Freitag, 13. November 2020

Menschliches Glauben: Ist Kosmonomie weltfremd, weil zu idealistisch? (S. 204)


März 1998


Ich nehme die Antwort vorweg: nein! Das wird natürlich nicht überraschen, dennoch sind die Verhältnisse keineswegs so eindeutig.

     Das wesentliche Anliegen der Kosmonomie ist die Erkenntnis, dass die einzelnen Lebensvorgänge mit der übergeordneten Naturgesetzmäßigkeit zusammenhängen: Begründung von Lebensqualität, Geborgenheit und Menschlichkeit nicht nur durch Globalisierung, sondern durch Universalität, dadurch nicht Gleichmacherei als Missverständnis vieler sich „Demokraten“ Nennenden, vielmehr Strukturbewusstsein als Basis für individuelle Vielfalt und Freiheit.

     In einer zunehmend uniformierten Konsumgesellschaft, die ihren relativen Reichtum (innerhalb existiert viel Armut) auf der Übervorteilung der sogenannten Zweiten und Dritten Welt aufbaut, stoßen kosmonomische Gedanken auf Ablehnung, weil sie äußerst unbequeme Wahrheiten definieren, die sowohl die Betreiber aktiver Marktpolitik wie die bequemen Verbraucher irritieren. Mehr noch scheucht die Kosmonomie die religiösen und/oder esoterischen Chefideologen und ihre demagogischen Ausführungsorgane auf. Also kann es nicht überraschen, dass die Kosmonomie offiziell nirgends existiert. Mag man den Vertretern der gängigen Staatsphilosophie nachsehen, dass sie Kosmonomie ablehnen, so frage ich mich, warum auch an sich fähige Kritiker unserer bestehenden Systeme nicht sonderlich viel Zustimmung zeigen, sich stattdessen lieber in ihren jeweiligen Organisationen durch Grundsatzdiskussionen aufreiben, wobei die angeblichen Grundsätze den bisherigen vordergründigen Gedankenschemen, etwa politisch links oder rechts, entsprechen. Verwickelt in die Beschäftigung mit sich selbst, demonstriert man so die eigentliche Gefangenschaft im Überkommenen, die Unfähigkeit zu wirklichem Aufbruch. Der Internationale Bund für Atheisten und Konfessionslose (IBKA) liefert derzeit ein Musterbeispiel dazu ab. Die Vehemenz, gegen Bestehendes zu sein, scheint die Akteure dermaßen einzunebeln, dass sie sich in ererbten Verhaltensmustern der Einflussnahme oder Machtausübung innerhalb ihrer Organisation verschleißen.

     Manchmal offenbart sich auch eine Überraschung: Da stehe ich seit vielen Jahren mit einem Professor in Kontakt, der selbst umfangreiche Arbeiten zur Gegenwartskritik verfasst hat, die ich weitgehend teile, und nun kündigt er sein Interesse an der Kosmonomie auf „ich kenne jetzt Ihre Diktion“, nachdem ich dezidiert gegen die Anthroposophen argumentiert habe.

     Es mutet mich seltsam an, wenn ich seit bald drei Dekaden zu astronomischen Vorträgen eingeladen werde, und zwar von Gruppierungen mit mir größtenteils fremden Philosophien, die aber ihrerseits von meinen aufklärerisch-wissenschaftlichen Ausführungen immer wieder angetan sind. Zu diesen gehören alle möglichen religiösen Veranstalter ebenso wie Rotarier, Lions-Brüder, Freimaurer und studentische (Altherren-) Verbindungen, deren regionale Selbstpflegegewohnheiten ich nicht gutheißen kann.

     Ein Sprichwort der afrikanischen Massai enthält sehr viel Wahres: „Wer die Welt liebt, schließe den Mund und öffne die Augen.“ Ich interpretiere dies so: Man betrachte die Welt hellwach, man lerne erst und fortwährend, um sodann auch mit dem Munde andere Augen öffnen zu können, indem man Meinungen ableitet und nicht ideologische Muster skandiert. Gemessen am üblichen Gebaren unserer „Vordenker“ und den Diskussionsgepflogenheiten einer geschwätzigen Masse, ist auch dies freilich idealistisch, gleichwohl nicht unmöglich.

     Eine andere Gefangenschaft beobachte ich in meinem recht vielschichtigen Bekanntenkreis, wenn gerade auch sich für intellektuell Haltende im engen wie weiteren Umfeld alle Register von Klatsch und Tratsch pflegen, ohne sich offenbar dessen bewusst zu sein, dass sie eigentlich über solchen Niederungen stehen sollten.

     Kosmonomie ist natürlich eine Vision, wie auch Frieden eine solche bedeutet! Niemand wird bestreiten, dass es Frieden gibt oder geben kann. Und die Kosmonomie gibt es ebenso, eigentlich war sie schon da, ehe ich sie verbalisiert habe, und deshalb existiert sie ganz real. Nun mag gefragt werden, wo denn der Wert eines Geschehens liege, das kaum jemand in unserer Massenmediengesellschaft zur Kenntnis nehme. Ich weigere mich allerdings, die Masse zum Maßstab aller Dinge zu erklären, geschweige denn ihr Kompetenz zuzuerkennen. Echtes Verständnis von Demokratie erfordert einen mündigen Bürger; von dem entfernen wir uns immer gravierender, das heißt, Demokratie ist heute längst eine Fata Morgana.

     Trotz dieses Debakels sehe ich keine andere Menschenwürde als eine demokratische; deshalb ziehe ich es vor, nicht schweigend zu resignieren, sondern Kieselsteine in die Brandung zu werfen, Kieselsteine, die aufgrund ihrer Feinstruktur die Aufmerksamkeit so manches bewussten Gezeitenwanderers finden.

     Bemerkenswert auch: Im Gegensatz zu Sektierern haben mich Politiker bisher nie diffamiert, selbst bei entschiedener Ablehnung meiner Philosophie kam es zu keinerlei verbalen Attacken, immer wieder aber zu Nichtreaktionen. Aus gegebenem wahlzeitlichen Anlass stelle ich mir vor, ich müsste mit Kohl, Schröder, den anderen, gar Clinton diskutieren. Worüber eigentlich? Wissen die denn noch, worum es wirklich geht? Sie sind Marionetten des Kapitals, der (un)feineren Maffia, ohne es zu merken?


© Raymond Walden


 

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