„Das Begriffsvermögen ..... war vernebelt, und der Nebel hieß Glaube.“, so charakterisiert Frank Schätzing die Situation des Mittelalters in seinem Buch „Tod und Teufel“, dessen empfehlenswerte Lektüre frappierende Einblicke in bis heute unveränderte Verhaltensweisen von Wesen gewährt, die ich in meiner gegenwärtigen Gesellschaftskritik als „Interimsmenschen“ bezeichne.
Die drastische Verrohung, Primitivität und die Diskriminierungen mögen heute in den so genannt zivilisierten Gesellschaftsordnungen abgemildert erscheinen, doch der wesentliche „Nebel“ heißt nach wie vor „Glaube“, durch moderne Kommunikationsmittel nur subtiler, subversiver, dadurch aber weniger einheitlich geschlossen, sondern ausfasernd in schillerndste Fransen orthodoxer, fundamentalistischer, esoterischer Spiritualitäten.
Allen gemeinsam ist die Abkehr von der Realität, von Logik und Verstand hin zu Mystizismus und Dogmatismus unter Einsatz sämtlicher Tricks zur Erzeugung von Verunsicherung und Angst, um irrwitzige Erlösungsversprechen anzupreisen, zu vermarkten und auch gewaltsam aufzuzwingen.
In diesem weltweiten Szenario spielt das Christentum keineswegs eine bessere Rolle als all die anderen Glaubensrichtungen, ganz im Gegenteil, in bestimmten Bereichen taktiert es menschenverachtend mit seiner Überlegenheit in Struktur und Organisation – und es schlägt vernichtend zu!
Freilich geschehen diese Frevel im Gesäusel von Friedensappellen und –gebeten sowie im Hinblick auf ein freies Wirtschaftswachstum zum Wohle aller gottgefälligen Reichen in der Welt.
Im Nebel ohne entsprechendes Instrumentarium zu stehen, bedeutet gemeinhin Orientierungslosigkeit, Spielball der Natur zu sein, irgendwie wird man durchkommen („Es hat noch immer gut gegangen.“), wenn nicht – ein Grund mehr zum Beten und sich in „Gottes“ unergründlichen Ratschluss zu fügen.
Zum Nebel gesellt sich Blindheit als feinste Voraussetzung für „Gottergebenheit“.
Eine solche Analyse gilt aber nicht für den praktizierenden Gottesanbeter, weil er sie aus seinem Glauben heraus nicht nachvollziehen kann.
Der verantwortungsbewusste Religionskritiker muss das erkennen, entsprechend taktvoll argumentieren – oder sich zurückziehen. Es kann nicht sein, dass Aufklärer in einen „Religionskrieg“ ziehen. Zumindest kennzeichnet das die kosmonomische Philosophie.
Sie gibt damit keineswegs klein bei, aber sie gießt kein Öl ins Feuer. Sie übernimmt Verantwortung für kultiviert friedlich-kritisches Nachfragen, weiß sie doch über die immer wieder aufbrechende Friedensunfähigkeit der Religionen.
Persönlich trage ich gelegentlich schwer an religiösen Beisetzungsfeierlichkeiten, denn ich nehme daran teil, um meiner lebenden Umgebung meine Wertschätzung des Verstorbenen, meine Verbundenheit mit den Hinterbliebenen auszudrücken. Was ich mir aber in diesem Rahmen an Religiösem zumuten lassen muss, ahnen nicht einmal diejenigen, die meine Weltanschauung einigermaßen kennen.
Das erklärt sich wiederum daraus, dass es in meinem weitläufigen Bekannten- und Freundeskreis kaum eine einzige konsequent bekennend religionsfreie Person gibt.
Damit stoße ich als „Freigeist“ fortwährend an meine Grenzen, denn über den Wolken und hinter dem Nebel gibt es Freiheit nur, wenn dort auch wenigstens ein paar freie Menschen sind.
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