April 1995
Schulen
formen nicht nur die Mitglieder einer Gesellschaft, sondern sind
zugleich ein Spiegelbild derselben. Seit es Schulen gibt, streitet
man über ihre Konzeptionen; religiöse oder parteipolitische
Gesichtspunkte stehen im Vordergrund, weniger die Aspekte des
Lernerfolgs und der menschlichen Reifung, sprich Erziehung. Wir
erleben die Demontage des Menschlichen, beklagen das bei vielen
Gelegenheiten und verstricken uns immer ärger in konzeptionslose
Mitbestimmung und scheindemokratische Verfahrensfragen.
Um das menschliche Miteinander in der Schule zu reglementieren, gibt es sogenannte „Mitwirkungsorgane nach dem Schulmitwirkungsgesetz“. Es sind nicht weniger als elf Gremien: 1. die Schulkonferenz, 2. die Teilkonferenzen für besondere Aufgabengebiete, 3. die Lehrerkonferenz, 4. die Fachkonferenzen, 5. der Lehrerrat, 6. die Klassenkonferenzen, 7. die Schulpflegschaft, 8. die Klassenpflegschaft, 9. die Versammlung der Erziehungsberechtigten, 10. der Schülerrat und 11. die Schülerversammlung.
Jede Konferenz läuft demokratisch ab, d.h. mit entsprechenden Einladungsfristen, Tagesordnungen, Anträgen, nicht immer mit Beschlussfassungen, aber fast ausnahmslos mit der Erstellung eines Protokolls. Es wird häufig über Dinge konferiert, die sowieso nicht zu ändern sind. Die Richtlinienkonferenzen in manchen Schulen haben z.B. keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die vom Kultusministerium erlassenen Verbindlichkeiten. Zahlreiche Initiativen von Schülern, Eltern und Lehrern versanden im Konferenzreigen; das Ergebnis ist Resignation oder mitunter lächerlicher Aktionismus.
Die Hyperdemokratisierung verpflichtet die Lehrer sogar, sich in bestimmte Gremien (Lehrerrat, Schulkonferenz) wählen zu lassen – verordnete „Selbstbestimmung“.
Die Schule ist ein signifikantes Beispiel für die Pervertierung der Demokratie, für das problemlose Diktieren vonseiten der Ministerien nach dem uralten Leitsatz: Teile und herrsche!
Diesen Artikel habe ich bereits im Jahre 1986 entworfen, heute zitiert man wegen der wachsenden Probleme in vielen Schulen weniger die „Schulmitbestimmung“ als die „Allgemeine Schulordnung“, instinktvoll AschO abgekürzt.
© Raymond Walden