Dienstag, 14. Januar 2020

Menschliches Glauben: Presse-Freiheit, die wir wähnen (S. 42)


März 1995

Durch Zufall geriet ich an jeweils eine Ausgabe der kanadischen Zeitschrift Chatelain und des Magazins Homemaker’s, beide Publikationen scheinbar harmlos, familiär, für die bürgerliche Frau. Chatelain liefert  von insgesamt 140 Seiten 105 (!) Werbung, Homemaker´s 58 von 106. Hinzu kommen die redaktionellen Aufmacher, bei denen auf den ersten Blick nicht zu entscheiden ist, ob es sich dabei nicht auch um zumindest indirekte Werbung (Rezepte, etc.) handelt.
     Es sind dies Druckerzeugnisse, wie es sie ganz ähnlich in vielen Ländern zu kaufen gibt. Sie verkörpern das Prinzip des überzogenen materiellen Konsums, denn für jene, die geistigen Konsum vorziehen, fehlt es nicht selten am redaktionellen Mindestangebot. Diese pausenlos Worthülsen und Hohlnachrichten verbreitenden Medien sind im Begriff, ihre eigentliche Grundlage, die demokratische Meinungsfreiheit, zu zerstören, denn aus den Blättern spricht an sich nur noch der Werbeauftraggeber, oft nicht einmal der, sondern nur noch sein Produkt. Für die Leserpsyche ist es ohne Belang, welche Produkte die Seiten füllen, denn es präsentiert sich in jedem Fall eine der interaktiven Kommunikation unfähige, abstumpfende Einbahnstraßeninformation, über die man höchstens bei besonders originellen Werbespots einmal reflektiert.
     Die Wirtschaft missbraucht zügellos die Medien und die wiederum prostituieren sich heftig, weil sie die Herausgabe bunter Seiten und seichten Gefasels mit ihrer ursprünglichen Aufgabe als Meinungsträger, Meinungsübermittler, Nachrichtenquelle und Diskussionsgrundlage für ein eigenes Meinungsbild des Lesers verwechseln.
     Das renommierte Nachrichtenmagazin Newsweek  vom 13.3.1995 umfasst 58 Seiten, davon sind beinahe 45 mit Reklame gefüllt; deutsche Printmedien dürften dem nicht nachstehen. Hin und wieder vernimmt man die „Entschuldigung“, eine weitgehende Unabhängigkeit von Werbung verteuere die Zeitungen. Der Verbraucher aber – wer sonst? – trägt über die Produktpreise die Werbekosten und erkauft sich für die zum Teil dekadente Werbung auch noch eine unfreie Presse. Das ist einer der wesentlichen, „demokratisch“ verdrängten skandalösen Missstände.
    Der auf dem amerikanischen Fernsehkanal CNN weltweit verbreitete Slogan „Werbung – das Recht auszuwählen“ erinnert mich fatal an die Menschenverhöhnung: „Jedem das Seine, mir das meiste.“


© Raymond Walden



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