Oktober
1996
Noch
nie habe ich so viele wirklich dicke, direkt unförmige Menschen
gesehen; noch nie habe ich die Medien so ausschließlich auf das
eigene Land fokussiert erlebt; nirgends haben sich mir Kirchen- und
Sektenzentren so massiert aufgedrängt, während unmittelbar nebenan
die Götter Menschen in unsäglichem Elend dahinsterben lassen.
Unmissverständlich und gravierend
vermitteln Kanada und die USA das Prinzip der potemkinschen
Oberflächlichkeit oder, anders gesagt, das Hohlmaß des clintonschen
„Cheese“-Lächelns über sämtliche Probleme hinweg. Kanada habe
ich vor 25 Jahren erstmalig bereist; damals registrierte ich
jedenfalls kein auffälliges Zu-fett-Sein der Menschen, heute sagen
mir Einheimische, die wirklich zahlreichen deformierten Körper
seinen auch ein Ausdruck der allenthalben in Kanada zu erlebenden
Verschwendungssucht. Aber in den USA ist man mit diesen
unappetitlichen Anblicke noch häufiger konfrontiert! Jeder
einigermaßen zum Denken veranlagte Mensch erkennt die Ursachen
sofort. Die Weite des Landes mit entsprechend dünner Besiedelung
erzeugt einen für global empfindende Menschen geradezu unerträglich
kleinkarierten Provinzialismus, der sich natürlich auch in den
Medien dokumentiert. Teilweise bestehen die Hauptnachrichten aus
halbstündigen Berichten über lokale Kriminalität, dann folgen
einige recht patriotisch eingefärbte Inlandsmeldungen und das
Wetter, danach vielleicht noch zwei Nachrichten, die weltweit von
Interesse sind. Katastrophen, wo auch immer geschehen, werden
allerdings gleich als Schlagzeilen geliefert.
Auf
den Menschen vor Ort färbt das gleichermaßen ab, ob er in den
Ghettos von Los Angeles („wo auch bei Tageslicht kein Tourist etwas
zu suchen hat“) oder am Highway durch die Mojave-Wüste verhungert
– oder ob er Riesengewinne einstreicht: Die Masse lebt in des
Wortes doppelter Bedeutung in wüsten Verhältnissen. Der Reichtum
der Wolkenkratzereigner sagt: „Life is short. – Spend it
shopping.“ (TV-Spot). Und die Herde der Kopflosen geht einkaufen;
täglich Fastfood, Cola und Chips. Regelmäßig zu kochen stellt für
viele Amerikaner bereits eine Überforderung dar. Und so werden viele
übermäßig dick durch ungesunde Ernährung, aber auch aus Kummer
über ein Leben in grenzenloser Weite, das durch die religiöse
Doppelmoral, die nicht zuletzt zu einer Sektenüberflutung geführt
hat, Schuldbewusstsein erzeugt, das ein durch das mangelhafte
amerikanische Bildungssystem Geschädigter kaum je überwinden kann.
Ganz im Gegenteil; der Sumpf macht selbst vor der Wüste nicht halt.
©
Raymond Walden
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