Juli
1996
Des
deutschen Bundeskanzlers Lieblingssender (sagt man) 3SAT wiederholte
am 12.6.1996 um 20.45 Uhr eine Erleuchtung des NDR aus dem Jahre
1995: „Heilkraft aus dem All – Auf der Suche nach Orgon“.
Belichten wir einmal den Erfinder von
Orgon, über den im Lexikon Folgendes steht: „Reich, Wilhelm,
österr. Psychoanalytiker u. Psychiater, *24.3.1897 Dobzau, Ukraine,
+3.11.1957 Lewisburg, Pa. (USA); Mitarbeiter Freuds, 1924-1930
Leiter des Wiener Seminars für psychoanalyt. Theorie, 1930-1933
Dozent in Berlin. R. sah seelische Krankheiten weitgehend als
Ergebnisse gesellschaftlicher Sexualunordnung an. Er trat der KPD bei
u. gründete die Sexpol-Bewegung („Sexualökonomie u. Politik“).
Sein Versuch, durch Anwendung der Libidotheorie auf die
gesellschaftliche Praxis („sexuelle Revolution“) die
Psychoanalyse mit marxistischer Gesellschaftskritik zu verbinden
(„Massenpsychologie des Faschismus“ 1933), führte zum Ausschluss
aus der KPD u. zum Bruch mit der institutionalisierten Psychoanalyse.
R. emigrierte in die USA. Wohl schon unter dem Einfluss einer
geistigen Erkrankung, glaubte er, eine allg. „bioelektrische
Energie“ entdeckt zu haben, die er „Orgon“ nannte u.
medizinischen Zwecken nutzbar machen wollte, was, als Betrug
gewertet, ihm 1956 eine zweijährige Gefängnisstrafe eintrug. Er
starb in der Haft. R.s Gedanken wurden von der antiautoritären
Bewegung Ende der 1960er Jahre aufgegriffen. Hptw.: „Die
Funktion des Orgasmus“ 1927, Neudr. 1969; „Charakteranalyse“
1933; „Die Sexualität im Kulturkampf“ 1936; „Die sexuelle
Revolution“ 1945 – Ausgewählte Schriften 1957.“ (Quelle:
Bertelsmann Lexikon, Band 12, Gütersloh, 1985)
Betrachten wir die Zusammensetzung der
Kontrollorgane unserer staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten,
entbehrt es keiner Logik, dass geisteskranke Weltansichten heute mehr
und mehr mediale Präsenz genießen. Darüber hinaus lassen sich mit
Orgon einträgliche Geschäfte machen. Ein gewisser Roland Plocher
aus Meersburg vertreibt im großen Stil Quarzmehl, das er zuvor
„energetisch informiert“ hätte. Ein paar Kilogramm dieses
Wundermehls würden es beispielsweise schaffen, ganze Seen von
faulendem Wasser innerhalb kürzester Zeit wieder zu klaren
Wasserparadiesen werden zu lassen. Orgon ist nach Plochers Meinung
„eine nicht messbare Information auf Energiebasis“, die sich auf
zahlreiche Stoffe übertragen ließe. Ja mehr noch, er hätte simple
Kästen konstruiert, die als „Orgonakkumulatoren“ immer wieder
aufgeladen werden könnten.
Derartiger Quatsch wurde selbst von
einem Psychologen der Universität Marburg, Rainer Gebauer, seriös
erläutert und der Arzt Heiko Lassek vom Berliner „W.-Reich-Institut“
meint sogar Krebs mit Orgon heilen und lindern zu können. Der
Moderator der Sendung trug ein auffallendes Armband an der rechten
Hand. (Ich gebe zu, dass ich aufgrund meiner jahrelangen, meist
Skepsis auslösenden Erfahrungen sofort einige Vorurteile hegte!)
Und
so wurde Orgon plastisch beschrieben. Mit „entspannten Augen“
könne man helle Punkt am blauen Himmel sehen, der Horizont zeige
sich in wellenförmigen Bewegungen, denn der Fluss von Orgon verlaufe
von West nach Ost. Allerdings schränkte Gebauer ein, dass manche
Leute nichts spürten: „Menschen mit chronisch verspannten Augen
sehen nichts.“ Geradezu entlarvend auch das Empfinden von Prof. Dr.
Armin Beckmann, der Orgon sogar als Waffe für einsetzbar hält.
Ich
frage mich indes, ob ich nicht doch diesen „entspannten“
Schwachsinnspredigern ein Ende wünsche, wie es W. Reich ereilte.
©
Raymond Walden