Montag, 29. Mai 2017

Sequenzen von Skepsis (269)



Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

3453
Was Liebe aufopfernd leisten kann, vermögen kein Kleinmut und keine egoistische Resignation auch nur annähernd zu bewältigen. Denn Liebe ist eine konkret andere Welt von Zu- und Abrechnung, von An- und Berechnung, denn sie schätzt die unergründliche Tiefe der Mitmenschlichkeit.

3454
Schmerzen erst mögen ein fundierteres Körperbewusstsein erzeugen im Erahnen, aus welchen Komponenten wir bestehen, physisch und psychisch so kompliziert und komplex.

3455
Kreativität freut sich am Tun und liebt ihr Werk.

3456
Der hohle Fleiß des Strebers gräbt vergeblich nach Intelligenz und stößt stattdessen auf Antipathie, denn sein Untergrund ist schleimig.

3457
Nach mir nicht die Sintflut, sondern dereinst … kosmonomische Einsicht.

3458
Geballte Banalität gleitet aus zu gleichgültigem Stumpfsinn oder in verrohende Verblödung.

3459
Kategorische Meinungsverschiedenheiten erstarren aus verletzter Liebe, die sich vielleicht nie von auferlegten Zwängen zu befreien vermochte.

3460
Politik vertritt keine Weltbilder, sondern mit Weltanschauungen getarnte Machtinteressen, die sich sogar selbst belügen.

3461
Das Auftreten von entmannzipierten, genderzertifizierten Männinnen mindert nicht im Geringsten die sexuelle Verklemmung der aufklärungsfernen Gesellschaftskreise, sondern beweist zusätzliche Lebensferne.

3462
Gewandete Männer wie verschleierte Frauen scheuen das Leben, verachten es mit allen Konsequenzen. Das heißt nun nicht, dass zivile Kleidung per se Besseres signalisiere.

3463
In hellen Sommernächten schlägt irgendwo eine Nachtigall, irgendwann schlagen Finken, vom See her ein leichter Wellenschlag; genüssliches Sinnieren und Träumen. Schlag sechs bellt der Kirchturm.

3464
Mit Waffenlieferungen beliebigen Umfangs füttert man Terroristen an, also Komplizen der Menschenvernichtung.

3465
Volksmassen sind wie schwankende Planken, die sogar den Seekranken als Kapitän tragen.

3466
Die Sexualität des Menschen ist in höchstem Grade religiös und ideologisch versaut, und zwar so rigide, dass schon das Sprechen darüber tödlich sein kann.


©  Raymond Walden,  www.raymond-walden.blogspot.de 



Samstag, 27. Mai 2017

Kein Korrektiv



Dieses merkelwürdige, religiös-politische Geschwätz vor dem Brandenburger Tor in Berlin am 25. Mai 2017, am sogenannten Christi Himmelfahrtstag, anlässlich des Evangelischen Kirchentags baute sich auf, daran sei erinnert, am Glauben an das christliche Kreuz, jenem sarkastischen Friedenssymbol, das der Welt seit jeher gerade auch unsägliche Kriege beschert.

Das Kreuz hat einen Haken; von ihm rinnt Blut herab, bis nur noch der Tod an ihm hängt, der angeblich nötig war, um die Menschheit zu „erlösen“ und zum „ewigen Leben“ glaubend vorzubereiten.
Diesem zugleich masochistischen Symbol diente wohl Präsident Obama als Kommandeur der viele Hundert Drohneneinsätze, durch die ausgesuchte wie zufällig anwesende Menschen ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren hingerichtet, willkürlich ermordet wurden. (Man spricht von über 3000.)

Und das gläubige Auditorium unter Berlins freiem Himmel berauscht sich an humanistischen Allgemeinplätzen, die der Terrorist Obama locker abspult, hinausposauniert in die Welt – live, im medialen Gleichschritt.

„Erbarmen!“ möchte man flehen.
Doch da ist niemand. Kein Korrektiv.





Freitag, 26. Mai 2017

Einladung zum Denken



„Denken heißt der Unsicherheit nachlaufen, sich wegen großartiger Kleinigkeiten aufregen, sich mit der Begierde eines Märtyrers in Abstraktionen einschließen, auf Komplikationen aus sein wie andere auf Verlust oder Gewinn. Der Denker ist per definitionem qualsüchtig.“
Quelle: Cioran, E.M.: Gevierteilt, suhrkamp taschenbuch 1838, Frankfurt am Main, 1982, S. 147

Dächte ich ähnlich wie E.M. Cioran über das Denken, gäbe es jetzt nicht meine Entgegnung, ja ich glaube, ich hätte nie etwas veröffentlicht.
Mir bereitet das Denken Vergnügen und Trost – also Lebenserleichterung und keineswegs ein „Nachlaufen der Unsicherheit“, wenngleich ich mir der Unsicherheit in Form von möglichen Irrtümern bewusst bin. Sie entmutigen mich nicht, spornen im Gegenteil sogar an.
Ein gedankliches Engagement betrachte ich weniger als „aufregend“, eher als erhellend, wobei doch die Einstufung „großartiger Kleinigkeiten“ ziemlich eindeutig meiner Freiwilligkeit unterliegt.
Natürlich lassen sich viele Dinge schon gar nicht durch mein Denken beeinflussen, dass ich mich dennoch damit befasse, hat nichts mit einem „Märtyrertum“ in eingeschlossenen „Abstraktionen“ zu tun, sondern mit der Befriedigung des Herleitens und Durchschauens von selbst komplizierten Angelegenheiten, auch mit der heiteren Gewissheit, sich nicht so leicht von sogenannten Vordenkern und „think tanks“ hinters Licht führen zu lassen.
Bei der manchmal sogar schmerzhaften Verwunderung über die Lobby des blanken Unsinns bedeuten mir Erkenntnisse im analytischen Denken derartig freiatmigen Gewinn, dass mir die Definition „qualsüchtig“ geradezu albern erscheint, nachvollziehbar lediglich für den Fall einer totalen Resignation, für die freilich viele Schicksale zweifelsfrei auch plausible Gründe liefern.

Die Alternativen zum Denken wären Denkunfähigkeit und Gedankenlosigkeit, erstere eher unbewusst, letztere vielleicht mit einiger nicht schuldfreien Bequemlichkeit behaftet.

Ich bezeichne mich für mich selbst als Denker, weitestgehend frei innerhalb des mir natürlich vorgegebenen Milieus. Diese Freiheit in einer häufig widerwärtigen engeren und weiteren Umgebung zu hegen und zu pflegen, um sie dann gelegentlich zumindest in Portionen mit anderen Menschen auch global zu teilen, generiert Entspannung, Gelassenheit und Friedfertigkeit als Voraussetzung für anhaltende Neugier und Interessiertheit an der Welt, aus der die Kraft kommt, den schrillsten Missdeutungen und Glaubenspostulaten in fundierter Selbsteinschätzung zu begegnen.

Zum Denken möchte ich herzlich einladen und vergegenwärtige mir durchaus die Einschränkungen: Wer will überhaupt denken, und wer kann es gar nicht?