Mittwoch, 11. November 2020

Menschliches Glauben: Freiheit muss in sich schlüssig ruhen (S. 202)

 


Mai 1997


Es gibt keine größere Freiheit als die Freiheit von Religion. Nicht Atheismus meint diese Freiheit, ganz im Gegenteil, Atheismus definiert sich ja als "gegen Gott sein“ – gegen einen Gott, den es nicht gibt! Freiheit von Religion beschreibt zunächst das eigene Befinden, weitgehend gelöst zu sein von all den uns umgebenden Religionswelten. Ich nehme mir die Freiheit, meinen Verstand zu gebrauchen und aus den mir zugänglichen Informationen Gewissheiten zu erlangen – nein, kein Dahindämmern in Selbstverwirklichung, sondern helles Wachsein, das Herstellen von Bezügen zu allen möglichen Wissens-, freilich weniger Glaubensquellen, auch das Brechen von Tabus. Erst aus den breit gefächerten Zusammenhängen ergibt sich die auch entspannende schlüssige Ruhe. Frei von Religion ist wohl nur ein Mensch, der ausgeglichen über das Sein meditieren kann, ohne immer wieder Reaktionen auf Religiöses zu konstruieren. So gefestigt, fällt dann die tägliche Begegnung mit dem Irrationalen erträglich aus.

     Nun zitieren Gläubige ebenso die Ruhe und die Kraft, die sie aus ihrer Gotteskindschaft schöpfen, und es gibt genügend Beispiele, die belegen, dass dem auch so ist. Deshalb erinnere ich daran, dass niemandem sein Glaube abgesprochen werden soll. Nicht hinnehmbar jedoch sind die religiösen Missionierungen, Einmischungen und religiösen Dogmen, die wie selbstverständlich nach Möglichkeit auf den gesamten Globus ausgedehnt werden sollen. Der Glaubende zieht seine Stärke aus einem Trugbild, aus der Bequemlichkeit, geführt zu werden. Er fühlt sich angeblich im Tode erlöst: Das verursacht eine Spaltung, die den Religiösen ein ganzes Leben gegenüber seinen strafenden und belohnenden Göttern erschüttert.


© Raymond Walden



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