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Mittwoch, 11. November 2020

Menschliches Glauben: Freiheit muss in sich schlüssig ruhen (S. 202)

 


Mai 1997


Es gibt keine größere Freiheit als die Freiheit von Religion. Nicht Atheismus meint diese Freiheit, ganz im Gegenteil, Atheismus definiert sich ja als "gegen Gott sein“ – gegen einen Gott, den es nicht gibt! Freiheit von Religion beschreibt zunächst das eigene Befinden, weitgehend gelöst zu sein von all den uns umgebenden Religionswelten. Ich nehme mir die Freiheit, meinen Verstand zu gebrauchen und aus den mir zugänglichen Informationen Gewissheiten zu erlangen – nein, kein Dahindämmern in Selbstverwirklichung, sondern helles Wachsein, das Herstellen von Bezügen zu allen möglichen Wissens-, freilich weniger Glaubensquellen, auch das Brechen von Tabus. Erst aus den breit gefächerten Zusammenhängen ergibt sich die auch entspannende schlüssige Ruhe. Frei von Religion ist wohl nur ein Mensch, der ausgeglichen über das Sein meditieren kann, ohne immer wieder Reaktionen auf Religiöses zu konstruieren. So gefestigt, fällt dann die tägliche Begegnung mit dem Irrationalen erträglich aus.

     Nun zitieren Gläubige ebenso die Ruhe und die Kraft, die sie aus ihrer Gotteskindschaft schöpfen, und es gibt genügend Beispiele, die belegen, dass dem auch so ist. Deshalb erinnere ich daran, dass niemandem sein Glaube abgesprochen werden soll. Nicht hinnehmbar jedoch sind die religiösen Missionierungen, Einmischungen und religiösen Dogmen, die wie selbstverständlich nach Möglichkeit auf den gesamten Globus ausgedehnt werden sollen. Der Glaubende zieht seine Stärke aus einem Trugbild, aus der Bequemlichkeit, geführt zu werden. Er fühlt sich angeblich im Tode erlöst: Das verursacht eine Spaltung, die den Religiösen ein ganzes Leben gegenüber seinen strafenden und belohnenden Göttern erschüttert.


© Raymond Walden



Samstag, 31. Oktober 2020

Menschliches Glauben: Das Animalische als Trieb irrationaler Tabus (S. 191)

 


Einigkeit besteht bei Wissenschaftlern wie bei den meisten religiös Gläubigen in der Gewissheit, dass Tiere ihren Trieben gemäß leben, weil sich dieses Triebleben für die jeweilige Tierart im Laufe der Evolution als vorteilhaft erwiesen hat. Nun hat sich zweifelsfrei gezeigt, dass der Mensch biologisch dem Tierreich angehört, aber diese Erkenntnis führt zu Konflikten, weil sich vor allem religiöses Sendungsbewusstsein nicht mit folgender Tatsache abfinden kann: Der Mensch ist ein höher entwickeltes Tier!

     Dabei sprechen die Fakten eine noch viel drastischere Sprache: Der Mensch trägt im Herdenverbund die Merkmale dessen, was er selbst als Untier bezeichnet. Keines der höheren Lebewesen vernichtet seine Artgenossen so wie der Mensch; und dazu gebraucht er vor allem jenes Organ, das ihn vorgeblich von den anderen Lebewesen unterscheidet, sein Gehirn. Diese Zentrale des Selbstbewusstseins mit ihrem differenzierten Leistungsvermögen ist deswegen zwar nicht als Fehlentwicklung zu bezeichnen, wohl aber als zutiefst verhaftet in pubertierender Zerrissenheit, mit noch nicht wirklich humanen Orientierungswerten beschrieben, die den infantilen Massenmenschen allenfalls ansatzweise ahnen lassen, was überhaupt Menschenwürde ausmacht. Nicht zufällig bezeichnen sich Religiöse als „Kinder“ Gottes und auch andere Gesellschaften sprechen von ihren Führerpersönlichkeiten als „Vater“ oder „Mutter“; es verdeutlicht sich das Anlehnungsbedürfnis.

     Unter moralischen Gesichtspunkten müssen die Triebe in der Tierwelt als wertfrei gelten, erst der Mensch macht sich Gedanken und befrachtet die ihn ebenso beherrschenden Triebe mit Bewertungen, Sublimierungen und vor allem Mysterien. Zum einen mag die Triebintensität den Menschen immer wieder sich selbst hinterfragen lassen, zum anderen sind es aber von Religionsstiftern und Herrschern aufgestellte Normen zur sogenannten Triebbeherrschung, die zu Mythen und Tabus führen, letztlich zu individuellen Verunsicherungen, auf die sich Herrschaftssysteme bevorzugt stützen. Die Machtausübung und ihre Absicherung gelingen umso leichter, je undurchsichtiger der Ethos des Moraldschungels vor allem im Wechselspiel mit Doppelmoral wird. In allen bisherigen Kulturen erfahren die animalischen Triebe, man sollte besser von biologischen Trieben sprechen, die Verbiegung in bisweilen absonderliche Tabus. Dies zu hinterfragen, gar als Dummheit zu enttarnen, bedeutet für den Nonkonformisten die eigene Ausgrenzung, Ächtung durch die Masse und oft ganz selbstverständlich den Tod – leise oder im Zuge eines Schauprozesses.


© Raymond Walden 

 

Mittwoch, 28. Oktober 2020

Menschliches Glauben: „Meinen Frieden gebe ich Euch.“ (S. 186)


1999


Der Herr hat zu seinen Aposteln gesagt: Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Deshalb bitten wir: Herr Jesus Christus, schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche und schenke ihr nach deinem Willen Einheit und Frieden.“ (Quelle. „Friedensgebet“ 364,2 im „Gotteslob“, Katholisches Gebet- und Gesangbuch, Jungfermannsche Verlagsbuchhandlung, Paderborn, 1975)

     Das Zitat beweist, dass es der katholischen Kirche in erster Linie an ihrer Einheit und ihrem Frieden gelegen ist. Globaler Frieden steht nicht im Vordergrund, wie soll er auch, betrachtet man die Friedensphilosophie des Matthäus-Evangeliums 10, 34-36: „Glaubet nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit der Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und die Feinde des Menschen werden seine (eigenen) Hausgenossen sein.“

     Allein, das „Schwert“ existierte bereits vor dem „Erscheinen“ des Herrn; das „Kommen“ war nicht nur überflüssig, sondern überaus kriegfördernd.

     Gerhard Konzelmann lieferte ein Dokument aus dem historischen Afrika. „Als aber im Frühjahr 1506 Jao I., der erste christliche König des Kongo stirbt, wird Don Afonso sein Nachfolger. Er gruppiert die Stämme, die ihm treu ergeben sind, um seine Hauptstadt. 36 Häuptlinge schwören, dem Kreuz zum Sieg zu verhelfen. Über den Verlauf der letzten Schlacht berichtet ein Brief des Portugiesen Paiva Mauso: ‘Wir riefen den heiligen Jakob , den Apostel an. Kurz darauf sahen wir, wie ein Wunder geschah. Die Feinde drehten uns den Rücken zu und flohen, so schnell sie konnten. Die Flucht erschien uns rätselhaft. Wir folgten ihnen und erschlugen viele. Keiner unserer Männer verlor sein Leben. Erst nach dem Sieg erfuhren wir den Grund der Flucht. Einer der Gefangenen sagte uns, über unserem Haufen sei plötzlich ein großes weißes Kreuz sichtbar geworden. Dieses Kreuz habe die Flucht ausgelöst. Das Zeichen war gerade geschehen, als wir den heiligen Jakob um Hilfe angefleht hatten.’

     Der zweite christliche König des Kongo regiert mit der gewohnten Grausamkeit afrikanischer Herrscher: Seinen Rivalen Mpanza a Nzinga läßt er foltern und töten. Die Verwandten, die das Bekenntnis zum Christentum verweigerten, werden bestialisch ermordet. Seine Mutter – auch sie will keine Christin werden – muss sich auf eine Matte legen, die über eine offene Grube gespannt ist. Als die Mutter standhaft bleibt, befiehlt der König, die Verspannung der Matte zu lösen: Die Frau fällt in die Grube und wird mit Erde zugedeckt. Über der lebendig begrabenen Mutter tanzen die Soldaten des Königs Afonso.“ (Konzelmann, G.: „Sie alle wollten Afrika“, Bastei-Lübbe-Taschenbuch, Band 65036, S. 73, 74)

     Nichts, so scheint es, hat sich verändert, auch an der Jahrtausendschwelle verehren in allen Erdteilen Glaubensfanatiker ihre selbstgebastelten, parteiischen Götter. Und mit diesen im Rücken lassen sich ungehemmt Kriege führen.

     „Frieden ist möglich“, meint Franz Alt, indem er die Bergpredigt und alle möglichen Religionen als humane Kraftreserven anbietet: „Das Christentum des Jesus von Nazaret hat mit dazu beigetragen, Menschenopfer und Sklaverei zu überwinden. Warum sollte es heute - zusammen mit anderen Religionen – nicht den entscheidenden Beitrag zu einer Friedensethik als Voraussetzung für Frieden leisten? Wo sonst – wenn nicht im Buddhismus und Hinduismus, im Judentum und Christentum, im Islam und Shintoismus – liegen die ethischen Kraftreserven für Humanität?“ (Alt, F.: „Frieden ist möglich“, R. Piper & Co, München, 1984, S. 104)

     Das ist die eigentliche Tragik; hatten die Religionen nicht Jahrtausende (bei geringerer Erdbevölkerung als heute) Zeit zur Bewährung? Bezeichnend ist darüber hinaus, dass Alt inzwischen nicht unerwartet in der wundersamen neuen Welle der Esoterik ebenso Wahrheiten erkennt. Aber auch das legt er seinen Lesern nahe: „Das neue, 2000 Jahre alte Menschenbild der Bergpredigt ist ein Aufruf: Entscheidet euch gegen das Gesetz der Gewalt und Vergeltung für das Gesetz der Liebe und Vergebung! – Bedenkt, dass ihr Menschen seid, und vergesst alles andere! Arbeitet an der Überwindung des unmenschlichsten aller Dogmen: dass der Mensch unverbesserlich sei! Die Kirchen lehrten bisher eine heillose Welt oder ein weltloses Heil. Doch seit der Bergpredigt könnten wir wissen: Das Heil ist nicht weltlos, und die Welt ist nicht heillos. Wenn wir mitarbeiten an der Heilung der Welt – dann werden wir verstehen und erfahren: Frieden ist möglich.“ (Quelle wie zuvor, S. 117)

     Wie wahr! Das Heil ist nicht weltlos. Die Vielzahl der Prediger und ihre Gefolgschaften haben die Welt bis an den Rand der Hoffnungslosigkeit heillos gemacht. Ich gestehe Franz Alt lautere Gesinnung zu, sein Engagement, zum Frieden zu überzeugen, verdient Achtung. Dennoch fällt mir dabei Friedrich Nietzsche ein: „Keine Macht lässt sich behaupten, wenn lauter Heuchler sie vertreten; die katholische Kirche mag noch so viele 'weltliche' Elemente besitzen; ihre Kraft beruht auf jenen zahlreichen priesterlichen Naturen, welche sich das Leben schwer und bedeutungstief machen, und deren Blick und abgehärmter Leib von Nachtwachen, Hungern, glühendem Gebet, vielleicht selbst von Geißelhieben redet; diese erschüttern die Menschen und machen ihnen Angst: wie, wenn es nötig wäre, so zu leben? – dies ist die schauderhafte Frage, welche ihr Anblick auf die Zunge legt. Indem sie diesen Zweifel verbreiten, gründen sie immer von neuem wieder einen Pfeiler ihrer Macht; selbst die Freigesinnten wagen es nicht, dem derartig Selbstlosen mit hartem Wahrheitssinn zu widerstehen und zu sagen: „Betrogener du, betrüge nicht!“ (Nietzsche, F.: Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister; Werke in zwei Bänden, Band I, Carl Hanser Verlag, München, 1967, Lizenzausgabe für Bertelsmann, R. Mohn OHG, Gütersloh, Buch Nr. 5879, S. 268)

     Seit Menschengedenken gibt es keinen religiös fundierten Frieden, nein, viel schlimmer noch, fast jede kriegerische Auseinandersetzung besitzt einen religiösen Hintergrund. Nietzsche hat den Betrug realistisch genug skizziert: „Wenn wir eines Sonntagmorgens die alten Glocken brummen hören, da fragen wir uns: ist es möglich! Dies gilt einem vor zwei Jahrtausenden gekreuzigten Juden, welcher sagte, er sei Gottes Sohn. Der Beweis für eine solche Behauptung fehlt. – Sicherlich ist innerhalb unserer Zeiten die christliche Religion ein aus ferner Vorzeit hereinragendes Altertum, und dass man jene Behauptung glaubt – während man sonst so streng in der Prüfung von Ansprüchen ist --, ist vielleicht das älteste Stück dieses Erbes. Ein Gott, der mit einem sterblichen Weibe Kinder zeugt; ein Weiser, der auffordert, nicht mehr zu arbeiten, nicht mehr Gericht zu halten, aber auf die Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs zu achten; eine Gerechtigkeit, die den Unschuldigen als stellvertretendes Opfer annimmt; jemand, der seine Jünger sein Blut trinken heißt; Gebete um Wundereingriffe; Sünden an einem Gott verübt, durch einen Gott gebüßt; Furcht vor einem Jenseits, zu welchem der Tod die Pforte ist; die Gestalt des Kreuzes als Symbol inmitten einer Zeit, welche die Bestimmung und die Schmach des Kreuzes nicht mehr kennt – wie schauerlich weht uns dies alles, wie aus dem Grabe uralter Vergangenheiten an! Sollte man glauben, dass so etwas noch geglaubt wird?“ (Quelle wie zuvor, S. 297, 298)

     Menschenwürde als Wertmaßstab verbietet sowohl die diktatorische Unterwerfung wie die versteckte, sich freiheitlich gebärdende Indoktrination, die sich geschäftsmäßig und machtgierig der Lüge und Täuschung bedient. Am Menschen und nicht an einer der unzähligen vermenschlichten Götterfiguren orientiert sich die Menschenwürde. Sie erfordert einen sorgsamen Umgang mit den Menschen und ihrer physischen Umwelt. Fortschreibung des ganz irdischen Lebens, keinesfalls Lebenszerstörung, ist menschenwürdiges Gebot.

     Menschen hätten nirgendwo im All ein Refugium. Unser Platz ist die Erde und es wird keine Emigrationsmöglichkeit geben. Die Menschheit lebt hier und jetzt, oder sie wird dem Tod irgendeiner unbedingten Theologie oder Ideologie die Treue schwören.

     „Sogleich aber nach der Drangsal jener Tage wird die Sonne sich verfinstern, und der Mond wird seinen Schein nicht mehr geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Und dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen. Und dann werden alle Völker der Erde wehklagen, und sie werden den Menschensohn auf den Wolken des Himmels kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit. Und er wird seine Engel aussenden mit lautem Posaunenschall, und sie werden seine Auserwählten sammeln von den vier Winden her, von einem Ende des Himmels bis zum anderen.“ (Bibel; Matthäus, 24, 29-31, Herder, Freiburg i. Br., 1966)

     So sieht das Ende nach der allgegenwärtigen christlichen Vision aus (wissenschaftlich eine Aneinanderreihung von grotesken Albernheiten); bei anderen Kulturen nicht minder abschreckend und verwandt masochistisch, auf die Ewigkeit vertröstend. Deshalb ist Religion nicht imstande, global das Leben menschenwürdig zu gestalten.

     Es stimmt, was Friedrich Schiller in seinem „Don Carlos“ den Großinquisitor sagen lässt: „Vor dem Glauben gilt keine Stimme der Natur“. (Schiller, F.: „Don Carlos“, 5. Akt, 10. Auftritt) – Der Mensch ist Teil der Natur, Religionen hingegen sind künstlich ausgeklügelte Machwerke gegen die Natur unter missbräuchlicher Ausnutzung der natürlichen menschlichen Gefühlswelt. Religion ist so abgehoben, dass sie Frieden predigt, lokalen Frieden bisweilen vortäuscht und in zeitlich und geografisch ausgedehnteren Räumen einen Krieg nach dem anderen heiligt. Ein Hohn auf die Würde des Menschen!


© Raymond Walden


 

Montag, 26. Oktober 2020

Menschliches Glauben: Wer ist Jude? (S. 185)


1999


Die Deutschen sind keine „Herrenrasse“ und waren es auch nie, deprimierender konnte die Selbstüberhöhung der Nazis nicht enden als in millionenfachem, weltweitem Leid, mit der Bankrotterklärung der Menschlichkeit. Und nichts anderes steht zu erwarten, wenn sich andere Völker für „auserwählt“ halten, weil ihnen die jeweiligen Politiker oder Religionsfürsten dies suggerieren. Im Besonderen meine ich das orthodoxe Judentum. Laut einer dpa-Meldung vom 14.2.1985 haben die Anhänger dieser Religion wirklich weltbewegende Sorgen: „Jüdische Frauen dürfen sich nach Auffassung des orthodoxen Oberrabbinats in Jerusalem nur künstlich befruchten lassen, wenn der Samenspender kein Jude ist. Eine künstliche Befruchtung mit dem Samen eines Juden halten die Oberrabbiner für unvereinbar mit dem jüdischen Religionsgesetz. ... Die Zugehörigkeit des mit dem Samen eines nichtjüdischen Spenders gezeugten Kindes zum Judentum bleibt gesichert: Jude ist nach uralter Definition derjenige, der eine jüdische Mutter hat.“

     In diesem Zusammenhang wiederhole ich mich: Aufgrund der einander widersprechenden und befehdenden Religionen ist es unsinnig und dem Frieden keineswegs zuträglich, irgendeine Religion in staatsbestimmende Funktionen zu erheben.

     Insgesamt drei Stunden widmete das Westdeutsche Fernsehen am 9.12. und 16.12.1996 Professor Yeshayahou Leibowitz aus Israel. Der Mann, eine im Lande umstrittene „graue Eminenz“, stellte sich aber eigentlich als exemplarischer religiöser Chaoszeuge dar. Unter Berufung auf Religionsschriften folgerte der Gelehrte (wobei mir nicht ganz klar wurde, inwieweit Ironie eine Rolle spielte): „Über Werte kann man nicht streiten, sondern nur Krieg führen.“ Man könne Werte also nicht auf Verstandesebene begründen und vermitteln. Das allerdings meint ja wohl im Klartext, dass Religion als ein Wert der jeweiligen Gesellschaft nicht hinterfragt werden könne, dass es das Schicksal der Menschheit sei, sich immer wieder auf religiöser Basis zu zerfleischen. Leibowitz forderte nun keineswegs zum Krieg auf, sondern verlangte – für die israelische Regierung äußerst unangenehm – nach mehr Demokratie durch Minimierung des Staates über das Individuum. Er beklagte zutreffend die Unterdrückung der Menschenrechte und Anwendung der Folter durch den israelischen Staat in den besetzten Palästinensergebieten. Er forderte sogar die jungen Israelis zur Kriegsdienstverweigerung in den okkupierten Landesteilen auf und wurde nicht müde, die Parallelen des israelischen Nationalismus zum Hitler-Regime aufzuzeigen: „Es gibt Juden-Nazis!“

     Die vielen Gründe für den religiös-orthodoxen Einfluss – das wird öffentlich geschickt verschwiegen - liegen, wie wir zuvor bei der Definition der Zugehörigkeit zum Judentum erfahren haben, in einem radikalen Sendungsbewusstsein, welches demokratische Prinzipien an sich rigoros ablehnt, für die eigene Ideologie aber vehement einfordert. Vergessen wir nicht, dass der so religiös geprägte Staat Israel, unfriedlich im Innern wie nach außen, als Produkt amerikanisch-westlicher Protektion besteht, begründet in einem einflussreichen Judentum in jenen Staaten. Trotz der Netanjahu-Regierung bleibt die Hoffnung, dass sich auch in Israel eines Tages das Volk durchsetzen und seine Regierung die Kraft haben wird, den ganzen Bibelballast diplomatisch geschickt zugunsten einer weltoffenen Humanität abzubauen. Im globalen Interesse kann man dem israelischen Volk nur Glück wünschen auf seinem Weg in einen demokratisch verankerten Frieden mit seinen ihrer Religion wegen ebenfalls religiös äußerst problematischen, weil fundamentalistischen Nachbarn.


© Raymond Walden



 

Sonntag, 18. Oktober 2020

Menschliches Glauben: Der Segen der Waffen (S. 179)

 


Februar 1996


Trotz Friedensabkommens, trotz Friedensverhandlungen und Gewaltverzichtsversprechungen bomben sie weiter wie eh und je, beispielsweise in Nordirland und London, im Kaukasus, in Algerien, in Israel; und in Teheran fallen die Schwiegersöhne Saddam Husseins einem Blutracheakt des Familienclans zum Opfer. Religiöse Eiferer und nationalistische Blindheit, letztere zumeist ausgehend von den ersteren, führen feierliche Friedenszeremonien auf, um sie schon während der Paraphierung mit der gottestreuen Option der Vernichtung des Andersgläubigen auszustatten. Das ist der primitive Teufelskreis der Religion, denn gemäß gläubiger Einfalt herrscht auf Erden vorwiegend das Böse; man könnte meinen, Gläubige glauben zunächst einmal an den Teufel. Christlichen Optimismus verkündet indes ein Autoaufkleber: „Gott liebt jeden Menschen“. Also auch Saddam Hussein und Konsorten?

     Der Allmächtige muss auch über Kardinal Meissner das Füllhorn der unsäglichen Liebe geöffnet haben. Laut „Monitor“, ARD, 15.2.96 entblößte der Kirchenmann sein kriegstechnisches Verständnis: „In betenden Händen ist die Waffe vor jedem Missbrauch sicher.“ Dem Lexikon entnehme ich, dass der Herr „Mitglied des Sekretariats für die Nichtglaubenden“ ist. – Unglaublich!


© Raymond Walden

 

 

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Menschliches Glauben: Das Kreuz mit der Religion (S. 177)

 



August 1995



Was atheistische Uneinigkeit (Unfähigkeit?) nicht zustande brachte, schaffte nun ein Anthroposoph: Das Kruzifix in der Schule widerspricht höchstrichterlich der Glaubensfreiheit einer pluralistischen Gesellschaft.

     Religionsfreie Menschen sollten nicht frohlocken, denn die oft allzu opportunen Richter sind der doch merkwürdigen Argumentation eines Sektierers gefolgt. Nicht nur Aufgeklärtheit spricht aus dem Urteil, sondern auch eine Öffnung in Richtung schrulligster Weltanschauungen (die Anthroposophie ist eine solche), wie sie nunmehr seit vielen Jahren in Volkshochschulen und anderen Zirkeln der öffentlichen Trägerschaft massenhaft propagiert werden und in Zukunft wohl in noch größerem Ausmaß durch die pluralistische Gesellschaft hingenommen werden müssen.

     Interessant ist die stürmische Reaktion mancher „Kreuzritter“. Im badischen Südkurier schwärmt ein Kommentator vom „Eintritt in die Kultur“ durch das Kreuzzeichen bei der Taufe. Und der glaubensfeste Waigel (MdB und Minister), den ich im letzten bayerischen Landtagswahlkampf in München auf Wahlplakaten gemeinsam mit seiner Frau für eine intakte traditionelle Familie lächeln sah, obwohl er bald darauf eine andere Frau heiratete, will sich gar starkmachen für eine Überprüfung des Urteils, als seien die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für Christen nicht bindend.

     Durch die aggressive Aufgescheuchtheit so vieler bekennender Christen dokumentiert sich wieder einmal in bedrückender Weise die Tragik der gesamten Menschheit: Provinzialität, Intoleranz und Machtanspruch der Religionen.

     Ob sich durch das Urteil jetzt die in Deutschland besonders verankerte Verfilzung von Staat und Kirche aufweichen lässt? Fatal wäre es, gelangten durch den Richterspruch vermehrt religiöse und rückschrittlich-fundamentalistische Symbole zu einer Aufwertung. Denn wozu heilige Symbolistik führt, wird in Israel überdeutlich, wo die West Bank geräumt werden soll, aber die verschiedenen religiösen Gruppen hart um „The Holiest Hot Spots“ kämpfen, „heiligste, heiße Orte“, wo sich oft, historisch nicht einmal abgesichert, bedeutungsschwere Symbole befinden. Treffend formulierte es Arnon Bruckstein (Tower of David Museum, Jerusalem) in „Newsweek“, 31.7.1995: „Es gibt kaum eine blutigere Geschichte als diese. Heiligkeit ist der besondere Kern von Intoleranz bis ans Ende der Tage“. Und der Redakteur Jeffrey Bartholet fügt hinzu: „Gemäß jüdischer Tradition findet man in Jerusalem das Tor zum Himmel – und gleichermaßen das Tor zur Hölle.“ Zuvor führt er aus: „Einige jüdische Mystiker glauben, dass man, wo immer man eine Konzentration von Heiligkeit antrifft, auch einer größeren Ansammlung des Bösen begegnet.“

     Plausible Hinweise für die Friedensunfähigkeit von Religion.



© Raymond Walden



Freitag, 9. Oktober 2020

Menschliches Glauben: Überrepräsentierte jüdische Religion? (S. 174)

 



Mai 1995



Aufgrund der einander widersprechenden und sich befehdenden Religionen ist es unsinnig und dem Frieden keineswegs zuträglich, irgendeine Religion in staatsbestimmende Funktionen zu erheben, wie das in Israel geschehen ist.

     „Die Gründerväter Israels haben, auch wenn es sich in der überwiegenden Mehrzahl um Menschen handelte, die als Intellektuelle dem Arbeiterzionismus zugetan waren und der jüdischen Religion fernstanden, die Heimkehr des jüdischen Volkes nicht zuletzt als ein Ereignis im Geiste der Bibel und Propheten gefeiert. ... Die religiösen Juden dagegen sahen in der Heimkehr Israels in das Heilige Land die Erfüllung eines göttlichen Gebotes. ... Die Stellung der Religion im Lande ist nicht nur widersprüchlich, sie ist auch sehr einflussreich. Aus mehreren Gründen ist es den religiös-orthodoxen Kräften gelungen, ihre heutige starke Position zu erringen, die praktisch einer religionsgesetzlichen Majorisierung der weithin säkularisierten und größtenteils indifferenten Gesellschaft durch eine Minderheit gleichkommt: ...“ (Quelle: Jendges, H.: „Israel“ – Eine politische Landeskunde, Colloquium Verlag, Berlin, 1973, S.37-38)

     Kein Volk hat das Recht, alle anderen Völker, in welcher Weise auch immer, zu bevormunden. Die Deutschen haben diesen närrischen Anspruch exemplarisch und drastisch büßen müssen. Andere Völker haben offensichtlich diese Schmach noch vor sich, denn ihre Selbstüberschätzung nimmt gerade jetzt groteske Gestalt an, da doch eigentlich eine offene, multikulturelle Gesellschaft allenthalben gepriesen wird. „Multikulturell“ wird jedoch nicht als gleichberechtigtes Nebeneinander verstanden, man betreibt vielmehr die Vermengung zu einem konsistenzlosen Einheitsbrei, entsprechend der amerikanischen Schmelztiegelmentalität. – Dies ist die eine Seite. Innerhalb dieser weltweit etablierten Coca-Cola-Philosophie gedeihen sie prächtig, die Süppchen der göttlich Auserwählten, des jeweiligen „Gottesvolkes“, das es aber objektiv gesehen (in Ermangelung des Gottes) gar nicht gibt!

     An der „Bewältigung“ des Holocausts lässt sich verdeutlichen, welchen ungehemmten Stellenwert Religion für sich beansprucht. Kaum ein anderer Staat ist so mit seiner Religion verwoben wie der israelische, aber nicht nur dort regiert der religiöse Irrationalismus selbstherrlich, sondern auch in den USA und andernorts, wo Religiöse Einfluss nehmen.

     Wenn all die Sonntagsredner zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Kriegsendes immer wieder vorzugsweise dem religiösen Judentum ihre Aufwartung machen, ist dies ein Affront gegenüber den religionsfreien Juden, zu denen zum Beispiel ein Albert Einstein gehörte. Jüdische Menschen haben wie andere auch zu allen Zeiten Herausragendes geleistet, die Kulturen der Völker bereichert. Viele dieser Menschen könnten die heute übliche Einverleibung der Religion in das Bewusstsein des Staates Israel oder eines amerikanischen Judentums nicht ertragen, da ihr Geist weiter reichte, über biblische Ländergrenzen und Konzerngewinne hinaus.

     Nunmehr leuchtet nach der Wiedereröffnung der einst „schönsten und größten Synagoge“ (Neue Westfälische, Bielefeld, 5.5.95) auch wieder „Davids Stern über Berlins Mitte“. Ein politisches Heiligtum. Dass das „Gotteshaus“ als Denkmal wiedererstanden ist, zeugt von Geschichtsbewusstsein; dass es wieder zur religiösen Machtuntermauerung dient, offenbart Gestrigkeit und Lernunfähigkeit. Politik und Religion: Das müssen doch zweierlei Schuhe sein! – Eine bisher utopische Forderung!

     Ich zitiere noch einmal die zuvor genannte Zeitung: „Ende der achtziger Jahre gab DDR-Staatschef Erich Honecker den Startschuss zum Wiederaufbau (der Synagoge), weil er unbedingt zum Staatsbesuch in die Vereinigten Staaten eingeladen werden wollte. Ohne eine Geste gegenüber den amerikanischen Juden war das aber nicht möglich.“

     Soll Demokratie ernst genommen werden, können alle gesellschaftlich relevanten Gruppierungen nur gemäß ihrem prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung Gewichtung erfahren; nicht mehr und nicht weniger. Auch für den orthodoxen jüdischen Glauben gilt: Die praktizierten Religionen sind mit Demokratie letztlich nicht zu vereinbaren.



© Raymond Walden



Samstag, 3. Oktober 2020

Menschliches Glauben: Astrologie, eine chaotische Weltreligion (S. 162)


Mai 1995


Die Sterndeutung mag aus historischer Sicht nachvollziehbar erscheinen, ihre entwicklungsgeschichtlich geradezu zwingende Notwendigkeit ist begründ- und erklärbar wie die jeder Religion. Während sich jedoch zahlreiche Religionen auf eine recht straffe ideologische und strenge organisatorische Ordnung gründen, unterliegt die Astrologie von Beginn an einer ungezügelten Deutungsfreiheit, sodass es nicht möglich ist von der Astrologie zu sprechen, sondern nur von einem astral-chaotischen Durcheinander religionsähnlicher Glaubensmechanismen.

     Es geht kein Mensch aus purer Neugier zum Wahrsager oder Sterndeuter, sondern vorwiegend aus Notlagen heraus, denn die Beratungen sind ja nicht billig. Bedingt durch eine Zwangssituation oder durch bereits in früher Jugend eingeübte Hinwendungen zum Irrationalen, ist die Glaubensbereitschaft unkritisch oder sogar euphorisch. Auf diese breite Basis stützt sich der Erfolg selbst von Jahrmarkts- und Automatenastrologie. Der sogenannte Unterhaltungswert ist bei der unüberschaubaren Verbreitung ein von den Verantwortlichen heuchlerisch vorgetäuschter Rechtfertigungsgrund. Gemessen an der Erscheinungsvielfalt des Obskuren, handelt es sich hierbei nicht mehr bloß um die Befriedigung eines „Unterhaltungsbedürfnises“ (es überträfe alle anderen Unterhaltungssparten), sondern offenbar um ein schwerwiegenderes Phänomen. So gibt denn das geduldige Ertragen oder das „Vergessen“ von selbst drastischen Fehlprognosen durch die astrale Glaubensgemeinschaft bereits erste Hinweise auf die unerschütterliche Glaubenssucht. Sie hat, je nach Positionierung innerhalb der Weltfremdheit, zwei Ursachen: Verunsicherung und Hilflosigkeit, aus denen der Wunsch nach geistigem Geführtwerden entsteht, und auf der anderen Seite die Unfähigkeit zum objektivierbaren Denken, die manchmal sogar eine an sich unbegründbare Selbstsicherheit erzeugt.

     Für den Sterndeuter Niehenke beispielsweise ist es unwesentlich, dass seine Doktorarbeit über die Stimmigkeit von Horoskopdeutungen ein negatives Ergebnis gezeitigt hat (Psychologische Fakultät Universität Bielefeld, Deutschland); die berufliche Praxis als Astrologe verhindert jeden Selbstzweifel; er praktiziert nun als „kritischer Astrologe“ mit Doktorwürde.

     Die Lebensuntüchtigkeit so vieler Zeitgenossen muss hier nicht untersucht werden, sie zeigt sich auch in deprimierenden Scheidungsraten. Für viele Menschen stellt sich der Alltag als Abfolge beruflicher Überforderung einerseits und Eintönigkeit andererseits dar, geprägt von Konsum- und Konkurrenzdenken, Kommunikationsarmut in der Familie und zweifelhaften Freizeitverhaltensmustern: Fernsehen, Alkohol, Nikotin, weitere Drogen etc. Aus diesen tristen Kreisläufen resultieren Krankheiten, Verzweiflung und die Bereitschaft, jeden noch so albernen Strohhalm als Rettung zu ergreifen. Da im Abendland die christlichen Kirchen logischerweise jetzt an Einfluss verlieren, entstehen in den über Generationen hinweg geprägten Denkstrukturen gewaltige Hohlräume, in denen nun eine Art Glaubenswildwuchs dominiert. Unzweifelhaft ist die Glaubensbereitschaft, an Unlogisches – an Wunder, die es nicht gibt – zu glauben, ein Erbe der religiösen Vorgeschichte.

     So wie die Alchimie durch die exakte Chemie abgelöst wurde, so wie der Medizinmann im Arzt seinen Nachfolger fand, so erlebte die Astrologie das Ende ihrer Daseinsberechtigung durch die Astronomie und die ihr verwandten Naturwissenschaften. Kein einziges Faktum des gestirnten Himmels ist durch die Astrologie erforscht worden; ein Merkmal übrigens für die Forschungsunfähigkeit der Sterndeuterei. Sie ist in allen ihren himmelsbezogenen Aussagen wissenschaftsfremd, in ihren Übertragungen auf das menschliche Leben für jegliche Willkür offen und somit unverantwortlich. Weder der astrologische Tier- noch der Häuserkreis sind am Himmel auffindbar, die Planeten besitzen alle anderen als die durch Astrologen propagierten Eigenschaften, die symbolistischen Analogien der Planeten, der Tierkreiszeichen mit den Trigonen und Kreuzen, die Aszendenten, Deszendenten, Himmelsmitten und horoskopischen Nadire sind wie die Transite und Häuseraspekte leere, wissenschaftlich klingende Worthülsen, Hirngespinste einer überholt geglaubten Zeit. Doch was nützt alle astronomische Argumentation, wenn Sternmystiker Analogien als einzige Lebensweisheiten gelten lassen? Die Astronomie liefert Beweise gegen das mystische Sternenverständnis, mithin liegt die Ursache für das allgegenwärtige Wiederaufleben der Astrologie nicht in der Naturwissenschaft, sondern in anderen gesellschaftlichen Problemen.

     Der Jahrmarkt menschlicher Eitelkeit floriert mit dem allgemeinen Wohlstand, denn auch Eitelkeit kostet ja Geld. Dem Besitzenden öffnen sich die Konferenz- und Ballsäle, die Aufsichtsräte und die Redaktionen. So erleben wir immer wieder, dass Personen, die auf irgendeinem Sektor Herausragendes leisten, plötzlich zu allen möglichen Themen öffentlich Stellung beziehen, ja sogar trotz ihrer Inkompetenz mitentscheiden. Nicht immer sind die so in Verantwortung gehievten Stars und Sternchen schuldig, denn sie gelangen selten zu der Einsicht, dass ihr Verhalten problematisch ist. Für die Schickeria ist es allemal interessant, was der Bodybuilder S. über die Reinkarnation, die Schauspielerin K. über Esoterik, der Politiker R. über Horoskope verbreitet, ob nun auf großem Parkett oder auf einer Provinz-Party. Zwar ist man vor Ort im „kleinen Schwarzen“ oder im Frack das Übersinnliche betreffend nicht ungeteilter Meinung, doch wenn die Prominenten „da oben“ schon darüber laut spekulieren, dann „ist was dran“. Dabei zeigt uns jede beliebige Klatschspalte in den Medien, wie kaputt, wie psychisch angeschlagen diese Menschen mit dermaßen verkorksten Weltbildern sind.

     Aus dem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf heraus haben die Medien ein Interesse an Sensationen und Außergewöhnlichem. Meldungen über eine „UFO-Landung“ oder astrologische Prognosen erwecken mehr Aufmerksamkeit als die Gegendarstellung: keine UFOs, Astrologie als Unsinn enttarnt. So betrachtet, kann man den Medien einiges Verständnis entgegenbringen. Es bleibt aber die Frage nach der Verpflichtung zur Wahrheit. Machen wir uns nichts vor: Wann immer es opportun erscheint, belügen die Medien die Öffentlichkeit „wie gedruckt“, ob nun auf Papier, auf dem Bildschirm oder über Lautsprecher. Die Öffentlich-Rechtlichen tun dies, indem sie sich von Parteien, Kirchen und sonstigen Gruppen in den Rundfunkräten einen „demokratischen Proporz“ absegnen lassen, die Privaten verkaufen ihre ganze Unseriosität allein mit der Berufung auf Einschaltquoten. Qualität wird bewusst zugunsten der Quantität abgestuft. Das kommt nicht aus heiterem Himmel. Die Nazis erkannten als erste die Massenwirksamkeit der Medien und setzten sie skrupellos ein. Die Anwender heute wissen noch detaillierter über ihre Möglichkeiten Bescheid.

     Was die verantwortlichen Verleger und Redakteure mithilfe des Okkulten betreiben, ist eine gezielte Desinformation, Massendesorientierung unter dem Vorwand demokratischer Meinungsfreiheit. In Wirklichkeit wird das Prinzip demokratischer Selbstbestimmung mit Füßen getreten, um die Vorherrschaft der jeweiligen „Meinungspäpste“ zu untermauern. Eine verunsicherte, darüber hinaus gewaltüberflutete Bevölkerung, durch astrologische Orakel verblendet, lässt sich leichter lenken.

     Es ist falsch verstandene Bescheidenheit, wenn seriöse Wissenschaftler zu all den verbreiteten Unsinnstheorien der Esoterik schweigen. Zwar weiß der Wissenschaftler um die tatsächliche Begrenztheit des menschlichen Verstandes und ist sich der steten Gefahr der Irrung bewusst, doch muss er – wer sonst? – zu den offensichtlichen Fehlinterpretationen Stellung beziehen. Das setzt freilich fachliche Selbstsicherheit und zusätzlich Zivilcourage voraus. Außerdem muss man den Gegner kennen! Das heißt, man sollte sich schon vor dem Einstieg in die öffentliche Diskussion mit den schrulligsten Argumenten auseinandersetzen. Das nun mag vielen Forschern zuwider sein, aber im eigenen Interesse bleibt der Wissenschaft kein anderer Weg als die interdisziplinäre Widerlegung des Okkulten.

     Die heute weit verbreitete schmale fachliche Spezialisierung bei abnehmender Allgemeinbildung verstärkt jedoch sogar die gegenteilige Tendenz: Auch Akademiker wenden sich verstört und überfordert an Wahrsager und esoterische Aussteiger. So gibt es sie wirklich, die Gurus als Kronzeugen mit astro-physikalischer Ausbildung. Innerhalb dieses Szenarios von Verunsicherung, Medienabhängigkeit, Glaubenslust und -frust, von zuverlässigen wissenschaftlichen Entwicklungen und zugleich technologischen Fehlanwendungen wie Überschätzungen, entpuppen sich chaotische Koalitionen. Da veranstalten Kirchen – offiziell Astrologie ablehnend – astrologische Bildungsseminare und verkünden, auch die okkulten Begabungen seien Schöpfungen Gottes. Die staatlich geförderten Volkshochschulen werden zu esoterischen Heilsverkündern, gestandene Industrieunternehmen bemühen Firmenastrologen, Politiker regieren mit astralem Zepter.

     Erzählt man das dem Normalbürger, der es eigentlich längst gemerkt haben müsste, schaut er ungläubig. Hier nur drei Nagelproben: An der Decke im Kreißsaal des neuen katholischen Krankenhauses einer deutschen Stadt empfängt ein blinkender astrologischer Tierkreis die neuen Erdenbürger. An einer süddeutschen Universität bastelt eine Astrologin unter professoraler Anleitung an einer Doktorarbeit mit astrologischem Thema. Die „Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht“ (ZFU) in Köln, Deutschland, lässt unter der Nummer 741094v einen Fernkurs „Astrologische Menschenkunde“ zu (Quelle: Pressemitteilung Deutscher Astrologenverband) und bestärkt dadurch den unzutreffenden Eindruck, Astrologe sei ein seriöser Beruf.

     Die Astrologie erlebt eine weltweite Reinkarnation in einer für sie typischen Verwirrung sämtlicher erforschter natürlicher Gesetzmäßigkeiten, als hätte die Menschheit wirklich nur dies eine Ziel: die eigene Vernichtung. Denn keine der bohrenden Zukunftsfragen lässt sich astrologisch lösen: weder der Bildungsnotstand noch die sozialen Probleme in den Industrienationen, nicht der Hunger und die Epidemien weltweit, keine Umweltzerstörung und keine Kriegsmaschinerie. Astrologie selbst bedeutet geistige Zersetzung.


© Raymond Walden

 

 


 

Sonntag, 27. September 2020

Menschliches Glauben: Antisemitismus (S. 156)


Oktober 2001


Was ist eigentlich Antisemitismus?

     Bisweilen wird der Kosmonomie Antisemitismus vorgeworfen, weil sie alle Religionen, also auch die jüdische, als weltfremd, antidemokratisch, menschenverachtend und kriegstreiberisch ablehnt: Religionen sind das Schwert, mit dem aus ganz irdischen Interessen heraus Menschen enthauptet werden.

     Betrachtet man die religiösen Auswirkungen in der Gegenwart, nicht etwa in dunklen vergangenen Zeiten, so mögen wenige Beispiele zur Beweisführung für das Postulat ausreichen.

     Im Jahre 2001 werden in Afghanistan Menschen vor ein islamisches Gericht gestellt und mit dem Tode bedroht, weil sie angeblich im „reinen" Moslemstaat für das Christentum missioniert hätten. Ein Verrat an Allah, der ja andererseits laut „gemäßigter" Moslems derselbe Gott wie der christliche sein soll! Dennoch stellt das die islamischen Gläubigen gnadenlos unterwerfende Gesetz, die Scharia, andere Ansprüche als die „christliche Gerechtigkeit". Zur Abschreckung für nicht gefügige Gläubige darf da schon mal, muss sogar Blut fließen, muss getötet werden – wie früher bei den Christen.

     Im Jahre 2001 gehören etwa 16% der indischen Bevölkerung zur untersten Kaste der „Unberührbaren", die in hygienischen Zuständen leben, welche nicht einmal an die eines Massenschweinestalls in Europa heranreichen. Doch die Religion verbietet jedes Auflehnen dagegen und vertröstet auf eine „Wiedergeburt", während sich die reichen Kasten laben.

     Im Jahre 2001 explodieren Bomben in Nordirland, weil Christen im Gedenken an den Erlösertod ihres Herrn offenbar so blutrünstig werden, dass sie darüber hinaus sogar auch Kinder auf ihrem Schulweg mit Steinen bewerfen und dadurch traumatisieren.

     Im Jahre 2001 gibt es in den USA einen religiös getarnten Rassismus, der seit Staatsgründung besteht: Diese "Kapitalgesellschaft" hat ganze Indianervölker im Namen des Christentums ausgerottet und hält die wenigen Überlebenden heute in Reservaten, in Gettos. An Wiedergutmachung, Entschädigung denkt dort niemand. Auch nicht an einen späten Ausgleich gegenüber den Nachfahren der Sklaven schwarzafrikanischer Abstammung. Da passt es ins Bild, wenn die US-Delegation auf der (Anti-)Rassismuskonferenz in Durban, Süd-Afrika, das Feld unter Protest räumt, weil sie sich mit den gegenwärtig einflussreichsten Rassisten solidarisch erklärt.

     Im Jahre 2001 verstößt Israel gegen das Völkerrecht, bereitet als Besatzungsmacht der palästinensischen Zivilbevölkerung seit endlosen Jahren die Hölle auf Erden, provoziert durch extrem nationalistische Politiker und übt stets maßlos gewaltige Rache.

     Und im Jahre 2001 glauben Palästinenser an den „heiligen Krieg", in sich ein Widersinn, der jedes Opfer, aus eigenen wie aus gegnerischen Reihen, rechtfertigt.

     Kosmonomie erkennt Religion als Frevel am Menschen, an der Natur und verurteilt logischerweise dieses blinde Rennen ins eigene Verderben. Wenn nun Juden das als Antisemitismus bezeichnen, ist dies nicht korrekt, denn in ihrem religiösen Übereifer verhalten sie sich undemokratisch.

     Juden haben trotz des fürchterlichen Leides, das sie nicht nur, aber besonders durch Nazi-Deutschland erfuhren, kein Recht, anderen Völkern Ihren Willen aufzuzwingen und die Menschheit zu bevormunden. Der Staat Israel "versündigt" sich sogar an seinem eigenen Volk, das mehrheitlich frei ist von orthodoxem Judentum. Eine religiöse verbohrte Minderheit diktiert der Gesellschaft: Demokratie ad absurdum!

     Keine Religion vermittelt der Menschheit Humanität, sondern lediglich das letzte „Amen". Und natürlich stellen Religionen keine Rassen dar. Gegen die jüdische Religion wie gegen alle anderen zu sein, ist kein Rassismus. Ferner repräsentieren alle Juden ebenso wenig eine Rasse wie etwa alle Deutschen, Engländer oder Franzosen.

     Aus dem gesamten philosophischen Ansatz heraus kann sich die Kosmonomie nie gegen den einzelnen Menschen, gleichgültig welchen Glaubens, wenden, denn alle Menschen besitzen die gleiche Würde. Sehr wohl aber kritisiert die Kosmonomie Religionen, Ideologien und Institutionen, die gegen die Menschenwürde verstoßen. Die jüdischen Religionsfundamentalisten und die Politik des Staates Israel missachten die Menschenwürde und -rechte anderer, sodass bei genauem Hinsehen "Antisemitismus" auch zu einem politisch-ideologischen Propagandabegriff wird, mit dem leider Berufs-Ideologen und Antidemokraten umgehen, um ihre Ziele, notfalls durch Verleumdung der freiheitlichen Welt und einzelner Personen oder Personengruppen durchzusetzen. Damit schaden sie der Völkergemeinschaft und vor allem dem Staat Israel, dessen Menschen Frieden und Gewaltfreiheit verdienen.


© Raymond Walden


Redaktionelle Anmerkung:

Der Artikel erschien auf diesem Blog auch schon am 23.01.2012 hier.

 

 

Samstag, 26. September 2020

Menschliches Glauben: Auch die letzte Supermacht am Ende (S. 153)


September 2001


Seit einer Dekade ist der Kalte Krieg vorbei, weil sich die kommunistische Komponente der Supermächte durch marode innere Strukturen selbst aufgelöst hat. Nur oberflächliche Betrachter erkannten darin einen Sieg der kapitalistischen Gegenmacht USA, unabhängige Kritiker verfolgen hingegen, wie sich die einzig übrig gebliebene Supermacht ebenso, nunmehr akzelerierend, ihr Ende bereitet.

     Die verheerenden Terrorakte in New York und Washington kann und darf niemand gutheißen; das Schicksal jedes einzelnen Opfers und seiner Angehörigen erzeugt tieftrauriges Mitgefühl, fordert Respekt und verlangt die Bestrafung der Täter nach freiheitlich-demokratischen Gesetzen. – Und nur nach diesen, wollen die Richter nicht selbst zu Terroristen werden. Bisher gibt es nicht einmal einen zweifelsfrei Anzuklagenden, es besteht die Gefahr der Konstruktion eines Popanzes.

     Niemand kommt mehr an der Frage vorbei, warum sich ein derartiges Machtpotential so perfide gegen die USA richten konnte. Die objektive Antwort: Man musste damit rechnen, hat den Gedanken daran nur in Selbstherrlichkeit verdrängt, sich nebenbei abreagiert, zum Beispiel beim Produzieren von Wahnsinnsfilmen wie „Independence Day“.

     Seit über 50 Jahren profitieren die USA von der Übervorteilung anderer Völker, die sie in Abgründe der Armut getrieben haben. Sie verbündeten sich zum eigenen Vorteil mit Diktatoren der übelsten Sorte, führten unzählige, ungerechtfertigte kleinere wie größere Kriege, vernichteten Millionen Menschenleben, um die in den kapitalistischen Medien keine Träne vergossen wurde.

     Im Innern sind die USA geplagt von nicht aufgearbeitetem Rassismus, von einem versagenden allgemeinen Bildungssystem, von Waffengewalt, von einer rachsüchtigen, Todesurteile fällenden Justiz. Die Bitternis wird geschönt durch eine dekadente Scheinreligiosität, die den „God-bless-America“-Staat in der einfachen Bevölkerung schon als Gottesstaat verklärt. Alle Merkmale eines kranken Nationalismus verdichten sich zu einer unheiligen Kreuzzugsmentalität gegen alles, was nicht proamerikanisch ist.

     Doch hatten die USA je wirkliche Freunde? Wie konnten diese, so es sie gab, die Vereinigten Staaten so in ihre Verblendung laufen lassen? Es gab wohl kaum Freunde, vielmehr Nutznießer, die sich ohne wirkliche eigene Meinung im Schatten des US-Reichtums zu sonnen wähnten. Da nahm es die Weltöffentlichkeit auch in Kauf, dass die USA Klimakonferenzen missachteten, ihre UNO-Beiträge nicht entrichteten, sich in Fragen des Rassismus, zuletzt in Durban, verweigerten und so weiter.

     Wann haben die USA sich je um die palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon gekümmert? Diese jede Humanität verspottenden Einrichtungen sind nur möglich, weil die USA die religiös beeinflussten israelischen Regierungen kapitalkräftig unterstützen und die Errichtung eines gerechtfertigten Palästinenser-Staates verhindert haben. Aber hier liegt jetzt wahrscheinlich der Stein, über den die USA stolpern. Der Nationalismus eines Adolf Hitlers war glücklicherweise nach zwölf Jahren, wenn auch unter gigantischen Opfern, beendet. Als hätte niemand etwas aus der Geschichte gelernt, biedern sich europäische Politiker mit „uneingeschränkter Solidarität“ beim Kreuzritter Busch an, der jetzt mit „grenzenloser Gerechtigkeit“ in den Kampf einer internationalen Koalition gegen den Terrorismus zieht. Dabei haben die USA seit jeher Terroristen in zahlreichen Regionen aufgebaut. Das Vokabular ist häufig dem Nazijargon entnommen, die Völkerverachtung entsprechend.

     Nun sind die USA wirtschaftlich nicht am Boden, militärisch und logistisch schon gar nicht. Ein langer Opfergang scheint uns wegen wirtschaftlicher und anderer Verflechtungen allen bevorzustehen. Amerika ist nicht auf militärischem Weg zu besiegen, die überzogene Psyche der Massen in diesem Land wird die Rolle der Nation relativieren und auch die all jener Staaten, die ein geradezu infantiles Verhältnis zu den USA haben. „Uneingeschränkte Solidarität“ heißt doch im Klartext: „Führer befiehl, wir folgen dir!“ Nicht die Gerechtigkeit, sondern voreiliger und gedankenloser Aktionismus ist offenbar „grenzenlos“.

     Dass sich neomoderne Künstler sogar dazu versteigen, dem Terrorgeschehen einen ästhetischen Wert, nämlich in Form von beeindruckenden Bildern abzugewinnen, verdeutlicht psychische Abgründe der Leidens- und Gewaltverherrlichung, wie sie zweifellos in den beteiligten Religionen wurzeln und seit Jahrtausenden gepflegt werden.

     Der Terrorismus ist eine Herausforderung für die Aufklärung und die Humanität, aber nicht für die Religionen, die versagen müssen, weil man, frei nach Einstein, die Probleme nicht mit Methoden lösen kann, die zu den Problemen geführt haben.


© Raymond Walden

 

Redaktioneller Hinweis:

Dieser Text erschien auch schon im September 2008 auf dem Blog hier als Leseprobe.

 

 

 

Montag, 21. September 2020

Menschliches Glauben: Kohl – ein wahrhaft wahlkämpfender Christ (S. 147)


November 1997


Gewaltig, nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“, gestaltete der Katholik Kohl seinen Auftritt bei der protestantischen Synode in Wetzlar am ersten Novemberwochenende, indem er sich nicht nur zur Religion bekannte, sondern das Freisein von Religion christlich-demokratisch mit markigen Worten wie „Skandal“ und „erbärmlich“ verteufelte. Jedem Schamanen, Guru, Priester wäre derartiger Spiritismus nachzusehen, bei dem Kanzler eines der am „höchsten entwickelten“ Staaten der Erde müssen die Bewertungskriterien differenzierter angesetzt werden.

Ich zitiere aus dem CDU-freundlichen „Westfalen-Blatt“, 3. November 1997 den Aufmacher: „Angriff auf religiöse Erziehung Skandal“. So habe der Kanzler „davor gewarnt, den Religionsunterricht aus den deutschen Schulen zu verdrängen. … Der Angriff auf die religiöse Erziehung der Kinder sei alarmierend.“ Wie kompromisslos das christliche Selbstverständnis der Herrscherklasse ist, wird in weiterer Folge unverblümt vorgeführt (und das unterscheidet den Machtanspruch keineswegs von dem aller anderen sich auf Irrationales berufenden Systeme): „Konfessioneller Religionsunterricht sei kein überholtes Privileg der Kirchen, sondern eine notwendige Aufgabe des säkularen Staates, sagte Kohl. Auch wer die Glaubenslehre der christlichen Kirchen nicht teile, müsse ihre tragende Rolle für die demokratische Ordnung anerkennen.“ Der Ratsvorsitzende der EKD und Kohl „würdigten gemeinsam die bewährte Partnerschaft zwischen Kirche und Staat.“


Damit dürfte unzweifelhaft klar sein, dass, solange Christdemokraten etwas zu sagen haben, die Verfilzung von Staat und Kirche niemals zu lösen sein wird. Wer nun auf die SPD schielt, wird einen Augenfehler behalten; wieder „Westfalen-Blatt“, 3.11.1997“: „SPD dominiert EKD“. Ulrich Motte schreibt im Leitartikel: „Schon der verstorbene evangelische Pastor und ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, meinte, von der evangelischen Kirche aus betrachtet, sei die SPD geradezu eine rechtsradikale Partei. Mehr denn je spielen Sozialdemokraten heute eine führende Rolle in der Kirche – im Gegensatz zu Vertretern der bürgerlichen Parteien. Gerade erst wurden sechsmal (!) so viele Kandidaten, die der SPD entstammen, für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland nominiert wie aus der CDU kommende.“ Logisch, da wollte Kohl jetzt einmal regulierend auftreten. Eigentlich verblüffend, wie offen man zur staatlich stattlichen Kirchenversumpfung steht; man ist ja sowieso unter sich. Und so dürfen die deutschen Schlafmichel beruhigt darauf vertrauen: „Was die Kirche beschließt und wen sie wählt, dürfte aber gerade nicht am Partei- oder Zeitgeist, sondern nur an der Bibel gemessen werden, „Sola Scriptura“ (allein die Heilige Schrift) lautet der Grundsatz der Reformation.“


Es gibt keine Geister! Die sprichwörtlich guten dieser Spezies haben als erste diese Gesellschaft verlassen; was bleibt, ist Ungeist.



© Raymond Walden



Donnerstag, 17. September 2020

Menschliches Glauben: Nachdenkliches (S. 143)

 


Juni 1997


Polen stimmte über eine neue demokratische Verfassung ab. Wahlbeteiligung: knapp 40% ! Man könnte auch formulieren: 60 % haben sich durch Enthaltung der Demokratie verweigert. Die Europäische Union steht vor noch nicht zu überschauenden Problemen, wenn solche noch demokratieunfähigen Völker in die Gemeinschaft integriert werden sollen.


Zum siebten Male bereiste der Papst sein polnisches Heimatland, dessen Bevölkerung wohl zu den katholischsten Menschen des Globus zählt. Dies betrifft allerdings mehr die Tradition, weniger das christliche Handeln. Nun ermahnte der Papst seine Landsleute, den Weg nach Europa konsequent zu beschreiten und sprach unter anderem von den gemeinsamen christlichen Wurzeln des Kontinents. Durchaus richtig, doch diese gemeinsamen Wurzeln, die neben Kultur vor allem einen Glaubenskrieg nach dem anderen hervorgebracht haben, gilt es nun zu überwinden. Keine Kirche und keine Religion wird Europa einigen, sondern allein die Bereitschaft zur Aufklärung. Die katholische Kirche enttarnt sich als opportunistische Trittbrettfahrerin – auch weil ihr immer mehr Menschen, sogar in Polen, die echte Gefolgschaft verweigern.


Der französische Staatspräsident Jacques Chirac praktizierte seine eigene Auffassung von Demokratie und ließ die Wahl der Regierung um zehn Monate vorverlegen, weil er glaubte, so der ihm genehmen Regierung eine Mehrheit verschaffen zu können. Die Mehrheit der Franzosen ließ sich aber nicht täuschen; nun sitzt die Opposition dem Präsidenten als Regierung direkt gegenüber. Sieg der Demokratie? Vergessen wir nicht, dass sich im linken Lager nach wie vor auch indoktrinierte Kommunisten aufhalten.


In Irland verlor die bisherige Regierung in alter Tradition die Wahlen, obgleich man ihr eine erfolgreiche (Wirtschafts-)Politik bescheinigen kann. Bisher ist noch jede Regierung abgewählt worden. Sollte dies ein probates Mittel sein gegen politische Selbstgefälligkeit und Vetternwirtschaft?


Juden tanzten in Ost-Jerusalem in arabischer Verkleidung, um die Palästinenser vorzuführen und die israelische Siedlungspolitik zu untermauern, das heißt, dass diese Juden keinen Frieden wollen; sie sind als religiös Verblendete friedensunfähig. Das wissen inzwischen die meisten Israelis, die sich nach Frieden sehnen.


© Raymond Walden

 

 

Mittwoch, 16. September 2020

Menschliches Glauben: „Gottlob“, Mr. Clinton (S. 143)

 


November 1996


Unmittelbar nach seinem erneuten Wahlsieg bekannte sich Clinton auf durch und durch betrügerische Art und Weise zur Gleichheit aller Menschen vor Gott. Er habe bei seiner Stimmabgabe Gott gedankt, als Amerikaner geboren zu sein. Berechnender hätte auch ein Rechtsradikaler nicht verdeutlichen können, dass die Vorsehung es gut meine mit dem auserwählten Volk und seinem sich auf Gott berufenden Lenker.


© Raymond Walden

Donnerstag, 6. August 2020

Menschliches Glauben: Bildung: Das Bild von der Welt (S. 127)


Februar 1996


Bildungsauftrag, Allgemeinbildung, Fortbildung, Bildungsminister ... Einbildung – nur wenige der vielsagenden Wortzusammensetzungen mit dem Begriff „Bildung“, der jenes Gut beschreibt, das angeblich Menschlichkeit begründet.

     Die Crux mit der Bildung offenbart sich bei genauerem Nachfragen in der Einbildung, mit Weltanschauung Bildung zu vermitteln, Bildung wird also letztlich als Ideologiekonformität dargestellt, gar mit opportun elitärem Element, wähnt sich doch jedwede Elite im Sinne des von ihr geschaffenen oder gestützten Anschauungssystems, auserkoren zu sein, ausgestattet mit Sondervollmachten, die aus Tradition und Religion abzuleiten sind: die „tugendhafte“ Protektion und Korruption unter Berufung auf nicht beweisbare höhere Prinzipien. Die Anforderungen beispielsweise der Universität in Cambridge mögen intellektuell noch so hoch eingestuft werden, was ist der humane Wert, wenn dort bis heute die Frauendiskriminierung in vielen universitären Bereichen nicht überwunden ist? Die Tradition gilt mehr als die Menschenachtung – das Ergebnis einer Jahrhunderte währenden Verbildung.

     Das mystische Weltbild der Religionen animiert alle menschlichen Sinne und hat zur Entstehung geradezu überirdischer Kunstschätze der Gottesverehrung geführt, aber weitaus häufiger zu katastrophalen Gewaltausbrüchen im Namen eingebildeter Heiliger. Die Bildraster sind interkontinental austauschbar: Ob Wodu-Gott oder Heilige Dreieinigkeit, sie sitzen seit Jahrtausenden vernunftwidrig im Kulturerbgut, sodass sogar heute die Entdecker neuer Sichtweisen, getauft und vereinnahmt, wie sie nun einmal sind, vor den Konsequenzen ihrer Erkenntnisse zurückschrecken, mehrheitlich kniend unter dem Kreuz oder betend gen Mekka verharren und mit den subtilsten Waffen in der Hand den ausgebildeten Eingebildeten dienen. Jenen sind sie willfährig, die noch am kleinsten Zwist verdienen, weil sie die Unbildung des gemeinen Volkes ausnutzen und als Monopolisten Schwachsinn als Bildung administrieren, gar unter der Vorgabe von psychologisierten „Lerntheorien“. Allein, solche „Klugheit“ verfehlt die Herzensbildung, einen seltenen Wert in einer traditionell scheinheiligen Umgebung.

     “Kein Mensch darf gegen seinen Willen durch Menschen getötet werden“, gemäß dieser Prämisse mögen alle Götter sterben. Das Bild von der Welt ist ein menschliches, kein göttliches. Dies demokratisch zu erkennen und zu leben, ist die Bildung, die Menschlichkeit sogar zur Menschenfreundlichkeit reifen lassen könnte. Keine Religion ist dieser Aufgabe gewachsen, wie die Geschichte beweist. Ganz im Gegenteil, sie blenden alle mit ihren „Offenbarungen“ die Menschen und nehmen sie, frei nach Nietzsche, in die Pflicht: "Betrüge weiter, selbst Betrogener, du“!


© Raymond Walden





Freitag, 24. Juli 2020

Abgott Krieg


Krieg ist propagierte und befohlene Lüge,
ist befohlene Zerstörung von Natur,
ist befohlene Kulturvernichtung,
ist befohlene Menschenschändung,
ist befohlener Mord
auch mit religiösem Segen,
sogar mit religiöser Begründung
und auf religiösen Befehl.
Krieg ist Religion,
Religion ist Krieg.
Immer mordet der Krieg,
ist also gepflegtes, angebetetes Verbrechen
an der Welt,
an allem Sein
und am vorgetäuschten Nichtsein
wie eben „Gott“.

Offizielle Intelligenz?
Wo denn?
Die Menschheit treibt Waffenhandel,
sie rüstet auf,
protzt in Manövern,
paradiert:
Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen!“
Alles zum Erhalt des Friedens:
Achtung!
Feuer frei!
Nur diese „Freiheit“ kennt der Krieg,
nur solchen „Frieden“ hinterlässt die Gehorsam
predigende Gottheit,
aktuell im schlechten Atem
der nach „Wehrpflicht“ Rufenden:
Haben Sie gedient?“
Wie, Sie weigern sich?“
Wir haben noch ganz andere Mittel!“
Abführen!“
Im Namen des Volkes: Schuldig!“

Zum Töten oder zum Tode verurteilt.




Freitag, 17. Juli 2020

Menschliches Glauben: 3. Bildung, Wissenschaft (S. 113)


Über Wissenschaft

1999

Religionen streiten erbittert untereinander und es gibt genügend Dogmatiker, die ähnliche Konflikte sogar in die Wissenschaft hineintragen und damit beiläufig die Richtigkeit der Evolutionstheorie beweisen, welche die Herkunft des Menschen aus primitiven Lebensformen ableitet. Alle Zeichen sprechen dafür, dass die Entwicklung zum Menschen hin noch sehr im Anfangsstadium verweilt, denn was in der Tierwelt äußerst selten und auch nur bedingt vorkommt, offenbart sich beim Menschen in vielen Kulturen: Er ist sich selbst der ärgste Zerstörer, er untermauert fortwährend seine innerliche Entfernung zur viel beschworenen Menschenwürde, denn gesunde Instinkte und Triebe bekämpft er mit bisweilen geistlosen Bewusstseinsverrenkungen.
     Streit bedeutet nicht von vornherein Zerstörung, sondern erscheint auf bestimmten Ebenen sinnvoll; erinnert sei an das rivalisierende Brunftverhalten in der Tierwelt, wodurch sich nur die stärkeren, gesunden Individuen für die Fortpflanzung qualifizieren. Auch innerhalb der Wissenschaft erweist sich eine interne Streitkultur als im wahren Sinne fruchtbar. Rivalitäten erhöhen die Forschungsanstrengungen und führen auch zu konsequenten Korrekturen, so sich eine These objektiv als fehlerhaft erwiesen hat.
     Wissenschaftlicher Zwist und Religionskonflikte sind grundsätzlich von verschiedenem Charakter, geht es doch im Bereich der Forschung um objektivierbare Weiterentwicklung, im Umfeld der Religionen hingegen um die dogmatische Verteidigung oder Durchsetzung glaubensbedingter Behauptungen über Nichtexistierendes oder Nichtbewiesenes.
Immerhin konstatierte die katholische Kirche anlässlich der zögerlichen Rehabilitierung Galileis, dass es eine objektive wissenschaftliche Wahrheit gäbe – freilich neben einer sogenannten Offenbarungswahrheit. Zwei Wahrheiten also! In der praktischen Auswirkung bedeutet dies Bewusstseinsspaltung, eine ausgekochte Methode des Prinzips „Teile und herrsche!“ Die „Teilung“ in Form von Verunsicherung findet vornehmlich in den Köpfen der unzähligen Gläubigen statt, während bei den Herrschenden so die Teilhabe an der Macht der Religion gefestigt wird.
     Die Wissenschaft verharrt traditionell in ähnlichen Abhängigkeiten, sodass einzelne herausragende Wissenschaftler aus einer distanzierten Weltsicht heraus ebenso wie aus Opportunität bestimmte Weltanschauungen öffentlich unterstützen. Da konkurrieren zum Beispiel seit Jahren verschiedene Theorien über die Entstehung des Universums, besonders favorisiert: die oft erwähnte Urknalltheorie. Sie passt so gut in den biblischen Schöpfungsbericht, „Gott schuf“ nicht evolutionär, sondern quasi im „Hauruck“. Letztere Anspielung weisen die Big-Bang-Apostel geradezu beleidigt von sich, doch als der Cobe-Satellit eine in die Theorie passende Strahlung im Weltall bestätigte, jubelte man in Wissenschaftskreisen, die „Handschrift Gottes“ entdeckt zu haben. („Newsweek International“, 4.5.1992) Damit wäre dann – ganz nebenbei – die Richtigkeit des biblischen Berichtes bewiesen, alle davon abweichenden Darstellungen seien eben falsch!
Wissenschaftler sind keine besseren Menschen. Vielleicht sind einige aus ihren Reihen gleichwohl friedfertiger als andere Mitglieder der Gesellschaft?
     Ähnlich wie der Astrologie und Astronomie, die einst identisch waren, ergeht es der christlichen Religion und der Wissenschaft; Bildungsgut (Wissenschaft) wurde hauptsächlich über Klöster und den Klerus gepflegt und vermittelt. Geistlich abweichende Lehrer standen zumeist unter religiöser Überwachung und wurden notfalls gemaßregelt oder gar vernichtet (G. Bruno, G. Galilei und andere). Es bleibt aber das Verdienst der Religionen, Wissenschaft unter verschiedenen Vorzeichen und Methoden überhaupt erst ermöglicht, Kultur hervorgebracht zu haben. – Das allerdings ist Historie.
     In der gegenwärtig eskalierenden Notlage der Zivilisation bedrohen Religionen, indem sie die Wissenschaft missbrauchen oder ihr feindlich gegenüberstehen sowie durch die Propagierung der fundamentalistischen, wörtlichen Auffassung von Schriften (Bibel, Koran, …), den Fortbestand der Menschheit unmittelbar. In einer mit Unmengen von Sekten, Kirchen und Propheten durchsetzten amerikanischen Gesellschaft stehen neben dem Präsidenten der „Weltmacht Nr. 1“ auch das Bildungssystem, die Massenmedien und die Wissenschaft, die vor allem den kapitalistischen Rentabilitätsforderungen und militärischen „Bedürfnissen“ zu genügen haben, in direkter Abhängigkeit zu religiösen Machtgruppen. Weltweit breitet sich wissenschaftliche Unfähigkeit aus, indem das US-Muster mehr oder weniger kritiklos kopiert wird. Keineswegs überrascht es da, wenn man von menschenverachtenden, über die Köpfe der Opfer hinweg getätigten amerikanischen Experimenten mit Radioaktivität erfährt. Diese Wissenschaftsauffassung steckt in Monsterschädeln, die jenen der Nazis oder der ehemaligen Sowjetimperialisten ähneln.
     Neunundzwanzig Jahre ist es im Juli 1998 her, dass Menschen erstmals den Mond betraten. Waren es Wissenschaftler in moralisch vertretbarem Sinne? – Wohl kaum! Die „Errungenschaften“ verdanken wir einem Wahnsinnswettlauf zwischen den beiden damaligen Großmächten, im Zuge dessen sich beide Seiten überhaupt nicht scheuten, zwielichtige deutsche Wissenschaftler zu beschäftigen, die unter der Naziherrschaft die Kriegsmaschinerie sogar mit Gefangenen der Konzentrationslager vorangetrieben hatten. Und als dann weitere Mondlandungen erfolgten, führten diese zwar auch zu wissenschaftlich sachlichen Erkenntnissen, aber Astronauten zogen anschließend religiös missionierend durch die Länder und erzählten unter anderem dümmliche Märchen vom „Genesis Rock“, dem lunaren Stein der Weisheit: Gott hatte sie derartig erleuchtet! Und das naive Volk folgte ihnen scharenweise.
     Es ist eine Bedeutungsverdrehung, Theologie als Wissenschaft zu bezeichnen, denn Religion und Wissenschaft schließen einander aus; es sei denn, die Wissenschaft, als solche immer religionsfrei, untersucht die Religionen. Dann tritt schlagartig die Beziehungslosigkeit dieser unvereinbaren Denkstrukturen zutage. Hinwendung zum Mystizismus (Geheimnis des Glaubens) meint doch das Verlassen der Logik mit dem Anspruch auf „Strahlende Wahrheit“ („Enzyklika“, Papst Paul II.).
     Dennoch kann ein Wissenschaftler religiös sein; er besitzt als Mensch alle Rechte der Glaubens- und Meinungsfreiheit. Schließlich ist es nicht Aufgabe der Wissenschaft, den Sinn des Lebens zu erkennen oder gar die Existenz oder Nichtexistenz von Göttern zu beweisen. Die Frage ist, ob der Wissenschaftler sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit frei halten kann von religiösen Voreingenommenheiten gegenüber dem Forschungsgegenstand.
     Ein exemplarisches Gegenbeispiel findet sich in der astronomischen Zeitschrift „STAR OBSERVER“, 1/1994 aus Österreich. In der allerersten Ausgabe wurde über Giordano Bruno berichtet, der bekanntermaßen im Jahre 1600 „wegen Ketzerei“ durch die Kirche auf dem Scheiterhaufen endete. Der österreichische Wissenschaftsminister schickte die Ausgabe an den Direktor der Wiener Universitäts-Sternwarte und fragte an, ob die Zeitschrift subventionswürdig sei. Der Direktor – auch Theologe! – äußerte sich nicht nur negativ, sondern meinte, der Fall G. Bruno habe sich ja ganz anders abgespielt. Da erübrigt sich eigentlich die Feststellung, dass beide Herren mit „Wissenschaft“ offensichtlich nichts verbindet.
     Weitaus unangenehmer ist aber die versteckte Indoktrination im Tarnmantel von Toleranz, durch Glaubenssätze, die mit wissenschaftlich-staatsmännischer Miene vorgetragen werden. Dazu Ausschnitte der Rede des früheren, allseits geachteten und geschätzten deutschen Bundespräsidenten, Richard von Weizsäcker, am 8. Mai 1985 „Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“: „Manche junge Menschen haben sich und uns in den letzten Monaten gefragt, warum es vierzig Jahre nach Ende des Krieges zu so lebhaften Auseinandersetzungen über die Vergangenheit gekommen ist. ... Worin liegt die innere Notwendigkeit dafür?“ Der Bundespräsident meint: „... wir sollten die Gründe dafür nicht vornehmlich in äußeren Einflüssen suchen..... Auch hier erlauben Sie mir noch einmal einen Blick auf das Alte Testament, das für jeden Menschen, unabhängig von seinem Glauben, tiefe Einsichten aufbewahrt. Dort spielen vierzig Jahre eine häufig wiederkehrende, eine wesentliche Rolle.“
     Mit Verlaub, die Bibel – ob Altes oder Neues Testament – bedeutet für Millionen Menschen gar nichts. Die heute erforderlichen „tiefen Einsichten“ sind dort keineswegs vorhanden, eher das Gegenteil. Aber der Bundespräsident fährt fort: „Vierzig Jahre sollte Israel in der Wüste bleiben, bevor der neue Abschnitt in der Geschichte mit dem Einzug ins verheißene Land begann. ... An anderer Stelle aber (Buch der Richter) wird aufgezeigt, wie oft die Erinnerung an erfahrene Hilfe und Rettung nur vierzig Jahre dauerte. Wenn die Erinnerung abriss, war die Ruhe zu Ende. So bedeuten vierzig Jahre stets einen großen Einschnitt. Sie wirken sich aus im Bewusstsein der Menschen, sei es als Ende einer dunklen Zeit mit der Zuversicht auf eine neue Zukunft, sei es als Gefahr des Vergessens und als Warnung vor Folgen.“
     Jeder Skeptiker fühlt sich unweigerlich an esoterische Ausführungen von Okkultisten erinnert; es fehlt eigentlich nur der Hinweis, dass auch irgendein Stern immer wieder, alle vierzig Jahre in irgendeinem Symbolfeld auftauche.
    Liz Greene, amerikanische Astrologin, erhellt Zusammenhänge: „Der Uranus braucht vierundachtzig Jahre für seine Umlaufbahn um die Sonne, und er bildet eine Opposition zu seinem Stand im Geburtshoroskop, wenn der Mensch zwischen vierzig und zweiundvierzig Jahre alt ist. Dadurch fällt er mit der Phase psychischer Entwicklungen zusammen, die Jung die Krise in der Lebensmitte nennt. Bei diesem kritischen Punkt ist nicht nur der Uranus-Zyklus involviert. Wir dürfen nicht vergessen, dass Saturn seinen Zyklus alle neunundzwanzig Jahre vollendet und alle sieben einen bedeutenden Aspekt zu seinem Geburtsstand bildet. Vierzehn Jahre nach der Rückkehr Saturns hat der Planet wieder einen halben Zyklus vollendet. In unserem zweiundvierzigsten Lebensjahr steht er dann in Opposition zu seinem Geburtsstand. In diesem Alter müssen wir also mit dem Einfluss zweier wichtiger Transite fertig werden.“ (Wiechoczek, R.: Uranus lächelt über Hiroshima, Die horoskopierte Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft für Religions- und Weltanschauungsfragen, München 1992)
     Der Bruder des Bundespräsidenten, der weithin bekannte und anerkannte Physiker, Prof. Dr. C. F. von Weizsäcker, teilte in persönlichem Schreiben vom 22.10.1985 mit, dass „empirisch recht gute Argumente für z. B. astrologische Charakteranalysen vorgebracht werden können.“
     Wer sich je rational mit der Astrologie auseinandersetzt hat, weiß, dass es sich um selbsterfüllende Aussagen und Prophezeiungen handelt. Darüber hinaus wenden sich die Argumente, die gegen die Ersatzreligion Sterndeutung gerichtet sind, gleichermaßen gegen jede Religion.
     Fasst man hingegen „Religiosität“ weiter im Sinne von Ehrfurcht vor der Größe der Natur, im Sinne von Erkenntnis der eigenen Begrenztheit und Selbstbescheidung, dann erscheint Religiosität als sogar logische Folge, auch in der Hinwendung zum Mitmenschen und zur Umwelt, als Begründung einer überzeugenden Humanität.
     Albert Einstein: „Das Moralische ist ihm (dem Wissenschaftler; d. Verf.) keine göttliche, sondern eine rein menschliche Angelegenheit.“ Und: „Sie werden schwerlich einen tiefer schürfenden wissenschaftlichen Geist finden, dem nicht eine eigentümliche Religiosität eigen ist. Diese Religiosität unterscheidet sich aber von derjenigen des naiven Menschen. Letzterem ist Gott ein Wesen, von dessen Sorgfalt man hofft, dessen Strafe man fürchtet – ein sublimiertes Gefühl von der Art der Beziehung des Kindes zum Vater – , ein Wesen, zu dem man gewissermaßen in einer persönlichen Beziehung steht, so respektvoll diese auch sein mag. Der Forscher aber ist von der Kausalität allen Geschehens durchdrungen.“ (Einstein, A.: Mein Weltbild, Hrsg.: C. Seelig, Bertelsmann, Gütersloh)
     Am Beispiel des inzwischen zusammengebrochenen sowjetischen Kommunismus schilderte Konrad Lorenz eindrucksvoll, welche Menschen am anfälligsten sind für geistige Vergewaltigung: „Eines aber ist mir ... klar geworden ... Es ist dies die Tatsache, dass die sozial am besten veranlagten, gutherzigsten und anständigsten Menschen gegen die Anschläge des indoktrinierenden Demagogen besonders wehrlos sind. Vor allem hindert sie eine wirkliche Tugend, nämlich ihre Treue, daran, sich von der Doktrin zu lösen, selbst dann, wenn sie ihre Wertlosigkeit voll durchschaut haben. Wenn man die Tragik dieser Treue eingesehen hat, fühlt man die Verantwortlichkeit, die Jugend vor den Leimruten der Indoktrination jeder Art zu bewahren.“ (Lorenz, K.: Der Abbau des Menschlichen, Bertelsmann, Gütersloh, 1983)
     Bereits im Jahre 1981 habe ich in einem Aufsatz die idealistische Philosophie der „Kosmonomie“ vorgestellt. Wissenschaft wird definiert als forschende Disziplin, die für ihre Ergebnisse über eindeutige Beweisführungen verfügt, unabhängig von Religion, Parteipolitik, Kapital und Mode. Die sogenannten Geisteswissenschaften arbeiten bisher zu „unsauber“ und sind besonders anfällig gegenüber Esoterik, Unfug und Spuk.
     Irrungen der „Wissenschaft“ begründen sich in voreiliger kommerzieller Ausschlachtung, in persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen und in niederem, vordergründigem Konkurrenzverhalten der sogenannten Wissenschaftler zueinander sowie im Phänomen des Fachidioten und eines aufgeblähten Beamtentums. Kosmonomisch verstandene Wissenschaft basiert, trotz des stets eiligen allgemeinen Fortschritts, auf sorgfältiger Selbstkritik im Bewusstsein der Begrenztheit menschlicher Möglichkeiten und mit dem Blick über lokale Horizonte hinaus, in der Vergegenwärtigung, dass alles nur in kosmischen Zusammenhängen realistisch erforscht werden und zum Nutzen der Menschheit Verwendung finden kann.
     Freilich sieht die Wirklichkeit ganz anders aus, wenn nicht gar hoffnungslos. Eine Gesellschaft, die auf ministerieller Ebene erdstrahlgläubige „Wissenschaftler“ fördert, die im Gesundheitswesen zu Gesundbeterei, Quacksalberei, mit Religion vermengter Meditation und Selbstverwirklichung durch „Selbstheilung“ zurückkehrt, deren sogenannte „Wissenschaftler“ immer häufiger über den Dooms Day (Weltuntergang) orakeln, scheint bereits endgültig kaputt.
     Sehen wir aber für unsere Nachfolgegenerationen nicht zu schwarz? Die Erde könnte sich viel schneller als erwartet selbst von einer solchen Menschheit heilen, denn so mancher Mensch würde vielleicht schnell lernen, wenn ihn die allgegenwärtige Misere noch unbarmherziger dazu zwänge. Die zahlreichen freireligiösen, humanistischen Gruppen sollten endlich konkret über politische Machtgestaltung nachdenken. Das bisher kaum merkliche Gewicht entspricht jedenfalls nicht der Zahl religionsfreier Menschen.


© Raymond Walden