Juni
1997
In
der Tat erinnern auf Rügen vor allem die Sommerabende ein wenig an
die verklärenden Lichtverhältnisse Schwedens, wo man das Auto auch
tagsüber "mit Licht" bewegt. Die Rüganer gelten als
forsche Kraftfahrer mit entsprechend hohen Unfallraten, die unter
anderem "mit Licht" reduziert werden sollen.
Für
mich hat die Insel zweifellos eine ganz eigenartige Beziehung zur
Lebendigkeit wie auch zu einer rauen Abgestumpftheit. Ich bin
wiederholt hierhergekommen, weil Freunde (wie ich aus dem Westen)
nach der Vereinigung Deutschlands einen völlig heruntergekommenen
Kotten aufgekauft haben, um ihn nun seit Jahren äußerst
arbeitsintensiv in ein Schmuckstück zu verwandeln. Baustoffe und
selbst Arbeitskräfte sind aus NRW herangefahren worden, weil es aus
vielfältigen Gründen auf Rügen keine Möglichkeiten gegeben hat.
An vielen Stellen der Insel zeigt sich dieses Phänomen eines
bescheidenen Einsatzwillens, der daran schuld ist, dass sich ganze
Straßenzüge und Hinterhöfe immer noch in wenig ansprechendem
Zustand befinden. Ein erfolgreicher Landwirt erzählt stolz, er habe
ein einziges Mal die Insel verlassen – bis Stralsund sei er
gekommen! Und es gelüste ihn keineswegs zu reisen.
Ich
höre den Radiosender Nordvorpommern mit einem Wunschkonzert, das gut
40 Jahre alt sein könnte, vernehme Reportagen, die an Naivität,
Gestrigkeit und Plattheit die Gegend einnorden. Hier geht es bieder
zu, FKK an den herrlich weiten, zumeist windigen Sandstränden ist
hier kein Zeichen von "Offenheit". Eher symbolisieren die
lichtdurchfluteten Mischwälder die beschauliche Reserviertheit, die
keineswegs Unfreundlichkeit meint. Dies alles nun mit dem
"Ossi-Wessi-Gegensatz" erklären zu wollen, scheint
unangebracht. Was man wahrnimmt, ist nichts anderes als ein Teil
Gesamtdeutschlands. Die Deutschen hier sind und waren immer so,
weisen wie die Bewohner anderer Landstriche gleichermaßen ihre
Eigenheiten auf, unterscheiden sich aber eigentlich nur durch
Oberflächenmerkmale von ihnen.
Ich
verhehle nicht, dass ich erst jetzt so richtig die heimatfreundliche
Deutschtümelei auf allen Medienkanälen wahrnehme. Seit
Wiederherstellung der deutschen Einheit überbieten sie sich an
Volkstümlichem, das freilich seinen Stellenwert besitzt, aber nun
geradezu mit System ins Schnulzenhafte abfährt. Deutschland ist so!
Ich persönlich mag diese Seite deutscher Lebensart nicht,
registriere aber auch in anderen Ländern den Rückfall in einen
banalen Fundamentalismus heimatlicher Klangschwülste.
"In
Europa mit Licht" – solchermaßen möchte ich die Rüganer
Verkehrsinitiative umwandeln; allein Licht beseitigt keine
Kurzsichtigkeit.
©
Raymond Walden