Von Daniel
Hannan, GB
Es
begann mit den Sparmaßnahmen der Schuldenschnitte. Im Januar wurde Rumänien das vierte EU-Land (nach
Griechenland, Italien und den Niederlanden), dessen Regierung über die von
Brüssel verhängten Sparpakete stürzte.
Rumänien
besitzt ein weitgehend parlamentarisches System. Der Präsident jedoch hat
wichtige über das Zeremonielle hinausreichende Macht, besonders wenn es um die
Einrichtung neuer Administrationen geht. Präsident Traian Bâsescu, dem man eine
lose Verbindung zur Regierung des geschlagenen rechten Zentrums nachsagt, bat
entsprechend Mihai Râzvan Ungureanu, einen Unabhängigen, eine Regierung zu
formieren, die einen Sparhaushalt entwerfen könne. Sofort begannen die linken
Parteien, einzelne Parlamentarier abzuwerben, bis drei Monate später die
Regierung einem Misstrauensantrag zum Opfer fiel. Dann wurde unter dem
Sozialisten Victor Ponta eine heterogene Administration zusammengestellt,
vereint hauptsächlich in ihrer Gegnerschaft gegenüber dem vorherigen Regime.
Zu
diesem Zeitpunkt nahmen die Ereignisse eine turbulente Wende. Die
Ponta-Regierung stellte bald klar, dass sie sich nicht durch verfassungsmäßige
Feinheiten würde beeindrucken lassen. Sie setzte darauf, jede Kontrolle ihrer
Macht abzubauen, auf der Grundlage von Notverordnungen zu regieren, staatliche
Institutionen zu besetzen, die eigentlich dem Präsidenten unterstanden, die
Kontrolle des Staatsfernsehens zu übernehmen und zu versuchen, das Wahlsystem
zu ändern.
Eine
Untersuchungskommission zu den Plagiatsvorwürfen bezüglich Pontas Doktorarbeit
wurde abrupt aufgelöst.
Am
26. Juni stimmten sozialistische Parlamentarier zu, die Regeln des
Amtsenthebungsverfahrens zu überprüfen, um die Absetzung Präsident Bâsescus zu
erleichtern. Es war sehr deutlich, dass sie ohne Verfassungsänderung kein Recht
zu einem solchen Wechsel hatten. So verabschiedeten sie zeitgleich ein Gesetz
mit dem Inhalt, dass der Verfassungsgerichtshof nicht länger über die
Gültigkeit ihrer Entscheidungen zu befinden habe. Am nächsten Tag, der nun wie
ein offener Staatsstreich begann, erschien in der Jurisdiktion des Kabinetts
ein Notstandsgesetz in der „Offiziellen Gazette“, in welcher die Beschlüsse des
Gerichtshofes veröffentlicht werden. Jüngste Entscheidungen, die sich gegen die
Regierung gerichtet hatten, fehlten auf diesen Seiten.
Während
der letzten Woche schaffte das Ponta-Regime jeweils ohne korrekte
Vorgehensweise den Ombudsmann und die Sprecher beider parlamentarischen Kammern
ab. Es begann mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten, während
weitere Änderungen des Wahlverfahrens vorgeschlagen wurden, um sicherzugehen,
dass man ein Referendum zur Absetzung gewinnen könne.
Führende
Politiker in der EU sind entsetzt, aber es ist völlig unklar, was sie
unternehmen können. Schließlich sind die Dokumente ihres eigenen rechtmäßigen
Regierens kaum fleckenfrei. Brüssel dehnt häufig seine Jurisdiktion in Bereiche
aus, die nicht durch die Verträge abgesichert sind, wenn etwa rückwirkend
manchmal Jahre später solche Eigenmächtigkeiten durch Gesetzes-Neufassungen
legalisiert werden. Brüssel fegt glückselig die Ergebnisse von Volksentscheiden
vom Tisch, wenn sie in die „falsche“ Richtung gehen. Um ein Beispiel aus der
aktuellen Geschichte zu nennen: Jeder in Brüssel stimmt dem zu, dass die
Bailouts illegal waren – nicht in dem einfachen Sinne, juristisch nicht
vorgesehen zu sein, sondern in dem Sinne, ausdrücklich verboten zu sein. So auf
den Punkt herausgefordert, erklären Kommissions-Offiziele unbekümmert: Die
Fakten haben einen Vorsprung vor der Gesetzgebung. – was mehr oder weniger dem
entspricht, wie sich Ponta selbst verteidigt.
Die
großen europäischen Parteien unterliegen in jedem Falle den Kompromissen mit
ihren lokalen Verbündeten. Als die ungarische Regierung einen ähnlichen
diktatorischen, obwohl weniger krassen Griff nach der Macht vollzog, wurde sie
durch den Rest der Europäischen Volkspartei zurück beordert. Nun in einer
delikaten Umkehrung erregt sich die Europäische Volkspartei, während die
Europäischen Sozialisten, so selbstgerecht über Ungarn, ruhig bleiben.
Rumänien
steht am Rande – politisch und geographisch. Man reise westlich, und man steht
mehr oder weniger auf demokratischem Territorium. In östlicher Richtung wird
man nicht viele Orte finden, wo sich Regierungen friedlich als ein Ergebnis von
Wahlen verändern. Leicht vergessen wir, wie selten und wie zerbrechlich
parlamentarische Regierungen mit gesetzestreuer Amtsführung sind. Für den
größten Teil der europäischen Geschichte wie auch für die Welt heute ist
Politik ein riskantes Spiel, in dem Verlust der bürgerlichen Rechte,
Amtsenthebung, Exil und Hinrichtung das übliche Los der Verlierer sind.
Unabwendbar triumphierte deshalb das westliche Model, zu dem Rumänien eine
starke Bindung hat.
Ob
Rumänien zur Selbstherrschaft zurückfinden kann, während es in der EU
verbleibt, wo sonst? Was, wenn sich die wirtschaftliche Krise in Griechenland
verschlimmert? Oder in Italien? Was, wenn sich Wähler Demagogen zuwenden, weil
sie ihre Notlage ausländischen Bankern und Bürokraten anlasten?
Rumänien
mag am anderen Ende Europas liegen, aber Unzufriedenheiten auf dem Balkan
haben, wenn sie orientierungslos anwachsen, die Gewohnheit, sich auf jedermanns
Agenda aufzuzwingen. Das ist auch unsere Angelegenheit.
(The
Telegraph, 19.07.2012)
Übersetzt
aus dem Englischen:
Raymond
Walden, 17.08.2012
Die
Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der CHM-Redaktion.