In der Vergänglichkeit des Lebens entsteht dem Naiven eine unerträgliche Sinnlosigkeit, die zwangsläufig und unabhängig von Kulturkreisen nach stets ähnlichen Mustern zu einer Sinnkreation führt, der Sinn wird hergestellt. Geister und Götter lassen sich ersinnen, propagieren und bezeugen: Religion bekommt ihre Basis.
Dass dieser an sich banale Vorgang sogar intelligenteste Köpfe vollständig okkupiert, liegt in der Macht von Eingedrilltem und von Traditionen, denn diese eigentlichen Eingeschränktheiten suggerieren etwas von der irrational ersehnten, nicht minder kuriosen „Ewigkeit“, einer ebenso sinnlosen Unendlichkeit.
Der in einfachen und auch einfältigen Strukturen Denkende gibt sich in der Regel mit dem ihm vorgesetzten Weltbild zufrieden, merkt aber sehr deutlich die sprichwörtliche Last des Lebens im „Diesseits“ und zweifelt immer wieder an den Vertröstungen auf das „Jenseits“. In dieser Verunsicherung wird der Gläubige während der gesamten Menschheitsgeschichte bisher zum leichten Spielball für Machtbesessene.
Die Herrscher sind nicht selten zugleich die religiösen Repräsentanten oder aber Gefolgstreue im Glauben, die im Sinne „von Gottes Gnaden“ ihre Stellung rechtfertigen. Andere Regenten biedern sich gegen ihre eigentliche Überzeugung religiös an, nutzen die bewährten Entmündigungsmechanismen der Glaubenstraditionen.
Mögen nun einzelne Figuren durch Religion immer wieder ihren spirituellen Frieden finden, so können Religionen wegen ihrer offenen oder versteckten Alleinvertretungsansprüche bezüglich der „einzigen Wahrheit“ untereinander keinen Frieden begründen, geschweige denn bewahren. Man betrachte beispielsweise die unzähligen unversöhnlichen Aufspaltungen innerhalb des Christentums oder im Islam.
Im Erkennen solcher Zusammenhänge und im Durchschauen der entsprechenden Machenschaften wird es dem kritikfähigen Individuum leicht, sich innerlich von „Gott“ und seinem Brimborium zu befreien; die äußerliche Abkehr fällt aus Gründen von Überlieferungen und persönlichen Abhängigkeiten häufig sehr schwer. Denn der offizielle Bruch mit der Religion wird von Glaubensverfechtern gerne als „Nihilismus“ diffamiert, als eine Verneinung des Seins und seines Sinns schlechthin. „Gottlos“ wird zum Status des Makels, des Außenseiters.
Aus dem Glauben heraus können Religiöse die Gedanken der Aufgeklärtheit nicht nachvollziehen, ja sie dürfen sie innerhalb ihrer Systemtreue nicht einmal ernsthaft erwägen.
Welches Sein aber bieten Religionen?
Reduziert sich das Sein nicht auf sinnlosen Schein, indem man Körper und Seele trennt, das physische Leben mit Miss- und Verachtung belegt und Märchen über angeblich ewiges Leben einer „Seele“ verkündet, um von konkreten Lebensbedürfnissen und Erfordernissen abzulenken, Opfer verlangen zu können und alberne jenseitige Glückseligkeiten anzupreisen?
Alles spricht dafür, dass die religiös ausgemalte Seele ein ebensolches Gedankenkonstrukt darstellt wie „Gott“. Wie anders lässt sich erklären, dass das Seelenleben des Menschen, das heißt, seine gesamte gefühlsmäßige und bewusste Innenwelt durch Beeinflussungen des Körpers gesteuert wird?
Gewalteinwirkungen, Schockzustände, Drogen, Psychopharmaka, Narkotika und so weiter – auch „Gehirnwäschen“ – verändern kurz- oder langfristig die Persönlichkeit, schalten sie auch aus.
Eindeutig ist der menschliche Geist eine Funktion des Körpers und als solche vom Zustand des Körpers, vor allem des Gehirns abhängig. Beendet der Körper seine chemisch-physikalischen Reaktionen, stirbt er, gibt es auch seine „Seele“ nicht mehr.
In Analogie zur Mathematisierbarkeit der Natur lässt sich herleiten: Die Seele ist das Produkt aus Körper mal Geist. Wird einer der Faktoren Null, gibt es kein Produkt mehr.
Nur in geschaffenen Werken und in der Erinnerung der Lebenden kann vom Individuum entwickeltes Gedankengut „fortleben“ – für kosmisch unbedeutend kurze Epochen.
Die durchdachte Verneinung der Religion ist keine Miesmacherei, keine Hoffnungslosigkeit oder gar Resignation, sondern im Gegenteil die lebendige Aufmunterung, dem Leben an Ort und Stelle Sinn zu geben, die natürlichen Herausforderungen anzunehmen und zum Wohle des und der Menschen Einfluss zu nehmen, Widrigkeiten zu überwinden, zumindest zu lindern und andererseits die Freuden zu genießen und auszukosten.
Verantwortungsvoller Umgang mit Natur, Naturwissenschaft und mit dem Menschen gibt Lebenssinn und schafft die Werte wie Menschenwürde, Aufrichtigkeit, Achtung, Friedfertigkeit, Solidarität, Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft und so weiter als geistig verstandene Orientierungen und nicht als religiöse doppel- und scheinmoralische Sonntagspredigten.
Die bisherigen Philosophien und Weltbilder versagen erst recht in der Moderne, sie fördern keine Lebensentwürfe und Initiativen, sondern berufen sich auf überholte Raster, die der Unterwerfung statt der Emanzipation und Mündigwerdung des Bürgers dienen. Darin begründet sich eine Bewahrungsmentalität, ein Konservativismus, der sich mit allen Mitteln gegen eine kosmonomische Aufbruchstimmung stemmt, der sich in überkommenem Gottvertrauen noch jede Schurkerei gegenüber Andersdenkenden herausnimmt und im weltweiten Kräftespiel genau das Chaos pflegt, vor dem die Religion angeblich den Menschen bewahren soll.
Die Menschenwürde sei unantastbar, heißt es in feierlichen Dekreten, die jedoch gegenüber der Wirklichkeit hauptsächlich ein Wunschdenken beurkunden.
Der Mensch schändet wie kein anderes Lebewesen auf dem Globus sich selbst, und er tut dies aus „Überzeugungen“ heraus, die mit Menschenwürde wenig, aber mit nicht ohne Absicht erdachten Überhöhungen zu tun haben. Das Individuum wird rücksichtslos den Zielen von Göttern und Ideen geopfert, angeblich zu höchster Ehre in der Pflichterfüllung: eine Perversion der Menschenwürde. Sie wird nicht nur angetastet, sondern verhöhnt und vernichtet.
Nicht „Religionsfreiheit“ kann Demokratie definieren, sondern Gedankenfreiheit und freie Meinungsäußerung, die beide durch Religionen und Ideologien eingeschränkt oder gänzlich unterdrückt werden.
Menschenwürde ist eine Errungenschaft des freien Geistes, der sich der Selbstbehauptung wie der gesellschaftlichen Verbundenheit erfreut. An diesen Werten gilt es, aktiv und dauerhaft zu arbeiten und sie zu gestalten.
Und es gilt in einer Zeit rasant expandierender technischen Möglichkeiten, offenes und getarntes Antasten der Menschenwürde zu erspüren und vielleicht zu verhindern.
Man sollte sich jedoch nicht überschätzen: Die regierenden Kräfte dieses fortgesetzten Mittelalters nach der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts missachten die Menschenwürde gerade durch Vortäuschung von Demokratie unvermindert effektiv, für den Durchschnittsbürger dadurch zumeist nicht wahrnehmbar.
Dem aufgeklärten Nonkonformisten ist die Verwirklichung der Menschenwürde ein aufrichtiges Anliegen; hier und jetzt und langfristig. Kosmonomisch avanciert die Menschenwürde zu einem Sinn des Lebens.
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