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Samstag, 14. Dezember 2019

Menschliches Glauben: „Das Christentum ermöglicht dir deinen freiheitlichen Standpunkt“ (S. 12)



Oktober 1995


Ich habe Glück gehabt und fühle mich eingebettet in einen großen Bekannten- und Freundeskreis, den ich neben dem familiären Umfeld als wesentlichen Pfeiler meines Selbstverständnisses schätze. Aber ich reibe mich an diesem Block der faszinierendsten gesellschaftlichen Kristallisationen als eine sonderbare Granule innerhalb einer gleichmäßig religiös köchelnden Sphäre.
    Jeden dieser Menschen habe ich auf bestimmte Art zu würdigen, ja manchen zu lieben gelernt. Und sie, die Geschätzten und Geliebten, wie sehen sie mich? – Ich glaube, viele von ihnen mögen mich eher wie die Spritze vor dem Zähneziehen: Eigentlich wäre es schöner, bliebe einem die religiöse Extraktion erspart, deren Notwendigkeit man aber schon irgendwie einsieht. Im globalen Vergleich ist dann im Großen und Ganzen richtig, was mir wohlmeinende Freunde vorhielten: „Das Christentum ermöglicht dir deinen freiheitlichen Standpunkt.“ In anderen Kulturkreisen hätte man tatsächlich längst einen Kopfpreis ausgesetzt.
    Aber warum kann ich all dieses nur sehr vorsichtig in privaten Rundschreiben formulieren? – Die Antwort ist eindeutig: Weil das Christentum, durchaus anerkennenswert, private Freiräume akzeptiert, öffentliche Freiräume aber noch vor dem Entstehen verschüttet. Wägt man die Religionen gegeneinander ab, bietet das Christentum einigen Liberalismus, der Buddhismus wahrscheinlich mehr. Allein, alle Religionen widersprechen der Freiheit durch irrationale Bevormundung.
    So bleibe ich, getauft, erstkommuniziert und gefirmt, ein Religionsfreier, respektiere vorzugsweise jene Andersdenkenden, die mir keine weltanschaulichen Vorschriften aufdrängen.


© Raymond Walden