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Mittwoch, 18. Dezember 2019

Menschliches Glauben: Angesichts des „Walk of Fame“ (S. 16)


Dezember 1996

Liegt es daran, dass ich keine Vorbilder habe, dass ich kein Kinogänger bin, dass ich keine getünchten Idealcharaktere mag, oder fehlt es mir schlicht nicht nur an Religion, sondern auch an Phantasie, die man braucht, um Menschen vergöttern zu können, dass ich bei direkten Begegnungen mit Prominenten oder in Gesprächen über sie so ziemlich unberührt bleibe? Mich beeindrucken Leistungen der unterschiedlichsten Art, doch interessiert mich immer sogleich des Pudels Kern, das heißt, welche eigentliche Persönlichkeit sich dahinter verbirgt. Und da fällt jedes Idol sofort auf den Boden der Tatsachen zurück; keiner der durch Suggestion Überhöhten verfügt für mich über ein ausreichendes Maß an Größe, um mich zur Verehrung hinreißen zu können. Achtung, Respekt, in meinem privaten Umfeld freundschaftliche Verbundenheit, im Familiären Liebe der unterschiedlichsten Qualitäten sind meine Eckpfeiler der menschlichen Bezugnahme; darüber hinaus bleibe ich stur.
    Wie affig benehmen sich die Reichen auf ihren millionenschweren Jachten alljährlich zu Ostern in St. Tropez, wenn sie sich auf den Luxusdecks vor dem am Kai defilierenden Publikum ihre Drinks servieren lassen – ausgerechnet in dieser göttlichen (!) Gegend so viel Dekadenz! Die touristisch wohl organisierte Bootsfahrt durch die Buchten um St. Tropez, vorbei an den Villen des Jetsets, übertrifft nur noch eine dem käuflich zu erwerbenden Lageplan der Prominentenbehausungen folgende Fahrt durch das kalifornische Beverly Hills. In Hollywood auf dem „Walk of Fame“ spaziert man dann über das Pflaster mit den eingelassenen Sternen der zahllosen Sternchen: Jeder Name ein menschliches Schicksal – so oder so – und nicht selten verbergen sich hinter den so geehrten seelischen Wracks, reiche arme Teufel. Die Straße in ihrer ganzen Länge ist inzwischen ziemlich heruntergekommen; es gibt Jeansläden und Souvenirschuppen mit eintönig nostalgischem Glimmerangebot. Ich stehe auf dem Boden von Traumfabriken, die die Welt nach wie vor via TV beherrschen. Ich blicke hinauf in die „kalifornische Sonne“, lasse mich blenden, es hilft nichts: Auch das Tagesgestirn trägt hier den Dunstschleier von dümmlich profaner Eitelkeit.


© Raymond Walden