Dienstag, 25. August 2015

Ein Gast nur


Gast bin ich nur
und will es sein.
Eingeladen vielleicht,
unangemeldet ebenso.
Saisonbesucher,
Stammgast auch.
Wo immer ich verweile,
wohnt ein Abschied schon,
wartet auf mit serviertem Schluss,
mit Veränderung und Neubeginn,
eigentlich nicht unerwartet,
geplant sogar,
doch letztlich unberechenbar.

Und nehme ich die Rolle des Gastgebers ein,
verlässt mich nicht die Vergänglichkeit,
kaum reicht die Zeit
zum Genuss des Augenblicks.
Doch Gastlichkeit will Weile haben;
ich richte es so ein,
nehme sie an als Geschenk
der Natur,
deren Teil ich bin,
kommend und gehend wie sie.
Gebend und nehmend.

Und dann nicht mehr.



Dienstag, 18. August 2015

Sequenzen von Skepsis (209)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

2644
Der Schnee von gestern blieb nicht lange weiß. Zivilisationsruß ließ ihn ergrauen, das Blut des Krieges färbte ihn gnadenlos. Man trat ihn mit Füßen, schob ihn beiseite und setzte ihm mit Salz zu. Er schmolz und mit ihm alle Spuren von gestern. Nun erwartet man Neuschnee, aber wozu? Der Mensch wird ihn wieder zurichten und wie gestern nichts lernen.

2645
Der idiotische Mensch zäunt sich ein gegen Flüchtlinge, für deren Erscheinen er zuvor in ihren Heimatländern die wahren Gründe aufriss.

2646
Nenne keinen Vollidioten beim Namen, denn er ist kein passiv geduldiger Trottel.

2647
Viele Paare stehen sprachlos vor ihrer Ehe, die Lage spitzt sich zu, aber gleichzeitig breitet sich Abstumpfung aus. So leiden Menschen treu, bis der Tod sie scheidet.

2648
Der immer wieder propagierte Weltuntergang beginnt nun mit der systematischen Vernichtung der Privatsphäre.

2649
Das „Du“ in der Geschäftswelt birgt nötigenden Charakter, fesselt in oberflächlicher Vertrautheit an kumpelhafte Loyalität. Das „Sie“ schafft verbindlichen Abstand, freies Augenmaß und rückt das Verhandlungsobjekt, nicht die Partner, ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

2650
Man mäkelt nicht an Gott, nicht am Amt, man kratzt nicht am Denkmal. Man folgt der Fahne im Wind. Oder man lebt ganz schnell, beinahe unverhofft, im Exil. Mitten im Dorf, im Zentrum der Stadt. Eben außerhalb.

2651
Ein aufrichtiges Doppelleben! Schon einmal darüber nachgedacht? Man muss es können, man muss es mögen. Dann hält es, was es verspricht.

2652
Was Musik aus einfältigsten Texten zaubert, lässt sich nicht oft genug besingen.

2653
Angsterzeugung avanciert zum alternativlosen Verblödungsprinzip in den Hauptstädten, in den Kathedralen, in den Hochschulen, Altenheimen und Kindergärten, beim Wetter, beim Essen, beim Reisen und Schlafen, beim Einkaufen, Hausbau, im Wald und auf der Heide. Man scheißt sich ein.
Angst, man betet dich an!

2654
Im Schreiben entfaltet sich Hoffnung, findet sich Trost, ermutigt sich Selbstbehauptung, die Freiheit gießt sich ein Fundament. In wahrhaft freiheitlicher Gesinnung der deutlich gepflegten Sprache im Schreiben Form und Ausdruck zu geben, das ist Leben! 


Copyright: Raymond Walden,  www.raymond-walden.blogspot.de


Sonntag, 16. August 2015

Göttliche Morbidität



Ein Gastbeitrag von Eduardo Sanguinetti, Argentinien.
Mit freundlicher Genehmigung von „Contemporary Literary Horizon

Eduardo Sanguinetti ist Publizist, Dichter, Schauspieler, Philosoph und ein ziviler Aktivist aus Buenos Aires, Argentinien. Mit seinem moralistischen Profil fügt er sich ein in die helle Galerie der absoluten Sucher und Widerstand leistenden Menschen, die ständig im Widerspruch stehen gegen die Langweiligkeit, die Trivialität und die Mittelmäßigkeit des alltäglichen Lebens. Er ist seit 2010 Mitarbeiter und Freund des Magazins „Contemporary Literary Horizon“.     
Daniel Dragomirescu


Göttliche Morbidität

Man fühlt sich wie in der Mitte eines Flusses
mit dem Namen Nostalgie.
Ein Fluss voller Erinnerungen,
entstanden aus den Trümmerresten der Welt.
Erinnerungen an flüchtige Vogelschwärme,
welche ein anderes Mal erneut
die Nester bauen werden, die zerstört wurden.
Zerschmetterte Eierschalen,
Tiere mit umgedrehten Hälsen
und tote Augen, verloren im Raum.
Eine Welt verstümmelter Hoffnungen
und erstickter Triebe.
Eine Welt, in der man schmuggeln muss,
um den warmen Atem des Lebens zu spüren,
wo die Währung sich ändert
für einen Flecken Land,
für einen Schatten von Freiheit.
Alles vermischt sich zu einem Einheitsbrei,
den man wie ein geschmackloses sakramentales Brot schluckt.
Jeder Bissen
symbolisiert fünf Millionen Jahre Trauer,
fünf Millionen Jahre Asche und
zersplitterte Eierschalen.
Von der ganzen Tiefe der Grube des menschlichen Herzens
kommt das Echo schmerzvoller Noten des Vergessens.
Sie bauen weiterhin große, hochfliegende Städte.
Sie schuften ohne jeden Zweck.
Sie hören nicht auf, in ihren gewöhnlich traumlosen Nächten zu schlafen.
Unter solchen Bedingungen schreiten wir voran,
es lebt eine andere menschliche Rasse.
Ihre Leute sind großartig, traurig, leidenschaftlich.
Sie gehen ihren Weg ins Innerste der Erde.
Sie warten in furchtsamer Geduld.
Sie sind die Rächer der Bedeutungslosen.
Sie werden sich erheben, wenn alles zerfällt
und sich in Staub auflöst.

Übersetzung aus dem Englischen: Raymond Walden


Morbi Dei

Te sientas en medio de un río

llamado Nostalgia.
Un río lleno de recuerdos
recogidos entre los restos del naufragio del mundo.
Recuerdos de bandadas de pájaros fugitivos
que construyeron una y otra vez
nidos que fueron destruidos,
cáscaras de huevo aplastadas,
animales con el cuello retorcido
y ojos muertos clavados en el espacio.
Un mundo de esperanzas mutiladas,
de aspiraciones sofocadas.
Un mundo
en que hasta el cálido hálito de la vida
tiene que transitar de contrabando,
en que se cambia moneda,
por un metro de espacio,
por un poco de libertad.
Todo se combina en un paté-familiar,
que se traga en una hostia sin gusto.
En cada bocado,
van cinco mil años de amargura,
cinco mil años de cenizas,
de cáscaras de huevo aplastadas.
En el profundo sótano del corazón del hombre,
suenan dolorosas notas de olvido.
Sigan construyendo ciudades enormes y elevadas.
Sigan trabajando sin saber para qué.
No dejen de dormir ni una
de sus acostumbradas noches sin sueños.
Por debajo de esta tierra que pisamos,
vive otra raza de hombres.
Son grandes, sombríos, apasionados.
Se abren paso hasta las entrañas de la tierra.
Esperan con una paciencia aterradora.
Son los vengadores de lo sin sentido.
Van a emerger cuando todo se venga abajo
y quede reducido a polvo.


Perfile cultural

     Eduardo Sanguinetti es un periodista, poeta, actor, filósofo y activista civico desde Buenos Aires, Argentina. Como perfile moral, Eduardo Sanguinetti es situado en la brillante categoría de los buscadores de absoluto y de los hombres revoltados, siempre contradichos por el prosaísmo, la trivialidad y la mediocridad  de la vida cotidiana. Es un colaborador y amigo de la revista intercultural “Horizonte literario contemporáneo” desde 2010.



Morbi Dei 

You feel like in the middle of a river

called Nostalgia.
A river filled with memories
picked  from the world wreck’s
remains.
 Memories of fugitive birds’ flocks
which will, another time, make again
the nests that have been destroyed,
crashed egg-shells,
head-wrung animals
and dead eyes lost in space.
A world of mutilated hopes,
of smothered urges.
A world
where, until the warm breath of life,
you have to smuggle,
where the currency changes
for a patch of ground,
for a shadow of freedom.
Everything blends into a universal soup
which you swallow like a tasteless Sacramental bread.
Each bite
holds five million years of sorrow,
five million years of ashes
of crashed egg-shells.
Throughout the human heart’s deep cave
painful notes of oblivion resound.
They keep on building big, soaring towns.
They keep on toiling without any purpose.
They don’t give up sleeping in any
of their ordinary dreamless nights.
Under this ground we step on,
another human race lives.
Its people are great, sombre, passionate.
They make their way up to the earth’s inmost depth.
They wait with a fearsome patience.
They are the avengers of the meaningless one.
They will rise when everything wrecks
and turns into dust.

(from Morbi Dei, 1985,
Ed. Corregidor, Buenos Aires)


Cultural Profile

     Eduardo Sanguinetti is a publicist, a poet, an actor, a philosopher and a civil activist that comes from  Buenos Aires, Argentina. With his moral profile, he fits the bright gallery of the absolute seekers and rebellious men who are constantly contradicted by the prosaicness, the triviality and the mediocrity of the everyday life. He is a collaborator and a friend of “Contemporary Literary Horizon” since 2010.

Daniel Dragomirescu
Traducere în limba engleză de
Iulia-Andreea Anghel
Universitatea din Bucureşti


Freitag, 14. August 2015

Gruß aus dem Exil


Euer Ehren, Euer Gnaden, Euer Durchlaucht,
Eure Heiligkeit!
Umgeben seid Ihr von Moralaposteln, Tugendwächtern,
von Hofschranzen und Mastdarmwürmern,
von Vorauseilenden und Nachhinkenden,
von Sittenstrengen und Prüden,
von Blutrünstigen und Drahtziehern.

Eure Gewänder vertuschen Eure körperlichen Merkwürdigkeiten,
eigentlich Eure Körperfeindlichkeit
und gleichzeitig die eigene Mimosenhaftigkeit.

Euer Auftreten in Selbstherrlichkeit krönt sich in „Unfehlbarkeit“.

Die Frage, wes  Geistes Kind Ihr seid, erübrigt sich.
Ihr habt keinen Vater, und Eure Mutter ist die Geistlosigkeit,
die Ihr freilich sogar als „Jungfrau“ verehrt.
Das versteht Ihr nicht einmal selbst,
aber es rekelt sich so vorteilhaft ohne Verstand.

Und das in jedem Land,
in allen Systemen und Gesellschaftsordnungen.

Es ist zum Erbarmen!
Doch Ihr verdient es nicht.
Rache? – Sie liegt uns fern.
Wir sind nicht Euresgleichen!



Montag, 10. August 2015

Und Gott ward Geschichte


Man schaue auf die Welt
und erkenne,
was für ein „Gott“  das wäre,
wenn er denn wäre.

Man betrachte den Menschen
als „Gottes Ebenbild“,
das er zweifellos darstellt,
aber eben nur ein Bild,
wenn er solchen Spuk glaubt.

Der Mensch könnte ganz anders
in spukfreier Humanitas,
in aufgeräumter Intelligenz,
in freiheitlicher Authentizität
und respektvoller Individualität.

Man muss ihn aufmuntern, ihm beistehen,
ihn ermutigen,
ihn das Denken lehren
von früher Jugend an.

Denn Liebe glaubt nicht;
sie will wissen.
Irrtümer verzeiht sie in fundamental
guter Absicht gegenüber dem Menschen.

Und „Gott“ ward Geschichte.



Freitag, 7. August 2015

French Assences


No, France,
this was not love at first glance.
We met at the time in 1959,
your tricolour flew over the garrison in Donaueschingen, southern Germany
and I lived opposite in a refugee home.
Till then I had been acquainted with Russians only as occupying power.

Ten years later, France,
a study-trip took me to you,
to your richness of culture and nature.
In Paris a word of anti-German contempt came over,
it was the one and only time, then never again.
And, France,
it took but quite a few years,
then we met again and again.
You were friendly, charming, open-minded,
perhaps a little careless, yet full of civilization,
so skillfully living, although ever prepared for strikes
and full of social burdens.

I am ashamed, France,
having not learned your language.
You made it quite easy for me
to succeed in English, recently in German, too.
And when serious difficulties came along,
at the doctor’s, for example, or at the police-station,
after some experiences of trickery,
helpful people were present.
But I feel easier, France,
not to understand the endless advertisings in the media
and the many schmaltzy songs.
By the way, in Germany I am in the same situation
when mainly English popsongs
don’t reach the brain so intensely as the
newly increasing German “pseudo-philosophies”.

Your politicians, France, from Paris
evade  my detailed interests as the German ones from Berlin.
But I appreciate the seal on the friendship between
Germany and France as the greatest issue
that politics achieved ever.
Let us, France, never doubt on that.

Your historical heritage, France,
Liberté, Egalité, Fraternité,
was drenched in blood after the revolution,
it also is not convenient with your national anthem
and not at all with your Foreign Legion.
But the realisation of the Enlightenment, France,
is our joint project
for a humanity
which could take the Franco-German reconciliation
as an example to follow.
Verdun is a reminder.
Your big cathedrals, France,
like the small mouldy and poor churches prove,
as the German minsters and the state-funded churches of this country,
the unsuitability for preventing wars.
They are museums with partially fascinating architecture.

What is significant about the different names of the Alsation “Sauerkraut” or “choucroute”?
The River Rhine is connecting and is passing by as a frontier of yesterday.
Your way-laying, France, on your motorways can be forgiven
as you offer clear infrastructures and free relaxing quality of travelling.

I cannot claim, France,
that I am really knowing you.
Again and again I felt drawn to your coasts,
I climbed up your huge dune of Le Pilat,
the beaches of St. Tropéz are familiar to me.
From Mont Ventoux I peered into the Provence,
many places there I have visited not only once.
I walked in Vincent van Gogh’s tracks in Saint-Remy,
Paul Cesanne’s in Aix-en-Provence,
Pierre-August Renoir’s in Cagnes sur Mer.
On Nietzsche’s Path I ascended to Èze,
and often on long journeys, my stopover destination
is Denis Diderot’s morbid rock town of Langres.

The Roussillon with its Cathare castles, the Pre-Pyrenees and the 
coasts around Argeles sur Mer with their famous tourist magnets
seem to me like a second home.
I am enjoying here southern lifestyle and I relax
at the thundering sea surf or at quiet water surface
when I swim towards the rising sun.

I paid a visit to the ancient “human” of Tautavel,
once again I met Pablo Picasso in Ceret,
I was inspired by Carcasson and, totally up to date,
I had a picnic at the solar furnace in Font-Romeu.
I bathed in the River Tarn under steep canyon walls,
was impressed by Pont d’Arc in the Ardeche-Gorges,
and I went sightseeing along the terrific Verdon Canyon.

Your markets, France, your brocantes everywhere
as well as the international audiences
are offering a permanent flair à la perfume from Grasse
or better: an aroma of the mediteranian ocean of fruit.
There is one bitter pill: The bloody bullfight in Arles
touched me intensely and made me doubt reason of mankind.
But even your contradictions, France, don’t reduce your attractiveness.

You should be lenient because
I have appropriated you simply by thought.
When I come along inconsistencies in Germany,
I look at you, but in no way I am finding suitable answers
as I don’t only verify “living it out” with you
but I recognize much of conflict,
thinking of your suburbs, of your nationalism, militarism
and some esoteric aberration or of the exemplary
decadence at the Cote d’Azur.

To me you are important as a European root,
different from Germany in her American vassal relations
which are not perceived by most of the Germans
and also of the other Europeans.
Your way through history to the present seems to me
somewhat straighter than the German odysseys.
But concerning your petty burgeois identity,
there might be many international similarities and,
in cosmonomic sense, also insufficiencies.

Your advantage for me:
I am not living there every day, I am always a traveller,
a straying caravan vagabond
who values the uncomplicated contacts with all sorts of people,
but also, with some exceptions, appreciates the certain
non-binding nature of a maintaining distance at any time.

At all times I like to come back to Germany,
just for engaging myself with you, France, again,
and be it only via the German-French TV channel “arte”.

No, France,
I am not addicted to you,
therefor I’ve visited many other countries also.

I am concerned for a true identity of values.
This doesn’t exist in dictatorships, oligarchies,
monarchies and theocraties,
it consists of a republican individual authenticity
of which previously modest but serious easiness
is wearing particularly your colours, France.



Samstag, 1. August 2015

Sequenzen von Skepsis (208)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

2629
Die eine Sonne geht für alle Menschen anders auf und unter, am ganz persönlichen Horizont.

2630
Wenn Lebenslast die Lust des Lebens verdrängt, mag Weisheit willkommene Erleichterungen finden.

2631
Am aufgeklarten Himmel der Aufklärung gibt es an einer weisen Tafel die köstliche geistige Nahrung von Logik, Kausalität und Einfühlsamkeit.

2632
Zu schnell wird Bosheit unterstellt, da man die soziale Vorgeschichte nicht kennt, die eigentliche Gefangenschaft im Geiste vielleicht sogar teilt.

2633
Man unterschätze nie die rohe Primitivität und die Bildungsresistenz des Interimsmenschen, fürchte allgegenwärtig seinen Glauben wie die Verlogenheit in seiner unreflektierten Bewusstseinsspaltung.

2634
Einen Satz, oh Autor, pro Tag zugunsten von aufgeklärter Freiheitlichkeit sollte dir deine Unabhängigkeit schon wert sein.

2635
Schönheit erklärt sich subjektiv, nicht so selten aus gegenteiligem Erleben und neigt euphorisch zum Absoluten, das schwärmerischen Ursprung hat und ganz hässlich ins Leben eingreift.

2636
Am Ende ist Schluss, letztendlich
final, total, real!
Kein Dacapo, kein Neuanfang und
– welche Freiheit –
keine Endlosigkeit in Ewigkeit.
Sic!

2637
Das Herz eines Staates ist seine Infrastruktur.

2638
Der Mensch könnte Ängste abbauen, lindern, verhindern, doch fehlt es fast immer an Mut.

2639
Die Geduld des Meeres zermahlt den härtesten Stein, doch allgegenwärtige Gravitation backt aus den Sandablagerungen neues Gestein. Stagnation ist wohl sehr relativ.

2640
Auch freiheitliche Aphorismen werden ungeniert ideologisch und spiritistisch vereinnahmt, denn die überragende Dummheit versteht weder den Autor noch sein Anliegen.

2641
Global gipfelt Dummheit in Realpolitik.

2642
Um des Friedens Willen sagt man nicht alles, manchmal gar nichts – und schon gar nicht jedem kann man Wahrheit zumuten.

2643
Realpolitik bestreitet, in doppelter Bedeutung, den Verrat der Menschlichkeit, die Missachtung der Menschenwürde und die Verletzung der Menschenrechte. 


Copyright:  Raymond Walden,  www.raymond-walden.blogspot.de 


Montag, 27. Juli 2015

Ein gewaltiger Dialog


„Ein neuer Mensch!“

„Wer?“

„Ein neuer Mensch wäre nötig.“

„Gibt es nicht genug Menschen?“

„Nicht ein weiterer; der neue Mensch ...“

„Wer soll das sein ... oder was?“

„Auf jeden Fall ein anderer als bisher.“

„Wer ist denn der bisherige ... oder was?“

„Kein Mensch. Oder zu wenig Mensch.“

„Ab wann ist man genug Mensch?“

„Vielleicht ein bisschen, wenn man das Defizit erkennt.“

„Woran?“

„An Gewalt, Blut und Krieg, an Ausbeutung und Sklaverei.“

„Dann gibt es keinen Menschen!“

„Doch! Ein paar Exemplare sind immer unterwegs.“

„Wo?“

„Auf einem langen Weg.“

„Werden sie ihr Ziel je erreichen?“

„Wenn sie sich auf ein Ziel einigen.“

„So wäre das Ziel ihr Merkmal?“

„Zweifellos. Ein Gütezeichen.“

„Alle quasi im Gleichschritt?“

„Keineswegs! Jeder in seiner individuellen Identität.“

„Wird es erkannt werden, das Merkmal als Ziel?“

„Die Masse erkennt nicht. Sie ist nicht der Mensch.“

„Also wird es keinen Frieden geben?“

„Nicht ohne den neuen Menschen ... auf seinem langen Weg ... zum einigen Ziel, zur Menschlichkeit.“

„Und diese säuselt nichts von entschuldbarer Fehlbarkeit, sondern besteht in ehrbarer Gewaltlosigkeit?“

„Ihre Macht ist Gewaltlosigkeit. Der neue Mensch wird mächtig sein, mächtiger als alles Bisherige.“

„Allmächtig gar?“

„Niemals. Denn Allmacht ist ein unmenschliches Hirngespinst der Gewalt. Menschlichkeit maßt sich keine Allmacht an, nicht einmal die Interpretation einer derartigen Täuschung!

„Könnte er wirklich kommen, der neue Mensch?“

„Ich bin skeptisch. Aber was bleibt uns sonst? – Vielleicht nur sein unerreichtes Ziel.“



Samstag, 25. Juli 2015

Der Kompromiss als Verstärkung des Dilemmas


Regionale Denkstrukturen unterbinden globale Menschlichkeit

 Der moderne Massenmensch, nach meiner Definition der „Interimsmensch“, besitzt kaum eine eigene Denkstruktur, er verlangt, wenngleich mehr oder weniger unbewusst, nach Fremdstrukturierung durch Traditionen und Indoktrinationen, die beide durch Massenmedien und Realisierungen von Konsum- und Verhaltenszwängen „nach bestem Wissen und Gewissen“ ausgelebt werden.
Das geschieht jedoch nicht ohne ein gehöriges Maß an Schuldbewusstsein wegen der so lebensbedingten Verstöße gegen gepredigte Sonntagsprinzipien, welche die herrschenden Klassen überall auf dem Globus im Sattel halten.

Man denkt – wenn überhaupt – regional aufgrund mangelnder Kenntnisse und Bildung, man versteht andere Kulturen nicht, weil sie sich vor allem in ihren kriegerischen Potenzialen so deprimierend ähnlich, das heißt gegeneinander gefährlich sind.
Die Menschheit leidet immer gravierender unter dem Dilemma einer technologisch um sich greifenden Globalisierung, während es eine globale geistige Aufklärung nicht gibt. „Aufklärung“ entstand im Abendland unter ganz spezifischen philosophischen Voraussetzungen und Gegebenheiten, die zwar globale Gültigkeit ableiten mögen, weil ja auch die technologisch-wissenschaftlichen Errungenschaften des Okzidents universal anerkannte werden (im Falle von Naturgesetzen anerkannt werden müssen), die aber milliardenfach auf psychologischen Widerspruch und Nichtakzeptanz stoßen.
Es ist die Rede von Werten, die woanders mit Selbstverständlichkeit als Unwerte verurteilt werden. Solche Unverträglichkeiten münden zwangsläufig in Konfliktanhäufungen, denen keine verbindliche „Welt-Ethik“ Einhalt gebieten kann, weil es auch sie in Ermangelung der Aufklärung nicht gibt. Religionen dienen in dem Szenario wie eh und je lediglich der Interessenspaltung mit allerdings vernichtenderer Bewaffnung als zuvor.
Die Aufrüstung der Kontrahenten erfolgt skurrilerweise nicht selten mit dem ideologischen Gegner in „gemeinsamen“ Geschäfts- und Stabilitätsinteressen.
Kalter Krieg und Stellvertreterkriege scheinen vielen Entscheidungsträgern nicht nur unvermeidlich, sondern in ihrer Unweisheit schlussendlich sogar anstrebbar.

Keine Weltanschauung, welche auch immer, kann die Augen davor verschließen, dass die kleinen, besonders aber die großen Macht- und Ballungszentren jeweils ihre Positionen als „unumstößlich“ überbewerten, sich gar nicht der Mühe unterziehen, eine globale Philosophie zu entwickeln. Unter Globalisierung verstehen diese durchweg kleinkarierten „Macher“ stets die eigene Hegemonie, für deren Durchsetzung jedes Opfer und jedes Verbrechen gegen die Menschlichkeit als gerechtfertigte Tugend pervertiert wird.
Schachereien zwischen den unversöhnlichen Selbstverständnissen werden üblicherweise als diplomatische Kompromisse  gepriesen, weil ja sonst „überhaupt nichts ginge“. Was da wirklich vor sich geht, beinhaltet – auf die gesamte Weltszene bezogen – kurzfristige Milliardengeschäfte für die Kapitalisten und für die Politstrategen Stabilisierungen der etablierten oder geplanten Unrechtssysteme.

Derartige Machteskalationen richten sich direkt gegen das menschliche Individuum; es wird wie in antiken Schlachtordnungen zum Interessen- und Kriegsmaterial, zum Verheizen erzogen und gezwungen.
Über den desaströsen Gesamtzustand mögen in einigen Erdregionen Wolkenkratzer, Autobahnen, Flughäfen und andere neuzeitliche Infrastrukturen hinwegtäuschen, sie spiegeln aber umso drastischer den Konkurrenzkampf der Systeme wider.

Auf dieser Basis kann es keinen Frieden geben, außer der begrenzten, taktierenden Waffenruhe. Damit ist und bleibt der Krieg das unausweichliche Schicksal der Menschen, wie er es während der gesamten Menschheitsgeschichte blutig und grausam als Ergebnis beschränkter Hirnfunktionen prägt.
Die Primitivität lebt von Verbrüderungen gegen traditionelle und immer wieder neu definierte Feindbilder, in einem Patriotismus, der sich auch und nunmehr vor allem gegen eine freiheitliche Welt- und Werteordnung richtet.
Niemand sollte sich der Träumerei verschreiben, Religionen könnten, etwa durch Revolutionen, abgelegt werden. Die Göttermärchen bildeten sich über Generationen, Jahrhunderte, sogar Jahrtausende hinweg. Lösten sie sich plötzlich auf, fiele der Interimsmensch in orientierungslose Ratlosigkeit.
Es ist aber höchste Zeit für eine götterfreie und auch esoterikfreie Menschheitsphilosophie. Sie kann sich zunächst nur im Kontext aufgeklärter Menschen aus allen Teilen der Welt herausschälen. Ich denke dabei konkret an die im Kosmonomischen Manifest beschriebenen Ansätze.
Diese stellen aber logischerweise für alle Religiösen und für andere Doktrinentreue eine beängstigende Gefahr dar, der sie sich bis auf Weiteres mit aller Gewalt erwehren.
Unter der entschiedenen Ablehnung kann sich eine freiheitlich demokratische Welt-Ethik nur parallel zu den bestehenden Dogmen-Systemen entwickeln und nur durch Gewaltfreiheit in der Sache des Friedens und Rechts, der Lebensförderung statt der gängigen Lebenszerstörungen überzeugen.
Auch so ein Prozess wird Generationen benötigen. Erschwerend kommt hinzu, dass er über keine staats- oder religionsähnliche Organisationsstruktur verfügt. Die UNO käme unter Umständen dereinst infrage, bleibt jedoch für einen Fortschritt völlig bedeutungslos, solange die mächtigen Ideologie-Kartelle mit Veto-Rechten die Stagnation im untauglichen Staus quo garantieren.

Es ist richtig, dass die sogenannte Realpolitik auch immer wieder den faulen Kompromiss suchen muss – als Interimslösungen, die nichts mit einer Weltverbesserung im realen Verständnis zu tun haben, sondern mit der aktuellen Verwaltung der dümmlichen Animositäten und Eifersüchteleien im Regionalen und des Chaos der Welt.
Ehrliche Kompromisse setzen ehrenhafte Partner auf Augenhöhe voraus, wie sie etwa in praktizierter Demokratie um das Gemeinwohl ringen.
Von diesem Ideal entfernt sich jedoch die Menschheit, sie überlässt die Macht, kritikloser denn je, dem Kapital, das sogar ehemalige kommunistische Erzfeinde korrumpiert.

Der Versuch, kosmonomische, global geltende Menschlichkeitswerte zu entwickeln, um sie später vielleicht institutionalisieren zu können, bedeutet, dass die philosophische Denkrichtung nicht im Fatalismus resigniert.
Sie erkennt aber ihre gegenwärtige Chancenlosigkeit, weil sie
  1. noch nicht detailliert ausgereift ist und
  2. den Wettlauf mit dem immanenten Zerstörungswahn der Realpolitik gar nicht gewinnen könnte, denn sie agiert in einer völlig anderen, von Realpolitikern unverstandenen Disziplin.

Im ungünstigsten Falle bereitet kosmonomische Philosophie die Verständigungsbasis einer nach der Selbstzerstörung der Massenmenschheit post-chaotischen völlig neuen Wertegemeinschaft vor.



Dienstag, 21. Juli 2015

Französische Essenzen


Nein, Frankreich,
es war keine Liebe auf den ersten Blick.
Wir begegneten uns damals 1959,
deine Trikolore wehte über der Kaserne im süddeutschen Donaueschingen
und ich lebte gegenüber in einem Flüchtlingsheim.
Bisher waren mir nur Russen als Besatzungsmacht vertraut gewesen.

Zehn Jahre später, Frankreich,
führte mich eine Studienfahrt zu dir,
zu deinen Reichtümern an Kultur und Natur.
In Paris fiel ein Wort deutscher Verachtung;
es war das einzige Mal, danach nie wieder.
Und, Frankreich,
es dauerte zwar etliche Jahre,
dann aber sah ich dich immer wieder,
freundlich, liebenswürdig, aufgeschlossen,
vielleicht etwas nachlässig, doch voller Zivilisation,
so gekonnt lebend, obschon voller Streikbereitschaft
und sozialer Bürden.

Ich schäme mich, Frankreich,
deine Sprache nicht gelernt zu haben.
Du machtest es mir etwas einfach,
überall mit Englisch, neuerdings auch auf Deutsch durchzukommen.
Und wenn es wirklich einmal hakte,
beim Arzt beispielsweise oder bei der Polizei
nach erlittenen Gaunereien,
waren hilfreiche Menschen zugegen.
Es ist mir aber leichter, Frankreich,
die endlosen Werbeschaltungen in den Medien und
manchen Schnulzengesang nicht zu verstehen.
Übrigens geht es mir ähnlich in Deutschland,
wenn die vorwiegend englischen Popsongs
nicht so ins Gehirn drängen wie die neu zunehmend
deutschen „Pseudophilosophien“.

Deine Pariser Politiker, Frankreich,
entziehen sich meinem detaillierten Interesse so
wie auch die deutschen in Berlin.
Die deutsch-französische Freundschaftsbesiegelung aber
schätze ich als das Größte,
das Politik je leistete.
Lass’ uns, Frankreich, nie daran zweifeln.

Dein historisches Erbe, Frankreich,
Liberté, Egalité, Fraternité,
wurde nach der Revolution in Blut gebadet,
passt auch nicht zum Text deiner Nationalhymne,
schon gar nicht zu deiner Fremdenlegion.
Die Verwirklichung aber von Aufklärung, Frankreich,
ist unser gemeinsames Projekt
für eine Menschheit,
die sich ein Beispiel an der französisch-deutschen Aussöhnung
nehmen könnte.
Verdun mahnt uns alle.
Deine großen Kathedralen, Frankreich,
wie deine kleinen muffig ärmlichen Kirchen
belegen wie die deutschen Dome und die staatlich geförderten
Kirchen dieses Landes die Untauglichkeit zur Kriegsverhinderung.
Es sind Museen mit zum Teil faszinierender Architektur.

Welche Rolle spielt es, ob das Elsässer „Sauerkraut“ so
oder „choucroute“ heißt?
Der Rhein verbindet und verfließt als gestrige Grenze.
Deine Wegelagerei, Frankreich, auf deinen Autobahnen sei dir verziehen,
bietest du doch klare Infrastruktur und freie, entspannte Reisequalität.

Ich kann nicht beanspruchen, Frankreich,
dich zu kennen.
Immer wieder zog es mich an deine Küsten,
deine große Pilat-Düne habe ich erklommen,
die Strände von St. Tropéz sind mir vertraut.
Vom Mt. Ventoux spähte ich über die Provence,
viele Orte dort habe ich nicht nur einmal besucht.
Vincent van Goghs Spuren folgte ich in Saint-Rémy,
Paul Cezannes in Aix-en-Provence,
Pierre-August Renoirs in Cagnes sur Mer.
Auf dem Nietzsche Weg stieg ich hinauf nach Èze,
Denis Diderots morbide Felsenstadt Langres
dient mir oft als Etappenziel auf langen Reisen.

Das Roussillon mit seinen Katharer-Burgen, die Vor-Pyrenäen und die 
Küsten um Argeles sur Mer mit ihren berühmten Touristen-Magneten
wurden mir wie eine zweite Heimat.
Hier genieße ich das südliche Leben, spanne aus bei
donnernder Meeresbrandung oder bei stillem Wasserspiegel,
wenn ich etwa dem Sonnenaufgang entgegenschwimme.

Dem uralten „Menschen“ von Tautavel machte ich meine Aufwartung,
Pablo Picasso traf ich wieder einmal in Ceret.
Carcasson inspirierte mich, und, völlig in der Neuzeit,
hatte ich ein Picknick am Sonnenofen von Font-Romeu.
Ich badete im Tarn an steiler Schluchtenwand, stand beeindruckt
am  Pont d’Arc in der Ardeche-Schlucht
und besichtigte das grandiose Canyon von Verdon.

Deine Märkte, Frankreich, deine Brocantes überall,
auch das internationale Publikum,
geben ein permanentes Flair à la Parfüm aus Grasse
oder besser: aus dem Duft des mediteranen Früchtemeers.

Einen Wermutstropfen muss ich vergießen: Der blutige Stierkampf in Arles hat mich am Verstand der Menschen besonders berührt zweifeln lassen.
Aber sogar deine Widersprüchlichkeiten, Frankreich, mindern nicht deine Attraktivität.

Ich habe dich, du solltest nachsichtig sein,
einfach in Gedanken vereinnahmt.
Wenn mir in Deutschland Ungereimtheiten aufstoßen,
blicke ich auf dich, finde aber keineswegs geeignete Antworten,
denn in dir erkenne ich nicht nur „leben wie Gott“,
sondern viel Zwiespalt, denke ich an die Vorstädte, an
deinen Nationalismus, Militarismus und
manche esoterische Verirrung oder auch
an die exemplarische Dekadenz  an der Cote d’Azur.

Du bist mir wichtig als europäische Wurzel,
anders als Deutschland in seiner amerikanischen Vasallenschaft,
die von den meisten Deutschen und auch anderen Europäern
nicht vergegenwärtigt wird.
Mir scheint dein Weg durch die Geschichte etwas geradliniger als
die deutschen Irrfahrten zur Gegenwart,
aber was die kleinbürgerliche Identität betrifft,
gibt es wohl viele internationale Ähnlichkeiten und
im kosmonomischen Sinne Unzulänglichkeiten.

Dein Vorzug für mich:
Ich lebe nicht alltäglich in dir, sondern bin immer ein Reisender,
ein vagabundierender Wohnwagenfahrer,
der die unkomplizierten Kontakte zu allen möglichen Menschen schätzt,
der sich aber, bis auf wenige Ausnahmen, auch der gewissen
Unverbindlichkeit im jederzeit einhaltbaren Abstand erfreut.

Stets kehre ich gerne nach Deutschland zurück,
um mich bald erneut auf dich, Frankreich, einzulassen, und sei es
über den deutsch-französischen Fernsehkanal „arte“.

Nein, Frankreich,
ich bin nicht süchtig nach dir,
dazu sah ich viele andere Länder auch.

Ich sorge mich um eine ehrliche Werte-Identität.
Sie besteht nicht in Diktaturen, Oligarchien, Monarchien
und Gottesstaaten, sondern
in republikanischer Authentizität des Individuums,
deren bisher bescheidene, aber seriöse Leichtigkeit
deine Farben, Frankreich, besonders trägt.