Dienstag, 10. November 2020

Menschliches Glauben: Elitär? (S. 200)

 


Mai 1996


In Anbetracht der allgemeinen Mittelmäßigkeit, Dummheit und Bosheit der Menschheit gibt es also offenbar eine Neigung zur Bildung intellektueller (wissenschaftlicher, künstlerischer und philosophischer) 'Eliten' zusätzlich zu den 'Machteliten' der Politiker und Regierungen. In einigen Fällen können sich die beiden Arten von 'Eliten' überdecken. Bei der Prüfung seiner eigenen Auffassung von 'menschlicher Vortrefflichkeit', welche die 'Emanzipation von der Herde' und die 'Kultur' umfasst, fügt Russel die rhetorische Frage hinzu, wie es möglich ist, die guten von den schlechten Eigenschaften zu trennen, die hier mitspielen, wie z. B. Mangel an Sympathie und Überheblichkeit gegenüber jenen außerhalb des 'Zauberkreises' (charmed circle).“ (Kuhlenbeck, H.: Gehirn, Bewusstsein und Wirklichkeit, Steinkopff, Darmstadt 1986)

     Innerhalb einer solchen Betrachtungsweise fällt Kosmonomen, gewollt oder nicht, ein elitärer Status zu; sie unterscheiden sich in der geistigen Entwicklung definitiv von der Masse, die als letzte Grundlage ihrer Lebensgestaltung Irrationales in vielfältigster Form, häufig sogar unbewusst, akzeptiert. So gesehen, ergibt sich eine tatsächliche Überlegenheit der kosmonomischen Philosophie, jedoch hebt sich die kosmonomische Vorzüglichkeit in dem Moment auf, da sie sich gegenüber der Masse überlegen gebärdet. Kosmonomie ist für den irrationalen Massenmenschen nicht nachvollziehbar, häufig sogar fühlen sich Gläubige verletzt, sodass jede Diskussion über kosmonomische Sichtweisen nur unter Kosmonomen möglich ist.

Indem diese „Elite“ nicht nach Macht strebt, durch und durch humanistisch, gewaltfrei und demokratisch lebt, ergibt sich kein Negativaspekt für die Allgemeinheit, freilich mit der Ausnahme, dass Kosmonomen durch mangelndes Engagement in irrational hergeleiteten Projekten und Traditionen auffallen. Erst in sehr viel späteren Generationen, wenn überhaupt, könnten sich Denkstrukturen dahin entwickeln, dass Kosmonomen regieren, doch dazu bedarf es einer vorhergegangenen Demokratieverwirklichung jenseits von die öffentliche Meinung bestimmenden Medien und Konzernen, Lobbyistenfilz und Unterwanderung vonseiten der Religion. So die Menschheit fernere Jahrtausende erleben sollte, wird man zu Recht unsere Epoche trotz vordergründiger „Aufklärung“ und Technologie als Bestandteil des Mittelalters betrachten. Doch das setzt geistige Weiterentwicklung voraus, für die es in den gegenwärtigen Gesellschaftsordnungen, besser -zwängen, in den heutigen süffisant und detailliert ausgearbeiteten Menschenquälereien, wenige Anzeichen gibt.


© Raymond Walden



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