Dienstag, 17. März 2020

Menschliches Glauben: Angesichts .... (S.74)


September 1997

der Illustrierten BUNTE komme ich mir vor wie in einem Spiegelsaal der Gesellschaft mit einer prallen Porträt-Galerie. Das Spiegelglas ist altersfleckig eingetrübt und hier und da gesprungen. Gesichter allenthalben, glasig, aufgedunsen, aufgemotzt mit dem betuchten Lächeln oder gar Grinsen von Reichen, "Schönen" und Mächtigen. Hinter den Fassaden verbirgt sich die geballte Leere gläserner Schädel, sind eingeweckte Gehirne, die ihren ewigen Schwachsinn via Glasaugen projizieren. Allein, ein Heer von Fotografen und Reportern ist mit den „Stilaugenäußerungen“ nicht befriedigt. Das Innere muss doch irgendwie zu outen sein! Da kommt Bewegung in das Kristall-Szenario. Gesichter verwandeln sich in Ärsche, worauf sich eine Kriechorgie auf Lackpapier dokumentiert.
     Selbstverständlich sind alle Mitarbeiter der „BUNTEN“ ehrbare Leute, die ich keineswegs verunglimpfen möchte. Doch was kann ich dafür, wenn ich beim Blättern so abstrus bunte Gedankenbilder entwickle? Das Heft wird mir noch einige Zeit ins Haus flattern (Gewinn in irgendeinem Preisausschreiben).
     Ausgabe 41/97 weidet sich an SPD-Schröders Scheidung, parallel zu einer Scheidung im Adelsmilieu – ein wahrlich genialer Vielleicht-Kanzler, der so ein Theater aufführt! Auch die Nachfolgemodelle von Claudia Schiffer werden die Welt nicht bewegen, höchstens kapitalistische Konten. Ach, und dann hat Frau Wepper die Promi-Droge Kokain genommen? "Was Diana trug, wurde Mode". Donnerwetter - das wird "Deutschlands buntestem Vogel", Rudolph Moshammer kaum Einbußen bescheren, denn der weiß sogar etwas über Ödipuskomplexe und hat aus "Gewissenhaftigkeit" keine Kinder. "Die Berge rufen" – und Reinhold Messner spinnt schon wieder vom Yeti, Promis haben "Visionen für das nächste Jahrtausend", "der seltsame Reichtum von Dodis Vater", "Hochzeit in Spanien, Hochadel im Festrausch", … Auch das noch: "Focus-Zauber mit der Macht"; Herbert Burda und Chefredakteur Markwort hatten geladen und die Politprominenz gesellte sich, anhand einer Fotoserie selbstverständlich dokumentiert, zu allen möglichen anderen, auch sehr "wichtigen" Leuten, die in Wahlperioden oder Meisterschaftszyklen denken. Gar noch nicht erwähnt, die durchweg aufrichtige Reklame, überhaupt die vielschichtigen Blabla-Lebenshilfen.
     Tonnenweise Sondermüll! Unsere Zeit leidet an folgendem Fakt: Hochglanzpapier, wie es bei Illustrierten verwendet wird, ist griffiger als jede Rolle Toilettenpapier.


© Raymond Walden




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