Februar
2001
Für
viele Lebenssituationen erweist sich eine Grundhaltung als
vorteilhaft, die aber von gar nicht so vielen Menschen an den Tag
gelegt wird: Gelassenheit.
Die
gelassene Verhaltensweise dient vor allem dem eigenen Schutz vor
Überreaktionen, also vor übereiltem und dadurch vielleicht auch
falschem Handeln und möglicherweise sogar vor Energieverschwendung
für gar nicht so wichtige Angelegenheiten. Gelassenheit verschafft
Zeitgewinn, Abstand zum Problem und dadurch oft auch besseren
Überblick, alles Kriterien für die Überlegenheit im Streitfalle
oder die Souveränität in der alltäglichen Arbeitsbewältigung. Es
handelt sich folglich nicht um eine Verdrängungsmentalität, dass
man aus verschiedensten Gründen Entscheidungen einfach aus dem Wege
gehen möchte, sondern sogar um das Gegenteil. Der gelassene Mensch
ist in der Regel engagiert, verfügt über kein geringes Maß an
Kenntnissen und ist bemüht, gerade auch in konkreten Fällen etwaige
Wissenslücken aufzufüllen, ehe er zu einem Entschluss gelangt.
Dabei kommt ihm zugute, dass er aus früheren gelassen bereinigten
Situationen ein Fundament an Selbstsicherheit gegossen hat, das sich
mit jeder neu gemeisterten Situation nur noch stabilisieren kann.
Kaum
jemand kommt als gelassener Mensch auf die Welt; für die meisten ist
Gelassenheit eine bewusst herbeigeführte Verhaltensweise, die geübt
werden möchte und zudem auch von der nervlichen Konstitution
abhängt. Je reicher der Erfahrungsschatz im Leben, desto leichter
mag Gelassenheit zu verwirklichen sein. Aber auch Gesichtspunkte
außerhalb des bisher Erfahrenen lassen sich bis zu einem gewissen
Grade üben, indem man sich immer wieder Situationen vorstellt, in
die man unvermittelt zu jeder Zeit geraten könnte.
Wie
würde ich mich zum Beispiel verhalten, wenn ich genau in diesem
Moment einen Schwächeanfall erlitte, wenn der Mensch neben mir
stürbe, wenn nach der nächsten Straßenkurve ein Hindernis
auftauchte. Dabei soll keineswegs ein fortwährendes imaginäres
Krisenmanagement ablaufen, sondern lediglich eine Art von
Vertrautheit mit Eventualitäten erzeugt werden. Wenn ich mir zum
Beispiel ungeschminkt bewusst bin, dass mein Leben jeder Zeit zu Ende
gehen kann, werde ich als Folge automatisch auch andere Gewichtungen
in meinen täglichen Rhythmen und meinen mittel- und langfristigen
Planungen vornehmen. Kurzfristiges Sichverschleißen wird eher als
nutzlos erkannt werden, übertriebene Eile spätestens im Nachhinein
meist überflüssig erscheinen. Im akuten Dringlichkeitsfall kann der
Gelassene zielsicherer und wirkungsvoller Maßnahmen ergreifen als
der nervlich Überlastete und Aufgeregte. Somit ist Gelassenheit für
alle Beteiligten von Vorteil und stellt eigentlich für jeden
Menschen eine innere Herausforderung dar, der man sich ruhig und
engagiert stellen sollte. Denn völlig abwegig wäre es, Gelassenheit
auf Desinteresse zu begründen.
©
Raymond Walden