Donnerstag, 20. Februar 2020

Menschliches Glauben: ORGON – Psychoanalytisches Recycling (S. 61)


Juli 1996

Des deutschen Bundeskanzlers Lieblingssender (sagt man) 3SAT wiederholte am 12.6.1996 um 20.45 Uhr eine Erleuchtung des NDR aus dem Jahre 1995: „Heilkraft aus dem All – Auf der Suche nach Orgon“.
     Belichten wir einmal den Erfinder von Orgon, über den im Lexikon Folgendes steht: „Reich, Wilhelm, österr. Psychoanalytiker u. Psychiater, *24.3.1897 Dobzau, Ukraine, +3.11.1957 Lewisburg, Pa. (USA); Mitarbeiter Freuds, 1924-1930 Leiter des Wiener Seminars für psychoanalyt. Theorie, 1930-1933 Dozent in Berlin. R. sah seelische Krankheiten weitgehend als Ergebnisse gesellschaftlicher Sexualunordnung an. Er trat der KPD bei u. gründete die Sexpol-Bewegung („Sexualökonomie u. Politik“). Sein Versuch, durch Anwendung der Libidotheorie auf die gesellschaftliche Praxis („sexuelle Revolution“) die Psychoanalyse mit marxistischer Gesellschaftskritik zu verbinden („Massenpsychologie des Faschismus“ 1933), führte zum Ausschluss aus der KPD u. zum Bruch mit der institutionalisierten Psychoanalyse. R. emigrierte in die USA. Wohl schon unter dem Einfluss einer geistigen Erkrankung, glaubte er, eine allg. „bioelektrische Energie“ entdeckt zu haben, die er „Orgon“ nannte u. medizinischen Zwecken nutzbar machen wollte, was, als Betrug gewertet, ihm 1956 eine zweijährige Gefängnisstrafe eintrug. Er starb in der Haft. R.s Gedanken wurden von der antiautoritären Bewegung Ende der 1960er Jahre aufgegriffen. Hptw.: „Die Funktion des Orgasmus“ 1927, Neudr. 1969; „Charakteranalyse“ 1933; „Die Sexualität im Kulturkampf“ 1936; „Die sexuelle Revolution“ 1945 – Ausgewählte Schriften 1957.“ (Quelle: Bertelsmann Lexikon, Band 12, Gütersloh, 1985)
     Betrachten wir die Zusammensetzung der Kontrollorgane unserer staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, entbehrt es keiner Logik, dass geisteskranke Weltansichten heute mehr und mehr mediale Präsenz genießen. Darüber hinaus lassen sich mit Orgon einträgliche Geschäfte machen. Ein gewisser Roland Plocher aus Meersburg vertreibt im großen Stil Quarzmehl, das er zuvor „energetisch informiert“ hätte. Ein paar Kilogramm dieses Wundermehls würden es beispielsweise schaffen, ganze Seen von faulendem Wasser innerhalb kürzester Zeit wieder zu klaren Wasserparadiesen werden zu lassen. Orgon ist nach Plochers Meinung „eine nicht messbare Information auf Energiebasis“, die sich auf zahlreiche Stoffe übertragen ließe. Ja mehr noch, er hätte simple Kästen konstruiert, die als „Orgonakkumulatoren“ immer wieder aufgeladen werden könnten.
     Derartiger Quatsch wurde selbst von einem Psychologen der Universität Marburg, Rainer Gebauer, seriös erläutert und der Arzt Heiko Lassek vom Berliner „W.-Reich-Institut“ meint sogar Krebs mit Orgon heilen und lindern zu können. Der Moderator der Sendung trug ein auffallendes Armband an der rechten Hand. (Ich gebe zu, dass ich aufgrund meiner jahrelangen, meist Skepsis auslösenden Erfahrungen sofort einige Vorurteile hegte!)
     Und so wurde Orgon plastisch beschrieben. Mit „entspannten Augen“ könne man helle Punkt am blauen Himmel sehen, der Horizont zeige sich in wellenförmigen Bewegungen, denn der Fluss von Orgon verlaufe von West nach Ost. Allerdings schränkte Gebauer ein, dass manche Leute nichts spürten: „Menschen mit chronisch verspannten Augen sehen nichts.“ Geradezu entlarvend auch das Empfinden von Prof. Dr. Armin Beckmann, der Orgon sogar als Waffe für einsetzbar hält.
     Ich frage mich indes, ob ich nicht doch diesen „entspannten“ Schwachsinnspredigern ein Ende wünsche, wie es W. Reich ereilte.


© Raymond Walden 


 

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