Dezember
1996
Liegt es
daran, dass ich keine Vorbilder habe, dass ich kein Kinogänger bin,
dass ich keine getünchten Idealcharaktere mag, oder fehlt es mir
schlicht nicht nur an Religion, sondern auch an Phantasie, die man
braucht, um Menschen vergöttern zu können, dass ich bei direkten
Begegnungen mit Prominenten oder in Gesprächen über sie so ziemlich
unberührt bleibe? Mich beeindrucken Leistungen der
unterschiedlichsten Art, doch interessiert mich immer sogleich des
Pudels Kern, das heißt, welche eigentliche Persönlichkeit sich
dahinter verbirgt. Und da fällt jedes Idol sofort auf den Boden der
Tatsachen zurück; keiner der durch Suggestion Überhöhten verfügt
für mich über ein ausreichendes Maß an Größe, um mich zur
Verehrung hinreißen zu können. Achtung, Respekt, in meinem privaten
Umfeld freundschaftliche Verbundenheit, im Familiären Liebe der
unterschiedlichsten Qualitäten sind meine Eckpfeiler der
menschlichen Bezugnahme; darüber hinaus bleibe ich stur.
Wie
affig benehmen sich die Reichen auf ihren millionenschweren Jachten
alljährlich zu Ostern in St. Tropez, wenn sie sich auf den
Luxusdecks vor dem am Kai defilierenden Publikum ihre Drinks
servieren lassen – ausgerechnet in dieser göttlichen (!) Gegend so
viel Dekadenz! Die touristisch wohl organisierte Bootsfahrt durch die
Buchten um St. Tropez, vorbei an den Villen des Jetsets, übertrifft
nur noch eine dem käuflich zu erwerbenden Lageplan der
Prominentenbehausungen folgende Fahrt durch das kalifornische Beverly
Hills. In Hollywood auf dem „Walk of Fame“ spaziert man dann über
das Pflaster mit den eingelassenen Sternen der zahllosen Sternchen:
Jeder Name ein menschliches Schicksal – so oder so – und nicht
selten verbergen sich hinter den so geehrten seelischen Wracks,
reiche arme Teufel. Die Straße in ihrer ganzen Länge ist inzwischen
ziemlich heruntergekommen; es gibt Jeansläden und Souvenirschuppen
mit eintönig nostalgischem Glimmerangebot. Ich stehe auf dem Boden
von Traumfabriken, die die Welt nach wie vor via TV beherrschen. Ich
blicke hinauf in die „kalifornische Sonne“, lasse mich blenden,
es hilft nichts: Auch das Tagesgestirn trägt hier den Dunstschleier
von dümmlich profaner Eitelkeit.
©
Raymond Walden