November 2001
Lange
schon bevor die Sonne die ersten Strahlen über den Horizont in den
neuen Tag schickt, weicht die Nacht der Dämmerung. Der Osthorizont
gewinnt an Helligkeit, denn die Lichtfülle unseres noch unsichtbaren
Tagesgestirns wird durch die Atome und Moleküle der Erdatmosphäre
zunehmend gestreut. Ganz besonders gilt dies für den kurzwelligen
blauen Lichtanteil, sodass sich für uns der wolkenlose Himmel im
majestätischen Blau aufbaut. Schwebstoffe, etwa winzige
Wassertröpfchen oder Staub, lassen vorzugsweise den langwelligen
roten Part des Lichtspektrums passieren und wir erleben ein
Morgenrot, das den Moment des ersten Sonnenstrahls verzaubert. Ganz
plötzlich ist dann der westliche Sonnenrand da, steigt unaufhaltsam
auf, gibt mehr und mehr vom Sonnenkörper frei. 1,4 Mio. Kilometer
Sonnendurchmesser besetzen scheinbar nur einen halben Grad am Himmel;
es dauert wenige Minuten bis die Sonne sich im vollen Glanz zeigt.
Auch ihre Farbabstufung unterliegt dem optischen Verhalten der
Erdenluft, horizontnah tiefrot, das obere Sonnensegment schon
gelblich. Darüber hinaus prägt die Luft auch die Sonnenform, denn
die horizontnahen Lichtstrahlen werden stärker gebrochen als die
oberen Randstrahlen der Sonne. Die Unterkante unseres nächsten
Sterns, nichts anderes ist die Sonne, erfährt eine scheinbare
Anhebung, wodurch der Kugel ein ellipsoides Aussehen verliehen wird.
Bald ist das Licht so hell, dass es unsere Augen überfordert, denn
unaufhaltsam rotiert die Erde weiter Richtung Osten, lässt die Sonne
immer weiter westlich von meinem geografischen Standort aufgehen.
Ein
neuer Tag in meinem Leben hat begonnen. Was werde ich alles durch das
Licht sehen, was erkennen? Wie viel Leben wird die Kraft der Sonne
speisen, wie viel ausdörren, gar versengen? Wie sähe eine
intelligente Sonne uns Menschen in all den Ländern und Kontinenten?
Mag sich die Sonne jetzt vor mir im Wasser des Ozeans spiegeln, mag
sie Bergkuppen vergolden, eine Wiese, einen Waldrand überfluten, ein
Häusermeer erhellen: Sie trifft mich; dies ist unser Tag!
©
Raymond Walden
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