. Im wirtschaftlichen Wohlergehen, im Weiterschliddern, in bloßen Aufregungen liegt keine Freiheit. Die Aristokratie der Einsichtigen vermindert sich. Die Verteilung der Verantwortung erzeugt Verantwortungslosigkeit. Die Demokratie wird zur Parteienoligarchie.“ (Jaspers, Karl: Kleine Schule des philosophischen Denkens. 10. Aufl., München und Zürich 1997, S. 87f)“
     Im parteiübergreifenden Machtspiel manifestiert sich die bestechliche, einer doppelten Moral folgenden Kultur des Abendlandes, ganz besonders auch in Deutschland: Eine Turnschuh-Figur als Außenminister, ein RAF-Anwalt als Innenminister. Und allenthalben Politpromis, die ihre Kinder in anthroposophischen, „freien“ Waldorfschulen nach Steiners okkultem Weltbild verbilden lassen. – Diese „verchristlichte“ Landschaft ist zutiefst inhuman. Sich damit abzufinden, ist aus der Hoffnungslosigkeit heraus zwar verständlich, dennoch heißt Leben, heißt humanes Leben auch, sich herausfordern zu lassen, dem systematisierten Unsinn entgegenzutreten. Das kann sogar Spaß machen!


© Raymond Walden 


 

Donnerstag, 4. Juni 2020

Part of the Universe


Cosmonomic Glimpse (16)
from a Viewpoint of Liberty


Cosmonomic philosophy is not an academic one but is considering the thinking, feeling and acting in practical life concerning culture, politics, religion, economy, social structures, science and nature, freedom, peace, humanity and democracy – just to mention only some aspects.

Cosmonomy does not depend on any nationalism, racism or any thinking of superiority, it is just determined by the thoughts of enlightened people practicing emancipation by the consciousness of the cosmopolitan destination of mankind instead of narrow-minded regional views and dogmas or religious variations of doomsday prophecies and “holy wars”.

Cosmonomy does not deny the love of home and family, the love of home countries and humane social societies but Cosmonomy is embedding them all into the facts of cosmic dependence: because our unique home planet The Earth, is situated in its own overwhelming home which is the fabulous Universe.
So we are part of the Universe, we, too, belong to the great Cosmos with its valid natural laws.
And we should behave according to these generous rules which enable us to ease daily life by intelligent responsibility for the benefit of human dignity which is one condition to alleviate so many problems that cause lots of our quarrels and sufferings.




Dienstag, 2. Juni 2020

Menschliches Glauben: Trauer ist nur für Lebende (S. 90)


August 1998

Achtzig Jahre nach dem Attentat auf die russische Zarenfamilie erfolgte jetzt die feierliche und protokollarische Beisetzung der sterblichen Überreste in St. Petersburg. Jahrzehntelang war nicht bekannt, wo die Mörder ihre Opfer beseitigt hatten. Nun also für alle Zaristen und reaktivierten Christgläubigen die pathetische Inszenierung, der auch der russische Präsident beiwohnte.
     Wem nutzt ein solcher Trauerakt? Den Ermordeten jedenfalls nicht, denn sie sind tot, sollte man meinen. Vorsorglich hat aber die russisch-orthodoxe Kirche die Toten zu Heiligen erklärt und damit für die Gläubigen eine Art Reinkarnation der Blaublütigen in Gang gesetzt. Denn Heilige sind für die Religiösen zumindest so real, dass man in Gebeten mit ihnen Kontakt pflegt. Abgesehen davon, dass die Zarensippe zu Lebzeiten alles andere als „heilig“ war, schafft man so die esoterische Überhöhung. Das russische Glaubensvolk, heute unfähiger denn je, mit seinen Lebensmiseren fertig zu werden, flüchtet sich in die veralteten Irrationalitäten und erlebt wenigsten feierliche Stunden ergreifender Abgehobenheit vom schmerzlichen Alltag. Die Kirche freut sich über ihre eigene Renaissance und der Politfuchs Jelzin weiß, wie man Gläubige für sich einnimmt, damit die eigenen Aussichten auf eine erfolgreiche Wahl sich nicht chancenlos im Gottvertrauen verlieren.
     Trauer kann die Toten nichts mehr angehen. Diese unumstößliche Wahrheit könnte für Trauernde eine Erleichterung bieten, denn letztlich reduziert sich das Trauern auf das Empfinden der Lebenden. Trauer wird viel erträglicher und sinnvoller, legt man die oft gehörige Portion Selbstmitleid ab.


© Raymond Walden




Montag, 1. Juni 2020

Sequenzen von Skepsis (373)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

4782
Schenkt dir die Natur die schönsten Tage, liegt es auch an dir, das Glück zu schöpfen.

4783
Übrigens, wenn wir einst nicht mehr sind – für immer –, werden wir es auch nicht wissen und nimmer fühlen.

4784
Kein wahrer Tierfreund setzt zu viele Fische in seinen Teich, zu viele Vögel in die Voliere; nur aus dem Jenseits ertönt das tödliche „Wachset und mehret euch“ – auf einem begrenzten Planeten.

4785
Fische lachen nicht, all so symbolisieren sie die Christenheit.

4786
Redundante Wiederholungen politischer Aussagen übertünchen regelmäßig das beabsichtigte Gegenteil.

4787
Qualitätsjournalismus“ entblößt sich schon in dieser Wortschöpfung als zu vertuschender Notstand, als sprachliches und inhaltliches Defizit, aber auch als überbordende Opportunität, sogar als willfähriges Propagandaorgan.

4788
Freiheit lässt sich nicht vorschreiben, verordnen, denn sie besteht als solche auf freiwilliger, emanzipatorischer Übereinkunft, amtlich auf einer vom Volk verabschiedeten Verfassung. Wo aber ist das aktuell?

4789
Wer Tiere kennt, weiß einiges um ihr Verhalten. Bei Menschen stehe ich ratlos vor mir und wundere mich über so manchen.

4790
Sonntagsaphorismen schleimen sich ein, sind auf ihre Weise schlüpfrig.

4791
Wo man Menschen zum Töten zwingt, hat die Neuzeit nicht begonnen; sie wird nicht einmal gewollt von all den Friedensheuchlern.

4792
Natürlich lebe ich auf einer Oberfläche, nicht jedoch oberflächlich, sondern immer über dem Mittelpunkt des Planeten.

4793
Diktaturen und verkommene Demokratien verwehren Redefreiheit, weil sogar kleine Aphorismen in Treffsicherheit die Tyrannei das Fürchten lehren.


© Raymond Walden