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Sonntag, 22. Dezember 2019

Menschliches Glauben: November: Christliche Trauer“aufarbeitung“ (S. 21)


November 1997

Ich gestehe, dass der November nicht meine Zeit im Jahre ist, sosehr ich mich bemühe, möglichst jedem Lebensabschnitt viel Angenehmes abzugewinnen. Denn eines steht für mich außer Frage: Trotz aller Rückschläge und Widerwärtigkeiten braucht man im Leben Optimismus und vor allem bedarf es einer Öffnung zu den Menschen hin. Dies fällt häufig sehr schwer, wobei die Ursache sowohl in der eigenen Verzagtheit wie auch in den Menschen liegt, mit denen man umzugehen hat.
     Der November jedenfalls hält mit seinen diversen Totengedenktagen für mich ein reales Problem bereit: die Trauer. Oft frage ich mich, ob Trauer, die ich empfinde, nichts anderes ist als entrücktes Mitleid oder gar Selbstmitleid, das zwar einem realen Anlass entspringt, aber von einer surrealen Welt zeugt. Es ist deshalb so unangenehm, das eigene Verhältnis zur Trauer laut zu hinterfragen, weil die Zuhörer oder Leser allemal geneigt sind, daraus Forderungen an sich selbst abzuleiten. Da ich jegliches Ansinnen in diese Richtung aufrichtig verneine, seien mir einige Bemerkungen zum Thema „Trauer“ gestattet.
     Der Tod an sich kann für einen naturwissenschaftlich geprägten Menschen nichts Schreckliches beinhalten, wohl aber der häufig leidvolle, tragische Weg des Sterbens. Die Problematik einer aktiven Leidensverkürzung, sprich Sterbehilfe, möchte ich hier gar nicht neu aufwerfen, sondern den Status des Todes charakterisieren.
     Kann man allen Ernstes in Trauerreden Verstorbene persönlich ansprechen? Definitiv besteht doch einzig und allein eine Wahrnehmung vonseiten der Trauergemeinde; es handelt sich also schlicht um einen Akt – bitte jetzt nichts Abwegiges interpretieren – der Selbstbefriedigung. Der Tote hat von dem ganzen Aufhebens nichts mehr. Dieses zu realisieren, würde den Abschied von Verstorbenen wirklich erleichtern.
     Nichts geht mehr nach dem Tode; alles was man im Leben gegenüber dem Verstorbenen versäumt oder falsch gemacht hat, lässt sich nicht mehr korrigieren. Jeder Versuch dieser Art ist nichts als scheinheilige Gefühlsduselei, die freilich von daran interessierter Seite als „Aufarbeitung“ des Trauerfalls gravitätisch durchpsychologisiert wird. Der Tod ist das logische und sinnvolle Ende, damit kann ich gut leben. Was mir das Dasein bisweilen schwer macht, ist die direkte Konfrontation mit den Jenseitsgläubigen, denen ich in dieser Beziehung nicht zu folgen vermag, die aber von mir erwarten, dass ich ihren Totenriten respektvoll beiwohne, ja dass ich sie beispielsweise im Verwandtenkreis in allen Einzelheiten nachvollziehe.
     Nein, der November, so wie diese Weltanschauung ihn geprägt hat, ist nicht mein Monat: Ich möchte niemals auf solche Art verabschiedet werden, zumindest müssen diejenigen, die mich dereinst auf herkömmliche Weise begraben wollen, wissen, dass ich dies ablehne.
     Nun mag man fragen, warum ich all das eigentlich erzähle. – Ich denke, dass vielleicht eine offen und ehrlich geführte Diskussion über das Begehen von entscheidenden Stationen der individuellen Existenz einiges beitragen könnte zu einem entspannteren Verhältnis im menschlichen Miteinander.
     Da fehlen einfach neue Antworten auf dieses mystische Weltbild.


© Raymond Walden




Samstag, 5. März 2016

Sequenzen von Skepsis (228)

Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

2897
Weisheit umspielt die Mundwinkel, kennt das Konfliktpotenzial und verplaudert sich nicht.

2898
Ehe du den Dom einreißt, bedenke, das seine weit stürzenden Trümmer dich erschlagen könnten.

2899
Die Globalisierung überfordert den Interimsmenschen, denn er versteht darunter lediglich die egoistische Selbstbehauptung und das Streben nach Vorherrschaft seiner kleinkarierten regionalen Werte. Von globaler Humanität spricht niemand in dem mörderischen Konkurrenzkampf.

2900
Der unbewältigte Gegensatz von Konsequenz und Wunderglauben verhindert traditionell das Menschsein.

2901
Erst im Zuber, dann in der Mangel werden Gehirne religiös-ideologisch gewaschen und geplättet.

2902
Fährt man selbst, lässt sich kutschieren, wird man geführt oder vorgeführt im Massentourismus des Lebens?

2903
Die unergründlichsten Tiefen öffnen sich im Ozean des vergossenen Blutes, in einem Meer der Sinnlosigkeit.

2904
Wo man lügt, ist mir's zuwider.
Ich stehe auf und gehe fort,
singe keine hohen Lieder,
aber achte hoch das ehrenwerte Wort.

2905
Der einzig zugängige Sinn des Lebens ist zu leben. Bewusst emanzipiert, hier und jetzt.

2906
Wer nahe am Wasser gebaut hat, beweint aus traurigem Anlass anderer im Mitleid auch sein eigenes Schicksal.

2907
Big Bang, der Urknall gibt keine Antwort auf seine Entstehung, bleibt also unbefriedigend in seinem Ursprung.


© Raymond Walden, www.raymond-walden.blogspot.de 


 

Sonntag, 4. Mai 2014

Sequenzen von Skepsis (175)


Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

2198
Der Morgen erhellt sich, glänzt sonnig oder graut in Wolken. Das Morgen bleibt uns ungewiss und wir belasten es mit archaischen Dogmen in so kurzatmiger Nachhaltigkeit.

2199
Die ganze aufgestaute Sexualfeindlichkeit des Menschen wütet auf den Reeperbahnen und den schäbigsten Orten einer doppelmoralisch deformierten Weltensicht, die man scheinheilig besingt.

2200
In französischen Kirchen mieft das Christentum charakteristisch vor sich hin, während es in Deutschland in Steuergeldern gebadet und parfümiert wird.
Kaum zu glauben: Eine nationalsozialistische Errungenschaft!

2201
Das Nebeneinander tötet das Miteinander ab, es ist nicht weit bis zum Gegeneinander, und die Einsamkeit ist schon lange da.

2202
Mitleid ist eine schwache Tugend, die nichts an der Ursache des Leids verändert.

2203
Richter und ihre Henker fürchten das wirkliche Tageslicht, so wird im Morgengrauen vollstreckt.

2204
Im Sonnenlicht strahlt vermeintlich der aufgewirbelte Staub.

2205
Der Lebensfilm verdichtet sich zu einer Momentaufnahme, aus der es kein Entrinnen gibt, weil nur wenige Menschen fähig sind, ihren freien Willen zu aktivieren.

2206
Die gnadenlosesten Verliese aus Stein und Stahl konstruiert die sogenannte Religionsfreiheit, jenes Paradoxon, das die Menschwerdung auf diesem Planeten bisher verhindert.

2207
Gleichförmiges Leben fragt nicht, es leidet.

2208
Die scheinbar harmlose Dummheit scheut keine Begegnung, verursacht Übelkeit und macht müde, denn sie scheint allgegenwärtig und unbezwingbar.

2209
Wer den Menschen nackt nicht ertragen kann, hat sich von ihm längst distanziert, hat ihn verdrängt zugunsten von Hieroglyphen.

2210
Du magst alles glauben, ich aber weiß - nicht alles.


Copyright: Raymond Walden,  www.raymond-walden.blogspot.de