1999
„Der
Herr hat zu seinen Aposteln gesagt: Frieden hinterlasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch. Deshalb bitten wir: Herr Jesus
Christus, schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben
deiner Kirche und schenke ihr nach deinem Willen Einheit und
Frieden.“ (Quelle. „Friedensgebet“
364,2 im „Gotteslob“, Katholisches Gebet- und Gesangbuch,
Jungfermannsche Verlagsbuchhandlung, Paderborn, 1975)
Das
Zitat beweist, dass es der katholischen Kirche in erster Linie an
ihrer Einheit und ihrem Frieden gelegen ist. Globaler
Frieden steht nicht im Vordergrund, wie soll er auch, betrachtet man
die Friedensphilosophie des Matthäus-Evangeliums 10, 34-36: „Glaubet
nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin
nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin
gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter
mit der Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
Und die Feinde des Menschen werden seine (eigenen) Hausgenossen
sein.“
Allein, das „Schwert“ existierte
bereits vor dem „Erscheinen“ des Herrn; das „Kommen“ war
nicht nur überflüssig, sondern überaus kriegfördernd.
Gerhard
Konzelmann lieferte ein Dokument aus dem historischen Afrika.
„Als aber im Frühjahr 1506 Jao I., der erste christliche König
des Kongo stirbt, wird Don Afonso sein Nachfolger. Er gruppiert die
Stämme, die ihm treu ergeben sind, um seine Hauptstadt. 36
Häuptlinge schwören, dem Kreuz zum Sieg zu verhelfen. Über den
Verlauf der letzten Schlacht berichtet ein Brief des Portugiesen
Paiva Mauso: ‘Wir riefen den heiligen Jakob , den Apostel an. Kurz
darauf sahen wir, wie ein Wunder geschah. Die Feinde drehten uns den
Rücken zu und flohen, so schnell sie konnten. Die Flucht erschien
uns rätselhaft. Wir folgten ihnen und erschlugen viele. Keiner
unserer Männer verlor sein Leben. Erst nach dem Sieg erfuhren wir
den Grund der Flucht. Einer der Gefangenen sagte uns, über unserem
Haufen sei plötzlich ein großes weißes Kreuz sichtbar geworden.
Dieses Kreuz habe die Flucht ausgelöst. Das Zeichen war gerade
geschehen, als wir den heiligen Jakob um Hilfe angefleht hatten.’
Der
zweite christliche König des Kongo regiert mit der gewohnten
Grausamkeit afrikanischer Herrscher: Seinen Rivalen Mpanza a Nzinga
läßt er foltern und töten. Die Verwandten, die das Bekenntnis zum
Christentum verweigerten, werden bestialisch ermordet. Seine Mutter –
auch sie will keine Christin werden – muss sich auf eine Matte
legen, die über eine offene Grube gespannt ist. Als die Mutter
standhaft bleibt, befiehlt der König, die Verspannung der Matte zu
lösen: Die Frau fällt in die Grube und wird mit Erde zugedeckt.
Über der lebendig begrabenen Mutter tanzen die Soldaten des Königs
Afonso.“ (Konzelmann, G.: „Sie
alle wollten Afrika“, Bastei-Lübbe-Taschenbuch, Band 65036, S. 73,
74)
Nichts, so scheint es, hat sich
verändert, auch an der Jahrtausendschwelle verehren in allen
Erdteilen Glaubensfanatiker ihre selbstgebastelten, parteiischen
Götter. Und mit diesen im Rücken lassen sich ungehemmt Kriege
führen.
„Frieden ist möglich“, meint
Franz Alt, indem er die
Bergpredigt und alle möglichen Religionen als humane Kraftreserven
anbietet: „Das Christentum des Jesus von Nazaret hat mit dazu
beigetragen, Menschenopfer und Sklaverei zu überwinden. Warum sollte
es heute - zusammen mit anderen Religionen – nicht den
entscheidenden Beitrag zu einer Friedensethik als Voraussetzung für
Frieden leisten? Wo sonst – wenn nicht im Buddhismus und
Hinduismus, im Judentum und Christentum, im Islam und Shintoismus –
liegen die ethischen Kraftreserven für Humanität?“ (Alt,
F.: „Frieden ist möglich“, R. Piper & Co, München, 1984, S.
104)
Das
ist die eigentliche Tragik; hatten die Religionen nicht Jahrtausende
(bei geringerer Erdbevölkerung als heute) Zeit zur Bewährung?
Bezeichnend ist darüber hinaus, dass Alt inzwischen nicht unerwartet
in der wundersamen neuen Welle der Esoterik ebenso Wahrheiten
erkennt. Aber auch das legt er seinen Lesern nahe: „Das neue, 2000
Jahre alte Menschenbild der Bergpredigt ist ein Aufruf: Entscheidet
euch gegen das Gesetz der Gewalt und Vergeltung für das Gesetz der
Liebe und Vergebung! – Bedenkt, dass ihr Menschen seid, und
vergesst alles andere! Arbeitet an der Überwindung des
unmenschlichsten aller Dogmen: dass der Mensch unverbesserlich sei!
Die Kirchen lehrten bisher eine heillose Welt oder ein weltloses
Heil. Doch seit der Bergpredigt könnten wir wissen: Das Heil ist
nicht weltlos, und die Welt ist nicht heillos. Wenn wir mitarbeiten
an der Heilung der Welt – dann werden wir verstehen und erfahren:
Frieden ist möglich.“ (Quelle wie
zuvor, S. 117)
Wie
wahr! Das Heil ist nicht weltlos. Die Vielzahl der Prediger und ihre
Gefolgschaften haben die Welt bis an den Rand der Hoffnungslosigkeit
heillos gemacht. Ich gestehe Franz Alt lautere Gesinnung zu, sein
Engagement, zum Frieden zu überzeugen, verdient Achtung. Dennoch
fällt mir dabei Friedrich Nietzsche
ein: „Keine Macht lässt sich behaupten, wenn lauter
Heuchler sie vertreten; die katholische Kirche mag noch so viele
'weltliche' Elemente besitzen; ihre Kraft beruht auf jenen
zahlreichen priesterlichen Naturen, welche sich das Leben schwer und
bedeutungstief machen, und deren Blick und abgehärmter Leib von
Nachtwachen, Hungern, glühendem Gebet, vielleicht selbst von
Geißelhieben redet; diese erschüttern die Menschen und machen ihnen
Angst: wie, wenn es nötig wäre, so zu leben? – dies ist
die schauderhafte Frage, welche ihr Anblick auf die Zunge legt.
Indem sie diesen Zweifel verbreiten, gründen sie immer von neuem
wieder einen Pfeiler ihrer Macht; selbst die Freigesinnten wagen es
nicht, dem derartig Selbstlosen mit hartem Wahrheitssinn zu
widerstehen und zu sagen: „Betrogener du, betrüge nicht!“
(Nietzsche, F.: Menschliches
Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister; Werke in zwei Bänden,
Band I, Carl Hanser Verlag, München, 1967, Lizenzausgabe für
Bertelsmann, R. Mohn OHG, Gütersloh, Buch Nr. 5879, S. 268)
Seit
Menschengedenken gibt es keinen religiös fundierten Frieden, nein,
viel schlimmer noch, fast jede kriegerische Auseinandersetzung
besitzt einen religiösen Hintergrund. Nietzsche hat den Betrug
realistisch genug skizziert: „Wenn wir eines Sonntagmorgens die
alten Glocken brummen hören, da fragen wir uns: ist es möglich!
Dies gilt einem vor zwei Jahrtausenden gekreuzigten Juden, welcher
sagte, er sei Gottes Sohn. Der Beweis für eine solche Behauptung
fehlt. – Sicherlich ist innerhalb unserer Zeiten die christliche
Religion ein aus ferner Vorzeit hereinragendes Altertum, und dass man
jene Behauptung glaubt – während man sonst so streng in der
Prüfung von Ansprüchen ist --, ist vielleicht das älteste Stück
dieses Erbes. Ein Gott, der mit einem sterblichen Weibe Kinder zeugt;
ein Weiser, der auffordert, nicht mehr zu arbeiten, nicht mehr
Gericht zu halten, aber auf die Zeichen des bevorstehenden
Weltuntergangs zu achten; eine Gerechtigkeit, die den Unschuldigen
als stellvertretendes Opfer annimmt; jemand, der seine Jünger sein
Blut trinken heißt; Gebete um Wundereingriffe; Sünden an einem Gott
verübt, durch einen Gott gebüßt; Furcht vor einem Jenseits, zu
welchem der Tod die Pforte ist; die Gestalt des Kreuzes als Symbol
inmitten einer Zeit, welche die Bestimmung und die Schmach des
Kreuzes nicht mehr kennt – wie schauerlich weht uns dies alles, wie
aus dem Grabe uralter Vergangenheiten an! Sollte man glauben, dass so
etwas noch geglaubt wird?“ (Quelle
wie zuvor, S. 297, 298)
Menschenwürde als Wertmaßstab
verbietet sowohl die diktatorische Unterwerfung wie die versteckte,
sich freiheitlich gebärdende Indoktrination, die sich geschäftsmäßig
und machtgierig der Lüge und Täuschung bedient. Am Menschen und
nicht an einer der unzähligen vermenschlichten Götterfiguren
orientiert sich die Menschenwürde. Sie erfordert einen sorgsamen
Umgang mit den Menschen und ihrer physischen Umwelt. Fortschreibung
des ganz irdischen Lebens, keinesfalls Lebenszerstörung, ist
menschenwürdiges Gebot.
Menschen hätten nirgendwo im All ein
Refugium. Unser Platz ist die Erde und es wird keine
Emigrationsmöglichkeit geben. Die Menschheit lebt hier und jetzt,
oder sie wird dem Tod irgendeiner unbedingten Theologie oder
Ideologie die Treue schwören.
„Sogleich aber nach der Drangsal
jener Tage wird die Sonne sich verfinstern, und der Mond wird seinen
Schein nicht mehr geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und
die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Und dann wird das
Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen. Und dann werden alle
Völker der Erde wehklagen, und sie werden den Menschensohn auf den
Wolken des Himmels kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit.
Und er wird seine Engel aussenden mit lautem Posaunenschall, und sie
werden seine Auserwählten sammeln von den vier Winden her, von einem
Ende des Himmels bis zum anderen.“ (Bibel;
Matthäus, 24, 29-31, Herder, Freiburg i. Br., 1966)
So
sieht das Ende nach der allgegenwärtigen christlichen Vision aus
(wissenschaftlich eine Aneinanderreihung von grotesken Albernheiten);
bei anderen Kulturen nicht minder abschreckend und verwandt
masochistisch, auf die Ewigkeit vertröstend. Deshalb ist Religion
nicht imstande, global das Leben menschenwürdig zu gestalten.
Es
stimmt, was Friedrich Schiller in seinem „Don Carlos“ den
Großinquisitor sagen lässt: „Vor dem Glauben gilt keine Stimme
der Natur“. (Schiller,
F.: „Don Carlos“, 5. Akt,
10. Auftritt) – Der Mensch ist Teil der Natur, Religionen
hingegen sind künstlich ausgeklügelte Machwerke gegen die Natur
unter missbräuchlicher Ausnutzung der natürlichen menschlichen
Gefühlswelt. Religion ist so abgehoben, dass sie Frieden predigt,
lokalen Frieden bisweilen vortäuscht und in zeitlich und geografisch
ausgedehnteren Räumen einen Krieg nach dem anderen heiligt. Ein Hohn
auf die Würde des Menschen!
©
Raymond Walden