Ich
weiß nicht, warum es mir in den Kopf gekommen war, dass ich
unbedingt die Kirche in Cioropina sehen musste, in dem südlichen
Dorf im Arges-Tal, das sich beidseits der Straße ausdehnte. Ich war
damals sechs oder sieben Jahre alt und es war Sommer.Ich konnte nicht
zu Fuß gehen, es war zu weit, aber ich hatte einen neuen Roller, den
mein Vater in Bukarest gekauft hatte, wo er gelegentlich geschäftlich
zu tun hatte.
Noch
wagte ich es nicht, mit meinem neuen Roller nach Cioropina zu fahren,
da ich den Weg nicht kannte und ich mich fürchtete, durch
gottverlassene Gegenden zu kommen und in Probleme zu geraten.
Vielleicht hätte ich ein paar Jahre des Heranwachsens abgewartet,
bis mir mein Vater ein Fahrrad gekauft hätte und ich den Weg besser
gekannt hätte, wenn nicht einer der Jungen der verrufenen Familie
Blendea mich überzeugt hätte, dass er selbst mich auf meiner
Pilgerfahrt zu dem oben genannten Dorf führen würde. Ich erinnere
mich nicht mehr an seinen Namen, was auch nicht wichtig ist, aber er
hatte sehnsüchtig meinen Roller betrachtet. Zufällig hatte er in
dem Dorf einige Verwandte, wahrscheinlich seine Großeltern
väterlicherseits. Ich kannte den Jungen vom Sehen, da er immer
unsere Straße entlang kam, ungekämmt und schmutzig, und ich wusste,
dass er das Jahr wiederholte. Der Junge war das speiüble Abbild der
Blendea Familie, aber das fand ich erst später heraus.
Er
bat mich um einen Leu, um eine Packung Zigaretten für seinen
Großvater in Cioropina kaufen zu können, und er warnte mich davor,
meinen Eltern ein Wort über unseren geplanten Ausflug zu sagen. Er
bestimmte ein Treffen am folgenden Morgen weiter abwärts auf der
Straße, nachdem mein Vater zur Arbeit gegangen wäre. Ich hatte
sicherzustellen, dass mich niemand beim Verlassen des Hauses sah, und
wenn ich nicht schweigen könnte, würde er mich nicht mitnehmen und
ich würde nicht diese große, wunderschöne Kirche voller
Heiligen-Gemälde in Cioropina sehen. Er ging in Richtung
Getränkeladen los, wo es auch Zigaretten gab, und ich stand an der
Türschwelle, bis der Blendea Junge aus meinem Blickfeld verschwand
und ich einigermaßen verwirrt war, ob ich ihm meinen Leu umsonst
gegeben hatte.
In
der Nacht dachte ich lange an die Expedition am nächsten Tag und
träumte von Rollern und farbigen Kirchen mit eintausendundeins
Heiligen, die es wert waren, aus der Nähe besichtigt zu werden und
auch dem Blendea Jungen einen Leu gegeben zu haben. Glücklicherweise
brach bald der Morgen an, mein Vater sprang auf sein Wrack eines
russischen Fahrrads und fuhr zur Arbeit. Auch ich schlich hinaus zu
meinem neuen Roller, der noch nach frischer Farbe roch, und fuhr in
die andere Richtung. Ich raste den Hügel hinab, als jagten mich
Dämonen und hinterließ Staubwolken.
Der
Blendea Junge hatte Wort gehalten: Er wartete mit seinen Säbelbeinen
auf mich an dem Getränkelanden und rauchte eine Zigarette. „Komm'
schon, wir sind spät dran! Warum kommst du so spät?“ beschimpfte
er mich schon von Ferne, dann warf er den Zigarettenstummel in einen
Straßengraben, sprang vor mich auf den Roller, ergriff die
Lenkstange und befahl mir, mich auf den Roller zu stellen, während
wir dem Mittag entgegensahen. Er stand mit beiden Füßen auf meinem
Roller, ich nur mit einem, um mit dem anderen zu treten.
Glücklicherweise war die Straße asphaltiert und der Roller fuhr wie
eine Draisine auf Schienen, obwohl der Blendea Junge die falsche
Position einnahm und mein Treten behinderte und mir die Sicht nahm.
Wir
verließen das Dorf, ohne dass ich es merkte, wir eilten durch
Cioacele und ich habe keine Ahnung, wie wir nach Cioropina kamen.
Irgendwie gelang es uns. Wir hielten nahe der Kirche an, welche gar
nicht die königliche Kathedrale darstellte und nicht einmal der
Dorobanti Kirche auf dem Hügel ähnelte, heruntergekommen, aber
voller Heiligen und altertümlichen Dingen war.
Neugierig
verließ ich den Roller, um den Platz nachdenklich zu betrachten, an
dem die Leute von Cioropina Gott verehrten. Der Blendea Junge, der
nicht wie ich die Kirche aus der Nähe sehen wollte und sich ziemlich
langweilte, blieb zurück am Straßenrand und ergriff wortlos den
Lenker. Er hatte sein Versprechen gehalten, mich hierher zu bringen
und sonst kümmerte ihn nichts mehr. Ich ging um die Kirche, zählte
die Heiligen-Gemälde an den Wänden, aber ich war nicht sehr
beeindruckt, wenigstens nicht so, wie ich es erwartet hatte. Die
Kirche in meinem Dorf war größer und erschien mir viel schöner.
Es
war nun fast Mittag. Während ich noch die Kirchenwände betrachtete
und versuchte den Wert der Heiligen-Gemälde zu würdigen, ließ mich
das Rattern von Rädern meinen Kopf wenden und ich sah, wie der
Blendea Junge mit meinem Roller davonfuhr. Ehe ich ein Wort äußern
und ihn fragen konnte, was er tue und wohin er fahre, hatte er schon
die Straße überquert und er fuhr mit meinem Roller durch das Tor
des Hauses seiner Großeltern und verschloss es fest hinter sich. Für
einige Augenblicke stand ich regungslos, da ich das nicht erwartet
hatte und nicht verstand, was geschah. Bisher hatte ich schon an die
sieben Roller gehabt, die ich kaputt gefahren hatte, aber noch nie
war mir einer von jemandem weggenommen worden, so war es mir nie in
den Sinn gekommen, dass dies möglich wäre.
Als
ich meine Gedanken wieder beieinander hatte, glaubte ich, der Blendea
Junge würde herauskommen und mir meinen Roller zurückgeben oder
mich in das Haus seiner Großeltern zum Mittagessen einladen. Eine
vergebliche Hoffnung, denn der miserable Junge kam nicht heraus. Nach
dem Betreten des Grundstücks seiner Großeltern ließ er meinen
Roller wie eine Trophäe in der Hofmitte stehen und stellte sich in
provokanter Weise auf, als wollte er sagen: Ich bin nun zu Hause und
dieser Roller gehört mir.“
Ich
überquerte die Straße und stand vor dem verschlossenen Tor. Der
Blendea Junge stand neben dem Roller wie ein Wächter und schaute
mich regungslos mit dem Blick einer Sphinx an unter einer
Mittagssonne, die auf uns beide niederbrannte. Er schaute mir direkt
in die Augen, ohne ein Wort zu sagen. Der Hof und das Haus seiner
Großeltern schienen verlassen und ich wartete vergebens, jemanden
herauskommen zu sehen. Ich wagte es nicht, diesen fremden Hof zu
betreten, denn ich fürchtete, ein Hund würde mich anspringen oder
sonst etwas würde passieren, und nach einigen Minuten hoffnungslosen
Wartens begann ich mit all meiner Kraft laut zu schreien. Der Blendea
Junge reagierte in keiner Weise. Er stand auf seinem Grund.
Unabhängig davon, ob er seinen Diebstahl beabsichtigt hatte oder
nicht, konnte man sehen, dass er meinen Roller behalten und
keineswegs zurückgeben wollte.
Inzwischen
erschien auf der zuvor verlassen wirkenden Allee eine Gruppe jüngerer
und älterer Frauen, die mich weinen hörten. Sie versammelten sich
um mich und fragten, was mir passiert sei. Unter Seufzern erzählte
ich ihnen meine Geschichte und zeigte auf den Blendea Jungen und
meinen Roller hinter dem Zaun.
Die
Frauen schienen durch das Geschehene tief betroffen und eine etwas
ältere und robustere von ihnen begann, den Jungen wegen seines
Betrugs zu beschwören, was außerdem augenscheinlich nicht weit von
seinen geschätzten Großeltern geschah, und dann zwangen ihn alle
Frauen mit einer Stimme, mir meinen Roller zurückzugeben. Aber der
Betrüger, der mich beschwindelt hatte, blieb hinter dem
verschlossenen Tor stehen und zeigte keine Absicht, seinen Verrat zu
gestehen und den Roller zurückzugeben. Keine Drohung veranlasste ihn
zu einem Rückzug.
Dann
ging die robuste Frau zu ihrem Haus und kam mit ihrem Sohn zurück,
einem älteren und stärkeren Jungen als der der Blendea Familie.
Zuerst versuchte er, das Tor zu öffnen, um den Roller zu holen, aber
da das Tor verriegelt war, sprang er über den Zaun. Auf der anderen
Seite nahm er ohne Widerstand des Blendea Jungen den Roller von dem
Ort, wohin er geworfen worden war. Er ging damit triumphierend durch
das Tor und brachte ihn mir zurück und prüfte, ob der Blendea Junge
ihn vielleicht beschädigt hätte.
Nun
konnte ich nach Hause fahren, aber die Frauen zeigten sich besorgt
und ließen mich nicht alleine heimkehren, denn sie fürchteten, der
Blendea Junge würde mich am Dorfausgang einholen und mir den Roller
erneut entwenden. Er war in Cioropina hinlänglich für seine
Missetaten bekannt. Sie baten den Jungen, der meinen Roller gerettet
hatte, mich nach Hause zu bringen, und wir fuhren sofort los. Als wir
das Dorf verließen, zeigte er mir in einer Straßenkurve mehrere
Hintergärten, von wo aus der Blendea Junge meinen Weg hätte
abkürzen können, und er erzählte mir von früheren Untaten, die im
Dorf bekannt waren. Wir passierten die verflixte Stelle ohne
Zwischenfall, da sich der Junge nicht zeigte, es vielleicht nicht
wollte, wenn er uns irgendwo versteckt nachspionierte, es aber
sicherlich aufgab, als wir auf die Straße hinter den Gärten
einbogen und er sah, dass ich nicht allein war.
Die
kleine Geschichte endet auf verschiedene Weise.
Der
Sohn der Frau aus Cioropina brachte mich sicher und gesund zurück
und kehrte zu Fuß in sein Dorf heim, ohne irgendetwas zu verlangen.
Natürlich verschwieg ich alles meinen Eltern, anderenfalls hätten
sie mir für lange Zeit wohl verboten, mit dem Roller zu fahren.
Einige Monate vergingen seit dem Vorfall, das Leben ging weiter, als
ich eines Tages meinen Retter wieder traf, wie er in einem Karren
durch unser Dorf fuhr. Wir erkannten uns gegenseitig, als hätten wir
uns erst gestern verabschiedet. Wir verweilten und sprachen wie zwei
gute alte Freunde. Später sah ich ihn nicht wieder, aber das
Geschehen, das dazu führte, ihn zu kennen und zu schätzen, blieb in
meinem Gedächtnis.
Ungefähr
zwanzig Jahre waren seither vergangen. Als ich eines Tages zu einem
Besuch in das Dorf kam, erfuhr ich, dass der Blendea Junge gerade bei
einem schweren Unfall gestorben war. Er war mit einem gestohlenen
Motorrad bei 100 km/h gegen einen Baum geprallt. Der Dorfpolizist
hatte zuerst von dem Unfall erfahren und ging zum Elternhaus, um die
traurige Nachricht zu überbringen. Als der alte Blendea den
Wachtmeister auf der Türschwelle sah, glaubte er, sein Sohn habe
einen weiteren Diebstahl begangen oder einen neuen Skandal im Dorf
erzeugt. Ohne den Beamten erst sprechen zu lassen, so wird erzählt,
habe er ihn mit seiner legendären elterlichen Nachfrage begrüßt:
„Hat
mein Sohn wieder etwas vermasselt?! … Verprügelt ihn, prügelt
ihn!“
Der
Gesetzeshüter schaute ihn schräg an und brachte ihn zum Schweigen
mit der folgenden Antwort:
„Wie
kann ich ihn prügeln, du Dummkopf, er ist tot.“
Von
meinem Roller war der Blendea Junge auf Motorräder umgestiegen. Zu
einem Auto hat er es indes nie gebracht.