Freitag, 26. Mai 2017

Einladung zum Denken



„Denken heißt der Unsicherheit nachlaufen, sich wegen großartiger Kleinigkeiten aufregen, sich mit der Begierde eines Märtyrers in Abstraktionen einschließen, auf Komplikationen aus sein wie andere auf Verlust oder Gewinn. Der Denker ist per definitionem qualsüchtig.“
Quelle: Cioran, E.M.: Gevierteilt, suhrkamp taschenbuch 1838, Frankfurt am Main, 1982, S. 147

Dächte ich ähnlich wie E.M. Cioran über das Denken, gäbe es jetzt nicht meine Entgegnung, ja ich glaube, ich hätte nie etwas veröffentlicht.
Mir bereitet das Denken Vergnügen und Trost – also Lebenserleichterung und keineswegs ein „Nachlaufen der Unsicherheit“, wenngleich ich mir der Unsicherheit in Form von möglichen Irrtümern bewusst bin. Sie entmutigen mich nicht, spornen im Gegenteil sogar an.
Ein gedankliches Engagement betrachte ich weniger als „aufregend“, eher als erhellend, wobei doch die Einstufung „großartiger Kleinigkeiten“ ziemlich eindeutig meiner Freiwilligkeit unterliegt.
Natürlich lassen sich viele Dinge schon gar nicht durch mein Denken beeinflussen, dass ich mich dennoch damit befasse, hat nichts mit einem „Märtyrertum“ in eingeschlossenen „Abstraktionen“ zu tun, sondern mit der Befriedigung des Herleitens und Durchschauens von selbst komplizierten Angelegenheiten, auch mit der heiteren Gewissheit, sich nicht so leicht von sogenannten Vordenkern und „think tanks“ hinters Licht führen zu lassen.
Bei der manchmal sogar schmerzhaften Verwunderung über die Lobby des blanken Unsinns bedeuten mir Erkenntnisse im analytischen Denken derartig freiatmigen Gewinn, dass mir die Definition „qualsüchtig“ geradezu albern erscheint, nachvollziehbar lediglich für den Fall einer totalen Resignation, für die freilich viele Schicksale zweifelsfrei auch plausible Gründe liefern.

Die Alternativen zum Denken wären Denkunfähigkeit und Gedankenlosigkeit, erstere eher unbewusst, letztere vielleicht mit einiger nicht schuldfreien Bequemlichkeit behaftet.

Ich bezeichne mich für mich selbst als Denker, weitestgehend frei innerhalb des mir natürlich vorgegebenen Milieus. Diese Freiheit in einer häufig widerwärtigen engeren und weiteren Umgebung zu hegen und zu pflegen, um sie dann gelegentlich zumindest in Portionen mit anderen Menschen auch global zu teilen, generiert Entspannung, Gelassenheit und Friedfertigkeit als Voraussetzung für anhaltende Neugier und Interessiertheit an der Welt, aus der die Kraft kommt, den schrillsten Missdeutungen und Glaubenspostulaten in fundierter Selbsteinschätzung zu begegnen.

Zum Denken möchte ich herzlich einladen und vergegenwärtige mir durchaus die Einschränkungen: Wer will überhaupt denken, und wer kann es gar nicht? 



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