1999
Sich immer wieder mit „Offenbarungsschriften“ auseinandersetzen zu müssen, bereitet dem Skeptiker durchaus Unbehagen. Es mag daher exemplarisch der „Erste Tag“ der biblischen Genesis ausreichen, die geistliche Finsternis auszuleuchten. Zunächst der Original-Bibeltext: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und leer. Finsternis lag über dem Abgrund, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Da sprach Gott: 'Es werde Licht!' Und es ward Licht. Gott sah, dass das Licht gut war, und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis. Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es ward Abend, und es ward Morgen: erster Tag.“ (Herder, Freiburg, 1966)
Eine solche Erzählung mag naiven, unwissenschaftlichen Menschen gefallen, spätestens seit Galilei (1564-1642) stellt sie eine Verwerfung menschlicher Intelligenz dar. Bis heute wurde die Bibel immer wieder wörtlich verstanden und hat zu allen möglichen Diskussionen geführt, so konfus ist das Werk.
Wo nun in den wenigen Industriestaaten der Skeptizismus Einzug gehalten hat, erklärt der Klerus, man müsse die Bibel symbolisch, nicht Wort für Wort „annehmen – übrigens eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu allen Mysterien von Aberglaube und Esoterik. Damit reduziert sich Religion selbst zu billigem Symbolismus.
Sonne und Planeten entstanden nach einer inzwischen allgemein anerkannten Theorie aus einer gemeinsamen kosmischen Urwolke, alles darin war zunächst heiß und hell. Entsprechend widersinnig nimmt sich die Bibel aus: „Die Erde aber war wüst und leer. Finsternis lag über dem Abgrund (welchem?), und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.“ Wasser war zu diesem Zeitpunkt unmöglich, laut Bibel „sprach Gott“ erst danach: „Es werde Licht.“ Es war längst da! Und dann „sah Gott“, „dass das Licht gut war.“ – Die Finsternis etwa nicht? Aber es herrschte ja im erst werdenden Planetensystem noch kaum Finsternis, glühten doch alle Körper, sodass es noch nirgends „Tag und Nacht“, Morgen und Abend gab. Und erst nach der Erschaffung des Lichts „schied Gott zwischen dem Licht und der Finsternis“ – Eine absolute Unmöglichkeit, denn Licht heißt Gegensatz zur Dunkelheit; mit Licht war auch gleichzeitig Schatten vorhanden. Selbst wenn man die Bibel nur symbolistisch sieht, offenbart sich eine, wenn auch historisch verständliche, Überforderung der „Genesisautoren“. Abgesehen von grotesken Widersprüchen zur realen Welt, sei die Frage nach der Qualität einer Gottheit gestattet, die etwas schafft (Licht) und erst im Nachhinein „sieht“, „dass es gut war“. Der Gott hätte sich also auch irren können (wenn es schlecht gewesen wäre)?
Nein, wir leben keineswegs in einer aufgeklärten Zeit, vielmehr befinden wir uns noch im „Mittelalter“, welches sich heute zwar feiner präsentiert, aber unverändert blutig durchzusetzen weiß. Grausam und finster, deprimierend, inquisitorisch, unhygienisch und krank gestaltete sich das Leben seinerzeit. Und heute dauert die Umnachtung fort, weil wenige „zivilisatorische“ Staaten für ihr Wirtschaftswachstum, während sie gleichzeitig das Hochhalten der Menschenrechte heucheln, den weitaus größeren „Rest der Welt“ aushungern. Mir fallen die „Aasgeier“ (so nennt man die Armen) von Manila ein, die auf den Müllhalden nicht nur nach verwertbaren Resten suchen, sondern in dem permanenten Gestank ihre Wohnhütten aus Abfall aufbauen. Die katholische Kirche bekämpft gleichzeitig alle Bemühungen der philippinischen Regierung zur effektiven Geburtenkontrolle! Ein Seelsorger findet gar nichts dabei und erklärt den Zuschauern der ARD am 1.9.1994, die Menschen sähen doch gar nicht so unglücklich aus, das heißt, sie kämen mit ihrem Kinderreichtum in diesem Elend gut zurecht. – Zynisches Christentum! Es knechtet die sowieso Besiegten. Den Hoffnungslosen und den Sterbenden nimmt man auch noch das Letzte und vertröstet sie traditionell auf das Jenseits. Wüssten sie, wie man sie betrügt, wäre ihr Dasein noch tragischer, so eine Steigerung überhaupt möglich ist.
Doch wenden wir uns noch einmal den kosmischen Gesichtspunkten der christlichen Religion zu, die bedingt auch für andere Offenbarungslehren stellvertretend sein kann.
Völlig in den Bereich subjektiver Trugbilder gehören „himmlische“ Erscheinungen der „Mutter Gottes“ in Lourdes, Engels- oder Teufelsbegegnungen und so weiter. Jesus und, nach vatikanischer Behauptung, auch Maria seien leiblich in den Himmel aufgefahren. „Leiblich“ meint physisch! Wo also ist der physische Himmel, in dem sich Jesus, Maria usw. aufhalten? Diese Frage ist nicht zu verwechseln mit Gagarins provokatorischer Suche nach Gott im Kosmos, denn „Gott“ wird ja nicht als körperliches Wesen definiert.
© Raymond Walden