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Montag, 15. Juni 2020

Menschliches Glauben: Verfrühte Knospe in provinzieller Enge (S. 95)


Die heutigen gesellschaftlichen Bedingungen lassen immer neue Ballungszentren entstehen, noch aber leben die meisten Menschen der Erdbevölkerung auf dem Lande oder in kleineren überschaubaren Kommunen – in der Provinz. Sie bietet Heimat, mitmenschliche Kontakte, Vertrautheit und Geborgenheit. Nach dem Motto „Glaube, Heimat, Sitte“ spielt sich ein in Traditionen gegossenes Leben ab, das sich mit lokalen Aspekten zufrieden gibt und globales Hinterfragen kaum vermisst, es sogar verdrängt, obgleich weltpolitische Ereignisse zunehmend in das provinzielle Leben eingreifen. In der Regel zeichnet sich der Lokalpatriotismus durch Überbewertung der heimatlichen Szene aus und pflegt gleichzeitig eine devote Haltung gegenüber der wie auch immer gearteten Obrigkeit. Abweichler werden bald als solche erkannt, wieder auf Kurs gebracht oder abgestempelt. Die Provinz sucht keine Weitläufigkeit, sondern pflegt Prüderie und Spießertum in bürgerlicher Doppelmoral.
     Demgegenüber stellen sich die Metropolen offener dar, aber gar nicht selten bedeutet Offenheit lediglich anonyme Freiheit, auch Beziehungslosigkeit. Die Bürger der Mega-Städte sind in beträchtlichem Maße Lokalpatrioten, provinziell und häufig nationalistisch geprägt. Das erweiterte gesellschaftliche und kulturelle Angebot der Städte ermöglicht Horizonterweiterungen gegenüber dem Leben in der Provinz, doch gleicht zumindest in den Staaten mit entwickelter Infrastruktur die oft bessere Lebensqualität auf dem Lande die provinziellen Nachteile aus.
     Provinzielle Enge entsteht gegenwärtig weniger durch den Stadt-Land-Gegensatz als durch das Bildungsgefälle innerhalb der Bevölkerung eines Staates. Dadurch wird Provinzialität ein Phänomen, das offensichtlich trotz zunehmender Verstädterung und wachsender Technologisierung an Bedeutung gewinnt. Obwohl die globalen Zusammenhänge sich überall bemerkbar machen, verharren die Menschen vorwiegend in provinziellen Sichtweisen und Strategien. Ein wesentlicher Pfeiler dieser Gedankengebäude besteht in der jeweiligen Religion, sei es aus fundamentalistischer Überzeugung oder aus eng an die Religion gebundener, traditioneller Lebensgewohnheit.
Die verheerenden Folgen der provinziellen Einengungen schlagen sich in jeder Nachrichtensendung und in jeder beliebigen Tageszeitung nieder und akzelerieren mit dem Wachstum der Weltbevölkerung und der wirtschaftlichen Entwicklung weiterer aufstrebender Regionen.
     Menschwerdung gerät mehr noch als in früheren Zeiten ins Hintertreffen, weil in der Vermassung das Individuum zu oft untergeht oder verblödet, ehe es sich überhaupt als solches begreifen kann. Dabei ist gerade das Individuum der Kern der Menschwerdung, der humanistischen Eigenverantwortlichkeit im Einklang mit einer Gesellschaft, die ja nicht aus sich selbst heraus, sondern aus der Summe von Individuen besteht. Provinzielle Enge bedrängt uns indessen, weil das dort verankerte Denken über modernste Medien die gesellschaftlichen Schaltzentralen erobert, wo man kaum in der Lage ist, außerhalb eigener Eitelkeiten zu reagieren, geschweige denn Perspektiven zu entwerfen.
     Mit äußerst wenigen Ausnahmen verharrt die Menschheit in archaischen Denkstrukturen, die sich weder jetzt noch in absehbarer Zukunft auflösen lassen. Dieser durchaus deprimierenden Tatsache muss jeder aufgeklärte Geist Rechnung tragen, will er sich nicht erstens der vielseitigen Inquisition ausliefern und zweitens im privaten Umfeld in sinnlosen Konflikten aufzehren. Als kosmonomischer Humanist ohne religiöse Affinität muss man akzeptieren, dass es eher wenige Individuen mit ähnlicher Geistesreife gibt. Der aus religiösem Glauben erwachsende Wahnwitz, der sich nach eigenem Bild Götter schaffenden Kreaturen eigen ist, dokumentiert eine derart destruktive Einschränkung, dass keine öffentliche Aufklärungsmöglichkeit existiert, weder in Parteien oder Verbänden noch als Einzelperson. In praktizierter Eigenverantwortung bleibt für einen Kosmonomen nur die entschiedene, wenngleich möglichst freundliche Zurückhaltung, um zumindest eine Privatsphäre für die Wahrnehmung und Pflege der angenehmen Lebensseiten zu garantieren. Inwieweit es gelingt, trotz der vorherrschenden Indoktrinationsmentalität ein lebenswertes, gar erfülltes Dasein zu bewerkstelligen, hängt jeweils von den persönlichen Umständen ab. Gesellschaftliche Kontakte bilden für die Spezies „Mensch“ eine Notwendigkeit, daran lässt sich nicht zweifeln. Ebenso sind aber die mitmenschlichen Beziehungen das Feld zerstörerischer, primitiver Auseinandersetzungen über Lebensauffassungen und Weltbilder. Aus den allgegenwärtigen Gewaltoptionen kann sich der Freidenker nur durch diskrete Reserviertheit befreien. Menschsein und Gewalt gehören entwicklungsbedingt zusammen, doch ist der Mensch vielleicht noch gar nicht ein solcher. Religionen stellen seinen verzweifelten, aber ungeeigneten Schritt zur Überwindung des Tierischen dar und der Versuch endet global immer deutlicher in Verbiesterung.
     Es ist eine bittere Erkenntnis: Aufklärung heute ist eine Fata Morgana, dennoch gibt es bereits aufgeklärte Menschen; ihr Schicksal sei an dieser Stelle einmal poetisch ausgedrückt: Sie eilen der Menschheitsentwicklung voraus und ertragen den Frost wie eine verfrühte Knospe im Frühling. Den Sommer werden andere erleben.


© Raymond Walden



Dienstag, 25. Februar 2020

Menschliches Glauben: Insulare Sprachgepflogenheit (S. 65)


November 1996

Order, Order!“, ruft Mrs. Speaker in die brodelnde Versammlung des Britischen Unterhauses, wo die Regierung ihr Programm verteidigt, das zuvor die Queen aus einer albernen Tradition heraus mit kronenschwerem Kopfschmuck verlesen hat. Man haut sich verbissen die höheren und niederen Argumente um die Ohren, ist sich aber darin einig, dass jeder der Anwesenden ein „Honourable Gentleman“ ist, was dann penetrant und permanent wiederholt wird, schließlich bewegt man sich doch in einem geschlossenen Klub von Demokraten. Und solche Orgelpfeifen des sich gegenseitig hofierenden und protegierenden „Politadels“ gelten heute noch weltweit als Paradebeispiel von Demokratie! – Order!



© Raymond Walden


Links zum Buchanfang:
06.12.2019
www.raymond-walden.blogspot.com/2019/12/das-buch-menschliches-glauben-von.html

07.12.2019
Menschliches Glauben: 1. Natur, Persönliches (S. 9) (Dimensionen im Kindesalter)
www.raymond-walden.blogspot.com/2019/12/menschliches-glauben-1-natur.html


Rezension
Kurze Version: 03.02.2010

www.gavagai.de/Buch/HHDB40.htm



Dienstag, 18. Juli 2017

Sequenzen von Skepsis (274)

Aphorismen zum Nachdenken und Zitieren:

3523
Jedem Ende und Abschied klingt ein eigener Schmerz von Erlösung nach und begründet neues Hoffen. Erst die Löschung des Bewusstseins terminiert das Nichts.

3524
Blindes Vertrauen unterliegt einer speziellen Kurzsichtigkeit.

3525
Mit zunehmender Höhe erweitert sich der Horizont; für den gesellschaftlichen Rang ist solcher Zusammenhang keineswegs zwingend.

3526
Den wachtumsgierigen Kapitalismus interessieren Klimaängste als vielfältig sprudelnde Geldquellen, denen sich Wissenschaft anzudienen hat, indem sie sich selbst verstümmelt.

3527
Der Zeitgeist gefällt sich und hält das für geistvoll, oft sogar mit geistlichem Beistand.

3528
Die verwobensten Gefangenschaften der Menschheit beschweren weniger die Jugend, aber geben sich zunehmend durch Alterserfahrung zu erkennen, bedrücken einerseits, tragen jedoch im umfassenden Kontext des Seins auch den Aspekt des sich Befreiens aus unsinnigen und unsäglichen Zwängen.

3529
Gesundheit ist, solange man nicht darüber spricht.

3530
Wie jüdisch ist Rechtspopulismus?

3531
Klimawahn erscheint als ein inzwischen probates Mittel, über das eskalierende allgemeine und auch verbrecherische Versagen der Politik hinwegzutäuschen.

3532
KosmonomischesManifest“ nennt sich die intellektuelle wie praktische Herausforderung auf dem Wege zum längst nicht vollzogenen Werden des Menschen.

3533
Denklust wird tabuisiert, denn sie entkräftet die Religion, erschüttert die Parlamente und begründet den Frieden, den keine Auserwähltheit, kein Nationalismus hervorbringen, geschweige denn ertragen können.

3534
Digitalisierung wurde entdeckt, und der Mensch degradierte sich zum virtuellen Abbild, gefangen im Netz, der steten Observation ausgeliefert, zwanghaft auf Linie.

3535
Mordundtotschlag-TV auf allen Kanälen: Mord ist ihr Hobby, Mord mit Aussicht, Kochgefräßigkeit, Krankheitslaberei, Tierisches vom Zoo, Dünnschisswerbung, Bibel auf dem Schirm, Unwetterpotenzial, Klimaretter und Terrorismusexperten, Börsengang, Kollateralschaden. Bleiben Sie dran! Es folgt: Waffen für den Welthunger, im Anschluss: Sensationeller Hirntod.

3536
mein RTL“. Für wie blöd halten die mich!

3537
Wer gleichgeschlechtlich liebt, soll so leben. Aber muss ich das wissen?

3538
Die Mauern der Ideologien werden aus Tabus errichtet, Denkvorschriften und Meinungsverbote durch denkunfähige Wichtigtuer eingebläut. Der Rest ist stupide Gewohnheit, als Tradition verklärt, mit Blutzoll im Kampf verteidigt und aufgezwungen.

3539
Die verklemmteste Prüderie erklärt sich frank und frei für sexuell aufgeschlossen und überhaupt …

3540
Zufall rahmt das Leben ein, stellt Weichen und lässt die Würfel fallen, zinkt die Karten.

3541
Die schönsten Abende sind einfach, die Nächte tief und der Morgen einzigartig jeder im Aufgang, im Aufbrechen aller Nebel.

3542
Ruhmreiche Feldherren? - Kongeniale Mörder alle !

3543
Das Lernen hat Wissen und Können zum Ziel. Alles Weitere leitet sich daraus ab.




Sonntag, 20. September 2015

Europas Trauerspiel


O Freiheit,
du „abendländischer, christlicher“ Wert
einer verratenen Aufklärung!
Eingezäunt wirst du wieder,
während man deine Verwandten anderenorts
mit eifrig gelieferten Qualitätswaffen erschießen lässt.

Deine Zukunft ist von nationalistischen Hohlpfosten umzingelt,
kleinkariert mit Stacheldraht verhauen und von schierer,
aber nicht nur europäischer Ignoranz abgewürgt,
geschuldet einer blinden Machtbesessenheit
und traditionell eingeengter Sichtweisen.

Es wurde nie verbindlich definiert, was denn Demokratie bedeute.
Und so wird sie gedankenlos verworfen und verspielt.

Europa, du bist nicht einmal in der Lage,
dich offiziell und öffentlich zu schämen!
Private aufrechte Menschen aber beschämen dich
und rechtfertigen Hoffnung auf Humanität.