Nein,
Frankreich,
es
war keine Liebe auf den ersten Blick.
Wir
begegneten uns damals 1959,
deine
Trikolore wehte über der Kaserne im süddeutschen Donaueschingen
und
ich lebte gegenüber in einem Flüchtlingsheim.
Bisher
waren mir nur Russen als Besatzungsmacht vertraut gewesen.
Zehn
Jahre später, Frankreich,
führte
mich eine Studienfahrt zu dir,
zu
deinen Reichtümern an Kultur und Natur.
In
Paris fiel ein Wort deutscher Verachtung;
es
war das einzige Mal, danach nie wieder.
Und,
Frankreich,
es
dauerte zwar etliche Jahre,
dann
aber sah ich dich immer wieder,
freundlich,
liebenswürdig, aufgeschlossen,
vielleicht
etwas nachlässig, doch voller Zivilisation,
so
gekonnt lebend, obschon voller Streikbereitschaft
und
sozialer Bürden.
Ich
schäme mich, Frankreich,
deine
Sprache nicht gelernt zu haben.
Du
machtest es mir etwas einfach,
überall
mit Englisch, neuerdings auch auf Deutsch durchzukommen.
Und
wenn es wirklich einmal hakte,
beim
Arzt beispielsweise oder bei der Polizei
nach
erlittenen Gaunereien,
waren
hilfreiche Menschen zugegen.
Es
ist mir aber leichter, Frankreich,
die
endlosen Werbeschaltungen in den Medien und
manchen
Schnulzengesang nicht zu verstehen.
Übrigens
geht es mir ähnlich in Deutschland,
wenn
die vorwiegend englischen Popsongs
nicht
so ins Gehirn drängen wie die neu zunehmend
deutschen
„Pseudophilosophien“.
Deine
Pariser Politiker, Frankreich,
entziehen
sich meinem detaillierten Interesse so
wie
auch die deutschen in Berlin.
Die
deutsch-französische Freundschaftsbesiegelung aber
schätze
ich als das Größte,
das
Politik je leistete.
Lass’
uns, Frankreich, nie daran zweifeln.
Dein
historisches Erbe, Frankreich,
Liberté, Egalité, Fraternité,
wurde
nach der Revolution in Blut gebadet,
passt
auch nicht zum Text deiner Nationalhymne,
schon
gar nicht zu deiner Fremdenlegion.
Die
Verwirklichung aber von Aufklärung, Frankreich,
ist
unser gemeinsames Projekt
für
eine Menschheit,
die
sich ein Beispiel an der französisch-deutschen Aussöhnung
nehmen
könnte.
Verdun
mahnt uns alle.
Deine
großen Kathedralen, Frankreich,
wie
deine kleinen muffig ärmlichen Kirchen
belegen
wie die deutschen Dome und die staatlich geförderten
Kirchen
dieses Landes die Untauglichkeit zur Kriegsverhinderung.
Es
sind Museen mit zum Teil faszinierender Architektur.
Welche
Rolle spielt es, ob das Elsässer „Sauerkraut“ so
oder
„choucroute“ heißt?
Der
Rhein verbindet und verfließt als gestrige Grenze.
Deine
Wegelagerei, Frankreich, auf deinen Autobahnen sei dir verziehen,
bietest
du doch klare Infrastruktur und freie, entspannte Reisequalität.
Ich
kann nicht beanspruchen, Frankreich,
dich
zu kennen.
Immer
wieder zog es mich an deine Küsten,
deine
große Pilat-Düne habe ich erklommen,
die
Strände von St. Tropéz sind mir vertraut.
Vom
Mt. Ventoux spähte ich über die Provence,
viele
Orte dort habe ich nicht nur einmal besucht.
Vincent
van Goghs Spuren folgte ich in Saint-Rémy,
Paul Cezannes in Aix-en-Provence,
Pierre-August Renoirs in Cagnes sur Mer.
Auf
dem Nietzsche Weg stieg ich hinauf nach Èze,
Denis
Diderots morbide Felsenstadt Langres
dient
mir oft als Etappenziel auf langen Reisen.
Das
Roussillon mit seinen Katharer-Burgen, die Vor-Pyrenäen und die
Küsten um
Argeles sur Mer mit ihren berühmten Touristen-Magneten
wurden
mir wie eine zweite Heimat.
Hier
genieße ich das südliche Leben, spanne aus bei
donnernder
Meeresbrandung oder bei stillem Wasserspiegel,
wenn
ich etwa dem Sonnenaufgang entgegenschwimme.
Dem
uralten „Menschen“ von Tautavel machte ich meine Aufwartung,
Pablo
Picasso traf ich wieder einmal in Ceret.
Carcasson
inspirierte mich, und, völlig in der Neuzeit,
hatte
ich ein Picknick am Sonnenofen von Font-Romeu.
Ich
badete im Tarn an steiler Schluchtenwand, stand beeindruckt
am Pont d’Arc in der Ardeche-Schlucht
und
besichtigte das grandiose Canyon von Verdon.
Deine
Märkte, Frankreich, deine Brocantes überall,
auch
das internationale Publikum,
geben ein permanentes Flair à la Parfüm aus Grasse
oder
besser: aus dem Duft des mediteranen Früchtemeers.
Einen
Wermutstropfen muss ich vergießen: Der blutige Stierkampf in Arles hat
mich am Verstand der Menschen besonders berührt zweifeln lassen.
Aber
sogar deine Widersprüchlichkeiten, Frankreich, mindern nicht deine Attraktivität.
Ich
habe dich, du solltest nachsichtig sein,
einfach
in Gedanken vereinnahmt.
Wenn
mir in Deutschland Ungereimtheiten aufstoßen,
blicke
ich auf dich, finde aber keineswegs geeignete Antworten,
denn
in dir erkenne ich nicht nur „leben wie Gott“,
sondern
viel Zwiespalt, denke ich an die Vorstädte, an
deinen
Nationalismus, Militarismus und
manche
esoterische Verirrung oder auch
an
die exemplarische Dekadenz an der Cote
d’Azur.
Du
bist mir wichtig als europäische Wurzel,
anders
als Deutschland in seiner amerikanischen Vasallenschaft,
die
von den meisten Deutschen und auch anderen Europäern
nicht
vergegenwärtigt wird.
Mir
scheint dein Weg durch die Geschichte etwas geradliniger als
die
deutschen Irrfahrten zur Gegenwart,
aber
was die kleinbürgerliche Identität betrifft,
gibt
es wohl viele internationale Ähnlichkeiten und
im
kosmonomischen Sinne Unzulänglichkeiten.
Dein
Vorzug für mich:
Ich
lebe nicht alltäglich in dir, sondern bin immer ein Reisender,
ein
vagabundierender Wohnwagenfahrer,
der
die unkomplizierten Kontakte zu allen möglichen Menschen schätzt,
der
sich aber, bis auf wenige Ausnahmen, auch der gewissen
Unverbindlichkeit
im jederzeit einhaltbaren Abstand erfreut.
Stets
kehre ich gerne nach Deutschland zurück,
um
mich bald erneut auf dich, Frankreich, einzulassen, und sei es
über
den deutsch-französischen Fernsehkanal „arte“.
Nein,
Frankreich,
ich
bin nicht süchtig nach dir,
dazu
sah ich viele andere Länder auch.
Ich
sorge mich um eine ehrliche Werte-Identität.
Sie
besteht nicht in Diktaturen, Oligarchien, Monarchien
und
Gottesstaaten, sondern
in
republikanischer Authentizität des Individuums,
deren
bisher bescheidene, aber seriöse Leichtigkeit
deine
Farben, Frankreich, besonders trägt.