Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:
4889
Alle sterben den eigenen Tod und erleben das ganz individuell vom Anbeginn des Ichs.
4890
Wer in Deutschland seine fehlende Kompetenz tarnen möchte, erlangt beste Akzeptanz durch Missbrauch der englischen Sprache. Da wird jedes Defizit groovy. Klasse!
4891
Wie zeichnet das Leben mitunter die Alten, die, in zunehmendem Leiden, sich einander immer weniger leiden, … bis in einem Rest von Liebe der Tod sie scheidet.
4892
Flach wie Radio, flach wie Fernsehen, flach wie Tablet, flach wie Zeitung, flach wie Brett vor dem Kopf, tiefes Missverständnis von Freiheit unter dem Druck der Presseeigner.
4893
Das leck geschlagene Schiff der freiheitlichen Demokratie findet keinen Hafen, keinen Ankerplatz im offenen Meer, wo es von Piraten wimmelt. Es muss sich selbst aufrichten, um sein Fahrtziel in fundiert sicherer Navigation zu erreichen.
4894
Die Welt der Pandemie ist Teufelswerk in göttlicher Vorsehung; das Nachsehen hat die Vernunft wie immer schon und noch als Merkmal des Interimsmenschen.
4895
Beim Massenmenschen geht es nicht um Schwerkraft, sondern um sein geistiges Leichtgewicht.
4896
Begeisterung? Für welche Werte? Man prüfe skeptisch und stehe zu seiner Entscheidung, begeistere sich und bewahre selbstkritische Klugheit.
4897
Unsichtbares Strandgut spült das Meer an: Weltoffenheit für die, welche den Sinn und das Gespür dafür entwickelt haben.
4898
Auf dem „Friedhof der Heimatlosen“ in Westerland, wo unbekannte angespülte Seeleute ruhen, wühlt mich ein Gedanke auf: Sind wir nicht alle Heimatlose in der Geschichte unserer Irrfahrten? Hätten wir Heimat mit weitsichtigerer Navigation?
Ich wage, solches zu glauben.
4899
Der Impressionismus birgt den Reiz der ganz individuellen Interpretation, während andere Stilrichtungen gerne mit der Faust auf den Tisch hauen, natürlich auch interpretierbar, aber eindeutiger eingerahmt.
4900
Da, wo die Düne am höchsten, die Sicht verschwenderisch weit, der Sturm ins Mark durchdröhnend dringt, werde ich innerlich ganz ruhig, besinne mich meiner Herkunft und Vergänglichkeit. Ich stehe auf einer Erhebung, die man nach dem Freiheitskämpfer Uwe Jens Lornson benennt, und ich weiß an diesem Ort (wie an ähnlichen der freien Natur) die – meine – Kosmonomie beheimatet.
4901
Unter manchem dicken Reetdach wohnt ein millionenschwerer armer Teufel.
4902
Immer aufs Neue verblüffend erscheint die Fortpflanzungsfähigkeit der Prüderie.
4903
Ungelöste Probleme belegt der unfertige Mensch mit linkischen Tabus und lebt verstört in selbst mitgestalteter Knechtschaft.
4904
Vor dem Feuer sind alle Menschen gleich, ob im skandalösen Flüchtlingslager auf Lesbos oder im heißen Westen der USA. Schuldige? – Man wird doch nicht gleich …
4905
Geistlos erst einmal gründlich ausgekotzt, wird in mondänem Wettbewerb geprotzt.
4906
Europa existiert nurmehr als Idee; als Staatenbund wurde es längst verraten, nationalistisch zerstückelt und in Dummheit gesotten.
4907
Unschuldig dumm, clever dumm, dummreich ist die Leiter der Macht, angelehnt an Naivität, an Unrecht, an Verachtung und Vernichtung.
4908
Als etwa Dreijähriger brach ich beim Märchen „Hänsel und Gretel“ untröstlich in Tränen aus. Mein ganzes Leben lang verließ mich nie meine Skepsis gegenüber allen Märchenerzählungen – und das sind bis heute ständig alte, neu verlogen.
4909
Es zeugt wohl von kleingeistigem Neid, die Insel Sylt als „Sandbank der Reichen“ zu diskreditieren, bildet sie doch einen wahren Höhepunkt tiefer Besinnlichkeit all jenen, die frei atmen, frei schwimmen, sich frei bewegen und frei denken gemäß einer grandiosen Naturgesetzlichkeit, der wir Menschen ebenso unterliegen, die wir in festländischem Alltagsleben allzu leicht verdrängen, vergessen und nicht ohne Folgen verletzen.
4910
Eine Insel beschränkt sich nicht auf frischen Wind und helle Sonne über klaren Wassern, sondern wird erst zur solchen durch festen Boden unter unseren Füßen.
© Raymond Walden